Friedrich-Naumann-Stiftung: Mursi bekommt keinen fairen Prozess

04.11.2013
Durch die Medien vorverurteilt, kein Kontakt zu den eigenen Anwälten: Der gestürzte ägyptische Präsident Mohammed Mursi wird kein faires Gerichtsverfahren erhalten, glaubt Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Die Rahmenbedingungen seien ausgesprochen bedenklich, sagte Meinardus mit Blick auf den heutigen Prozessbeginn in Kairo.
André Hatting: Er steht für das neue, demokratische Ägypten nach Mubarak und zugleich für sein Scheitern, Mohammed Mursi, der erste frei gewählte Präsident des Landes, am 3. Juli entmachtet, seitdem an einem unbekannten Ort gefangen gehalten, streng bewacht vom Militär. Seit der Revolution 2011 ist das Land eigentlich nie zur Ruhe gekommen, gegen die Islamisierung der Republik durch Mursi und die ihm nahestehenden Muslimbrüder hatten vor allem die Großstädter protestiert. Nach der kurzen Amtszeit wurden sie vom Militär verfolgt, ihre Proteste zum Teil blutig niedergeschlagen und ihre Organisation verboten.

Heute soll der Prozess gegen ihr Idol beginnen. Mohammed Mursi soll sich wegen Anstiftung zur Tötung von Demonstranten verantworten. Am Telefon ist jetzt Ronald Meinardus, er leitet das Kairoer Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Herr Meinardus!

Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!

Hatting: Mitte August hatten Sie uns in einem Interview gesagt, Ägypten stehe am Rande eines Bürgerkrieges. Wie ist diese Situation jetzt unmittelbar vor dem Prozess gegen Mursi?

Meinardus: Der Bürgerkrieg ist nicht erkennbar. Es gibt eine sehr, sehr große Anspannung, es gibt den Ausnahmezustand nach wie vor. Die Sicherheitsbehörden sind hier in Alarmbereitschaft, 20.000 Soldaten und Polizisten sichern diesen Prozess ab. Andererseits ist das eine relative Zahl in einer Stadt mit 20 Millionen Einwohnern, es ist eine sehr große Spannung. Viele Menschen gehen heute nicht in die Arbeit, internationale und private Schulen haben dichtgemacht und alle erwarten jetzt, was passiert.

Für die Muslimbrüder ist es die Stunde der Wahrheit. Wenn es ihnen heute nicht gelingt, die angekündigte Massenmobilisierung auf die Straße zu bringen, dann tritt das ein, was die Regierung hier behauptet: Sie haben ihre Kraft verloren, sie haben ihren Zuspruch verloren. Insofern ist das ein ganz wichtiger Tag für die weitere politische Entwicklung in diesem wichtigen arabischen Land.

Hatting: Mursi lehnt ja diesen gesamten Prozess ab, er erkennt die Justiz nicht an. Immerhin soll er jetzt wohl sich im Gerichtsgebäude aufhalten. Ist Ihrer Meinung nach unter diesen Umständen ein fairer Prozess überhaupt möglich?

Meinardus: Die ganzen Umstände sind, wenn wir rechtsstaatliche Kriterien anlegen, ausgesprochen bedenklich. Herr Mursi ist seit seiner Festsetzung Anfang Juli incommunicado, angeblich hat er nur zweimal mit seiner Familie telefoniert. Er hat keinen Zugang zu seinen Anwälten, er braucht auch keine Anwälte, wie jetzt inoffiziellerweise formuliert wird, die Rahmenbedingungen sind ausgesprochen problematisch auch in der Hinsicht, dass eine gewisse Vorverurteilung hier in den Medien stattgefunden hat.

Sie müssen sich Ägypten vorstellen als ein sehr polarisiertes Land, die staatlichen Medien, auch die privaten Medien sind natürlich gegen die Muslimbrüder. Es hat seit Wochen hier eine nicht anhaltende Welle von Festnahmen auch führender Muslimbrüder stattgefunden. Und insofern ist nicht damit zu rechnen, dass die Stimmung einen sehr gerechten oder einen sehr fairen Prozess erlaubt.

Hatting: Damit hat dieser Prozess eben auch keine Chance, dass er das Land beruhigt?

Meinardus: Ja, das ist das Problem. Es ist ein sehr politisierter Prozess auf jeden Fall. Die Anklagepunkte sind ja vor allen Dingen auch politische Anklagepunkte und Ägypten befindet sich in einer sehr starken politischen Polarisierung. Es gibt seitens der neuen Machthaber keine erst zu nehmenden Bemühungen, wie auch immer einen politischen Kompromiss herzustellen mit den Muslimbrüdern. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Muslimbrüder die letzten Wahlen, die hier stattgefunden haben, reihenweise gewonnen haben, und sie wurden nun durch dieses Eingreifen des Militärs politisch marginalisiert und werden nun auch kriminalisiert. Insofern sieht es nicht danach aus, dass ein Prozess diesen tiefen politischen Prozess überwinden kann.

Hatting: Ist die Spannung, vielleicht sogar der Hass zwischen Mursi-Anhängern und Mursi-Gegnern in Kairo auch noch in Ihrem persönlichen Alltag spürbar?

Meinardus: Sicherlich, das Land ist tief gespalten. Und ich merke das auch in meinem eigenen Umfeld, selbst in meinem eigenen Arbeitsbereich gibt es Menschen, die in die eine Richtung reichen und die andere Richtung favorisieren. Und es gibt hier keine Brücken. Die Gefahr ist auch da, dass nun die Muslimbrüder große Demonstrationen angekündigt haben, die Gefahr ist da, dass sie gewalttätig eskalieren. Und in den letzten Tagen haben die staatlichen Medien kommuniziert, dass jeder Ansatz von Gewalt mit sehr harter Faust, mit sehr harter Hand beantwortet werden würde, die Polizei hat den Befehl, scharf zu schießen.

Und wir wissen, dass in den letzten Wochen hier viele Menschen ums Leben gekommen sind, nach Angaben einer führenden internationalen Menschenrechtsorganisation sind nicht weniger als 1300 Menschen bei politisch motivierten Demonstrationen hier ums Leben gekommen. Insofern, das mag auch ein bisschen die große Anspannung der Menschen, die große Anspannung der Öffentlichkeit in Ägypten in diesen Stunden erklären.

Hatting: Mancher behauptet ja auch, es sei mittlerweile so, als ob die Revolution nie stattgefunden hätte, und das alte Mubarak-Regime kämpfe sich Stück für Stück zurück an die Macht. Wie sehen Sie das?

Meinardus: Da ist etwas dran, wenn wir uns vor Augen führen, dass der Richter, der heute den Prozess gegen Herrn Mursi und seine Muslimbrüder-Funktionäre führen wird, derselbe Richter ist, der den Prozess gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmed Schafik von Mursi geführt hat und diesen freigesprochen hat. Die Justiz war immer eine Bastion gewissermaßen des alten Regimes, und insofern ist das ein Indiz dafür, dass gerade auch in diesem sensiblen Bereich der Justiz eine revolutionäre Veränderung in Ägypten nicht stattgefunden hat. Und natürlich die dominierende Rolle des Militärs, und es sind dieselben Militärs, die seit Jahrzehnten hier das Sagen haben, das ist ein weiteres Indiz, dass der große, große Umbruch, den man ja vor zweieinhalb Jahren hier erwartet hat, nicht realisiert wurde.

Hatting: Ronald Meinardus, Leiter des Kairoer Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, vielen Dank für das Gespräch!

Meinardus: Wiederhören!


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