"Friedrich Schiller, eine Dichterjugend"

Von Uschi Götz |
Lange Zeit galt der Stummfilm "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" als verschollen. Der Film des Schauspielers und Theaterschriftstellers Curt Goetz wurde am 23. März 1923 in Stuttgart uraufgeführt und konzentriert sich auf die Jugendjahre Schillers in Schwaben. 82 Jahre nach seiner Erstaufführung in Stuttgart gab es ihn dort erneut zu sehen, mit neuer Filmmusik.
Der eineinhalbstündige Stummfilm hat eine weite Reise hinter sich: Die Sowjets bringen den Streifen vom Reichsfilmarchiv nach Moskau; 1954 landet die Filmdose durch ein Tauschgeschäft im Münchner Filmmuseum. Dort ruht das historische Material, bis Horst Jaedicke es findet und bei der ersten Ansicht begeistert ist:

Jaedicke: "Ich fand ihn und fand ihn so hinreißend einfach und fröhlich gemacht. Zumal, das war der Einstieg für mich, ich herausgefunden hatte, dass der seine Premiere in Staatstheater in Stuttgart feierte. "

Im Stuttgarter Theater wird der schwarz-weiß Streifen uraufgeführt. Ein Novum im Jahre 1923. Denn, Kino und Theater konnten damals nichts miteinander anfangen:
Jaedicke: "Aber durch Kem und dessen Vater, der damals Intendant war, der glaubte auch die Leutchen aus der Kinowelt wieder ins Theater locken zu können, wenn er dort mal wieder einen Film zeigt. Da er einen Hauptdarsteller oben drauf gegeben hat und ein bisschen Kostüme dazu geliefert hat, kam natürlich diese Premiere im Staatstheater zustande. "

Das Publikum ist begeistert; in der Stuttgarter Chronik wird der erste in Stuttgart gedrehte Film wohlwollend rezensiert. Dann verschwindet der Film. Nach 82 Jahren überarbeitet ein Team des Münchner Filmarchivs das Material. Die Geschichte von Schillers ersten zwanzig Jahren in Württemberg bekommt ein wenig Farbe. Professor Matthias Hermann von der Stuttgarter Musikhochschule wird von Jaedicke beauftragt, für die zweite Premiere eine Musik zu komponieren. Hermann hält das Konzept für überlebt, einen Pianisten neben das Publikum zu setzen, und schafft eine neue begleitende Form:

Hermann: " Unsere Überlegung war deshalb zunächst, mal zu gucken, was findet in dem Film statt: Das ist die Zeit von Schiller; wir haben geguckt dann, was gibt es an Musik wirklich aus den Jahren 1780/81? Carl Philipp Emanuel Bach, Haydn, Mozart … haben auch geguckt, wo spielt dieser Film? Er spielt am Hofe, er spielt in der Kneipe, er spielt an der frischen Luft - und haben dann die Musik ein bisschen danach ausgesucht, was ist welchem Ort zuordenbar? "

Vier akustische Sequenzen begleiten den Streifen. Zum Teil eingespielt, aber auch und das gab es bisher nie – von drei Schlagzeugen begleitet:

Hermann: "Also die Frage überhaupt "Live- Spieler" zu haben, das war, um die Aura von Stummfilmen doch noch herzustellen. Und die Schlagzeuger haben zum einen ein unbegrenztes Instrumentarium. Das heißt, das, was vom Band kommt –dieser quasi Computersoundtrack- können sie sich ganz, ganz vielfältig andocken und sich damit klanglich verbinden, quasi auch in die verschiedenen technischen Geräusche mit hinein schlüpfen. Und auf der anderen Seite haben sie natürlich so ein paar Spielzeuge, die sofort assoziativ sind, aber eigentlich sind Schlagzeuge per se nicht narrativ. "

So werden bisweilen weniger verständliche Stellen im Film dramaturgisch geschickt von den Schlagzeugern aufgewertet. Dennoch stören immer wieder offenbar lebhaft miteinander sprechende Akteure. Hermann bricht aus diesem Grunde eine weitere Stummfilmregel:

"Damit umzugehen brachte uns auf die Idee, wir müssen irgendwas mit Sprache tun und der Film erzählt ja eigentlich die Entstehungsgeschichte "der Räuber" aus Schillers Biografie. Und so haben wir dann Schauspielstudenten gebeten, uns "Räuber-Texte" einzusprechen und immer wieder mal in Fragmenten, in Ausschnitten auch bearbeitet, verändert – aber so die zweite Orginalzeitschicht. "

Der 1954 verstorbene Theodor Loos spielt im Film den jungen Schiller. Curt Goetz drehte einst an Originalschauplätzen. Viele Schillerstätten, von Marbach angefangen bis zum Goldenen Ochsen, gibt es so nur noch in diesem Streifen zu sehen. Es ist ein unpathetischer Einblick in Schillers Jugend. Szenen von der Uraufführung der "Räuber" in Mannheim sind bisweilen amüsant inszeniert. Liebhaber des Stummfilms kommen spätestens bei der dramatisch spektakulären Flucht Schillers aus Württemberg auf ihre Kosten.

Doch wer wiederum den bissigen Humor des Theaterschriftstellers Götz im Film sucht, muss genau hinschauen. Aber, es gibt die amüsanten Stellen, sagt der Götz- Biograf Horst Jaedicke:

"Natürlich ist es kein Lustspielfilm! Wie wollen sie aus Schiller auch ein Lustspielfilm machen? Obwohl er gesagt hat: "Heiter ist die Kunst". Aber er ist natürlich aus schwäbischem Geblüt und da geht man nicht sofort los, wie wenn er ein Rheinländer gewesen wäre. Aber er hat doch immer wieder verstanden, so diese Nebensächlichkeiten ins Freundliche zu drehen, aus ihnen noch einen kleinen Witz rauszuholen, ja. Wenn sie zu spät kommen nach Mannheim, dass er da mit einer Kellnerin was anfängt, überhaupt nicht weg will: das sind doch eigentlich reizvolle Aspekte. Wenn sie den anderen Schiller-Film kennen, dann wissen sie, dass da nur starker Idealismus und heroisches Verhalten am Platze war; ich erinnere mich nicht, da je gelacht zu haben. Aber hier kann ich wenigstens schmunzeln – brüllen ist nicht immer der Ausweis für eine lustvolle Sache, sondern das innere Behagen, das wir empfinden, und ich meine, das kann man an dieser Stelle weiß Gott feststellen."

Ein wirklich schauspielerischer Höhepunkt ist die Darstellung des auf dem Hohenasperg eingekerkerten Schubarts, gespielt von Egmond Richter. Ein Lehrstück für heutige Schauspieler sagt Jaedicke:

"Für mich ist es manchmal ein Zahn zu viel, dieser unterdrückte Mann in Ketten und mit grimmigen Gesicht vor sich hinschauend. Aber das war auch ein bisschen Stummfilm-Manier; die mussten ja alles über Mimik und Gestik ausdrücken, was ein Schauspieler heute nicht mehr braucht. Ja, oder er braucht sich nur hinzustellen und sagt zwei Sätze, so wie es die Amerikaner brillant können, und schon wissen sie, das ist die Figur – das ist mein Freund, und wenn der hinten am Schluss des Films sentimental wird, dann kippen sie fast um. Die mussten immer ihre ganze Gefühlspalette vorn schon ausspielen, und auf diese Art und Weise kam natürlich dieser Grimm in den Film hinein. Und der Schubart ist halt einer, den man aushalten muss in der Sache."