Friedrich Flick

Der Mann, der Kreuztal nicht zur Ruhe kommen lässt

Von Thilo Schmidt · 20.03.2017
Friedrich Flick, Kriegsverbrecher und Multimillionär, spaltet seinen Geburtsort Kreuztal bis heute. Das örtliche Gymnasium, lange nach ihm benannt, wurde 2008 umbenannt - nach einer heftigen Kontroverse. Mittendrin und hart kritisiert: Der ehemalige Bürgermeister Rudolf Biermann.
Hannelore Kraft: "Wir kommen zu Rudolf Biermann aus Kreuztal."
Rudolf Biermann: "Ich habe im Traum nicht daran gedacht, dass eine Ehrung vorzunehmen war, der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen, und ich war schon beeindruckt, muss ich sagen, von der vorzunehmeden Ehrung."
Kraft: "Zehn Jahre, von 1999 bis 2009, war er gewählter hauptamtlicher Bürgermeister seiner Stadt. Er hat sein Amt auch in schwierigen Zeiten stets mit Sorgfalt und Mut ausgefüllt. Das gilt besonders in der Debatte um die kontroverse Umbenennung des Städtischen Gymnasiums Kreuztal."
Umfrage: "Normal ist das ein uralter Name. Und warum soll man das umbenenen?"
Autor: Flick war ein Kriegsverbrecher …
Umfrage: "Nee, neenee. Das kann man nicht sagen. Der Flick ist ein Kreuztaler gewesen."
Kraft: "In diesem Konflikt sind sie, lieber Herr Biermann, auch einer historischen Verantwortung ihrer Kommune gerecht geworden. Die Schule war vormals nach Friedrich Flick, einem Unternehmer aus Kreuztal, der als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, benannt, der Name Flick steht zudem für den größten deutschen Parteispendenskandal der Nachkriegszeit."
Biermann: "Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, der Rat der Stadt Kreuztal hat 38 Stimmen abgegeben, davon haben für die Beibehaltung gestimmt: 12 Ratsmitglieder, für die Umbenennung haben gestimmt: 26 Ratsmitglieder. Es war eine Zweidrittelmehrheit nicht erforderlich, ich bedanke mich, dass in dieser Breite der Rat meiner Empfehlung gefolgt ist. Damit trägt unser Gymnasium künftig die Bezeichnung Städtisches Gymnasium Kreuztal, Sekundarstufen 1 und 2."
Kraft: "Ihr so vielfältiger und langjähriger Einsatz für das Gemeinwohl verdient es, heute mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet zu werden."
Der ehemalige Bürgermeister von Kreuztal, Rudolf Biermann, wird von NRW-Landesmutter Hannelore Kraft ausgezeichnet
Der ehemalige Bürgermeister von Kreuztal, Rudolf Biermann, wird von NRW-Landesmutter Hannelore Kraft ausgezeichnet© NRW / R. Sondermann
Es ist gut achteinhalb Jahre her, dass das Friedrich-Flick-Gymnasium in Kreuztal umbenannt wurde. Und siebeneinhalb Jahre ist es her, dass Rudolf Biermann, CDU, als Bürgermeister von Kreuztal abgewählt wurde. Das eine hat, so sagt man in Kreuztal, mit dem anderen zu tun.
Und es ist drei Monate her, dass Rudolf Biermann von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einen Orden verliehen bekam.
Umfrage: "Ja, warum das denn?"
… fragt man sich in Kreuztal. Antwort: Weil er sich – gegen viele Widerstände in seiner Heimatstadt – für diese Umbenennung eingesetzt hatte.
Umfrage: "Dann fragen Sie ihn mal, was denn der Flick alles für Kreuztal getan hat? Ne Masse. Da kann man nicht dagegen arbeiten. Flick ist ein Kreuztaler gewesen. Und dann kann ich nicht mehr in dem alten rumwühlen, was mal gewesen ist."
Ja, Flick, der große Sohn der Stadt, hat Kreuztal etwas gegeben. Eine ganze Menge Geld hat er dagelassen.
Geyer-Symphonie: "Er stiftete das Friedrich-Flick-Gymnasium / dem Altenheim Salem stiftete er eine Million / den Nazis 7,65 Millionen / er spendete eine Kirchenorgel für Kreuztal / Himmler holte sich persönlich bei ihm die Wahlspende ab / Er schenkte dem örtlichen Museum ein Rubensbild / und Goebbels zum Geburtstag auch einmal ein Gemälde / Er spendete Hitler durch seine Anwälte das Arisierungsgesetz / er zeigte sich sogar Künstlern gegenüber großzügig / … und an der Börse nannte man ihn den Geier."

Internationale Kontroverse um Flick-Gymnasium

2008 gründeten ehemalige Schüler des Friedrich-Flick-Gymnasiums die Initiative "Flick ist kein Vorbild". Im Gästebuch der Webseite überschlugen sich die Kommentare, nicht immer in feinster Wortwahl formuliert. Dann kamen Journalisten aus ganz Europa. Der Bürgermeister gab seine anfangs geübte "vornehme Zurückhaltung" auf.
"Er hat für Kreuztaler Verhältnisse großartige Distanz manchmal … oder einen Blick von außen auf Kreuztal gehabt einerseits, aber sich sehr bemüht, alle immer zusammenzubringen."
Anke Hoppe-Hoffmann, damals Fraktionsvorsitzende der Grünen.
"Also im Gespräch zu halten. Und die sehr bösartige Ebene hat er überhaupt nicht geteilt. Und als er merkte, dass das ne Endlosschleife wird, hat er, ja ich sage mal, ne klarere Position bezogen."
Rudolf Biermann, 2008:
"Wer hat denn bisher daran gedacht, in Verneigung auch vor den Opfern der NS-Zeit, sich schuldig zu bekennen beziehungsweise die Schuld mit zu tragen?"
Ohne Biermanns entschlossene Haltung wäre es kaum zur Umbenennung des Gymnasiums gekommen. Das schlug Wellen in Kreuztal. Gerüchte besagen, seine eigenen Parteifreunde hätten bei der Bürgermeisterwahl ein Jahr nach der Umbenennung, dazu geraten, den eigenen Kandidaten nicht zu wählen.
Biermann: "Man hat ja Einsicht auch in die Wahlunterlagen, nachdem die Wahl abgeschlossen ist, und viele haben auf den Wahlzettel dann gar kein Kreuzchen gemacht und einfach nur geschrieben: 'So nicht, Herr Biermann', und jeder, der sich in etwa in Kreuztal auskennt, in der Gesamtsituation, der wird wissen, was das bedeutet hat, ja? Wer den Namen Flick hier in Kreuztal verunglimpft, der ist es nicht wert, Bürgermeister zu sein."
Patrick Fick ist einer jener ehemaligen Schüler, die die Initiative "Flick ist kein Vorbild" begründet hatten. Und er ist es auch, der Biermann für den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen hat.
"Also ich hab mich gefreut, ich war einerseits überrascht, andererseits auch nicht. Nicht überrascht war ich, weil ich das ja auch mit angestoßen habe und ihn mit vorgeschlagen habe für diese Auszeichnung, für den Landesverdienstorden NRW, überrascht war ich insofern, weil das ganze fast sieben Jahre gedauert hat und ich eigentlich nicht mehr damit gerechnet habe. Und ich habe mich dann für ihn, aber auch für unsere Sache, für die Umbenennung der Schule sehr gefreut, tatsächlich."

Grüne stießen Umbenennungs-Debatte an

Es war nicht das erste Mal, dass die Umbenennung der Schule gefordert wurde. Ende der Achtziger stießen die Grünen eine Umbenennungsdebatte an. Auch damals kamen die Journalisten in die kleine Stadt im Siegerland. Und wunderten sich. Und am Ende wurde nicht umbenannt. Doch 2008 ist alles etwas anders. Und das mag an Rudolf Biermann liegen.
"Er war am Anfang sehr zurückhaltend. Und das besondere ist aber, dass er sich von Argumenten hat überzeugen lassen, nämlich von guten Argumenten. Nicht nur unsere Argumente, sondern auch Argumente, die Betroffene, ehemalige Zwangsarbeiter, die in Flicks Betrieben gearbeitet haben, an ihn herangetragen haben. Und er hat dann Stück für Stück seine Position geändert und hat realisiert: Die Schule kann nicht weiter Friedrich-Flick-Gymnasium heißen, sondern sie muss umbenannt werden."
… sagt Patrick Fick, der ehemalige Schüler und Mitinitiator der Kampagne des Jahres 2008. Die Kreuztal heftig durcheinandergewirbelt hatte. Oder, um es anders auszudrücken: Das kleine Kreuztal wusste gar nicht, wie ihm geschah. Walter Kiß, Bürgemeister, der direkte Nachfolger Rudolf Biermanns.
Herbert Hoß, Schulleiter: "Ja, das war schon für alle, insbesondere Betroffene, hier in der Stadt, sehr belastend. Das war wohl so. Die Diskussion zu Ende zu führen, war aber gleichwohl gut und richtig. Wichtig, wie ich finde. Es ist nicht so, dass letztlich entschieden wurde, die Schule umzubenennen, nur um diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Ich glaube, diese Diskussion hat auf breiter Basis einen Denkprozess angeregt, der für manche auch schmerzhaft war. Aber unterm Strich glaube ich, ist die Entscheidung gefallen auf breiter politischer Mehrheit aus Überzeugung."
Über Nacht war die kleine Stadt im Siegerland gleichermaßen bekannt wie verrufen, in ganz Europa. Zuerst kam das Deutschlandradio, später NDR und WDR, auch Süddeutsche, Zeit, Spiegel, das polnische Fernsehen und andere berichteten. Ein Politmagazin stellte die Schule zu Unrecht in eine sehr rechte Ecke, sagt Herbert Hoß, damals und heute Schulleiter des Gymnasiums. Für ihn war der Sommer 2008 eine Zerreißprobe.
"Sie müssen vieles aushalten, was sie sich als Person eigentlich so nicht hätten vorstellen können, dass ihnen das einer vorwirft. Bis hin zu dass einer mir also alles Schreckliche wünschte, schlimme Krankheiten und so. Das hat mich damals … so ne Mischung aus Verwunderung und Entsetzen. Mein Schrank, auf den ich gerade gucke, der ist bis heute voll von Mails beziehungsweise von Zuschriften, Briefen… Vielleicht guck' ich mir das irgendwann noch mal an, es gibt allerdings auch den Rat, es einfach wegzuschmeißen."
Und die Schüler? Um die geht es doch zu allererst. Haben sich auch eingemischt. Innerhalb und außerhalb der Schule.
Schüler:
"Ja, es ist nicht unbedingt toll, ne Schule danach zu benennen, aber es ist trotzdem ne gute Sache, ne Schulstiftung."
"Ja, also die finanziellen Dinge kann man natürlich nicht vernachlässigen, also … aber wir haben auch im Moment so ne Diskussionsgruppe darüber am Laufen."
Hoß: "Die Schülerschaft hat damals sehr kontrovers, aber immer sehr achtend, achtungsvoll gestritten, die haben, den ich bis heute sehr gut in Erinnerung hab, einen Tag gestaltet zu Flick, mit Podiumsdiskussion, mit Vorträgen, mit einem Theaterstück, der mich damals nahezu berührt hat."

Schatten der Vergangenheit

Friedrich Flick, Ehrenbürger Kreuztals, Kriegsverbrecher, in Nürnberg zu sieben Jahren verurteilt, weil in seinen Rüstungsbetrieben im Zweiten Weltkrieg Tausende Zwangsarbeiter starben. Nach Verbüßung seiner Haft setzte Flick seine Karriere fort, wurde nach dem Krieg, wie schon vor und während des Krieges, zum reichsten Deutschen. Andere Prominente hat Kreuztal nicht hervorgebracht. Rudolf Biermann.
Biermann: "Ohne diese Initiatoren und diese Initiative wäre es mal wieder in Kreuztal – die Diskussion hat ja schon mal stattgefunden – wäre mal wieder Stillschweigen bewahrt worden darüber. Aber dafür ist die geschichtliche Aufarbeitung, die wir in Kreuztal dann jetzt haben machen müssen und die wir gottseidank auch gemacht haben, für mich wichtig."
Kreuztal (NRW) aus der Luft: Heimatort von Friedrich Flick
Kreuztal (NRW) aus der Luft: Heimatort von Friedrich Flick© imago / Hans Blossey
Was bewegt diese Stadt? Warum verehren sie Friedrich Flick, auch wenn diese Vasallentreue, wie hier oft gesagt wird, vor allem eine Sache der Kriegskindergeneration ist und mit ihr gleichermaßen ausstirbt?
Umfrage:
"Ja, warum?!?
"Ich finde das eine Frechheit!"
"Ja. Meine ich aber auch."
"Sie kennen ja die ganzen Kriegsgeschichten nicht!"
"Nee! So ein Gedöns zu machen. Die sollen lieber für wat anderes sorgen!"
"Unverschämtheit!"
"Dat sin' irgendwelche Spinner, die sich da so irgendwat, die da so irgendwat in den Kopp kriegen, und meinen, sie müssten da wat ändern!"
Der Historiker Kurt Schilde, gebürtiger Berliner, hat aus beruflichen Gründen Jahre im Siegerland verbracht und auch die Debatte um das Flick-Gymnasium miterlebt.
"An der Debatte oder an den Debatten haben ja nicht alle Teile der Bevölkerung gleichmäßig teilgenommen. Es gab ja so ne Gruppe, sagen wir mal: Linke, Gewerkschafter, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Aktives Museum Südwestfalen, einzelne Leute in der Uni, die sich mit der Geschichte kritisch auseinandergesetzt haben, und die stoßen jetzt auf ein … die sind doch wortgewaltig! Die können reden. Und die kleinen Kreuztalerinnen und Kreuztaler, die können das nicht so richtig. Die kann man zwar auf dem Marktplatz fragen, und dann schimpfen sie, an der Debatte hat aber nicht die gesamte Bevölkerung teilgenommen."
Umfrage: "Ja, das ist Blödsinn, da sollte man sich gar nicht drüber unterhalten."
Autor: Warum?
"Ja weil das Blödsinn ist, hab ich Ihnen doch gerade gesagt. Das ist doch Quatsch, sowas!"
"Ja was halte ich davon? Der hat doch viel Gutes getan. Weshalb soll der Name weg?"
Autor: Weil er ein Kriegsverbrecher ist?
"Ach, das sind doch so viele hier rum, die am Büro sitzen überall, das sind doch auch zum größten Teil Kriegsverbrecher. Oder in der Politik. Warum denn jetzt auf dem Flick da so rumhauen? Ich mein, das wär nicht richtig. Sollen’s doch so lassen!"
Schreiber: "Die meisten Leute, die Friedrich Flick persönlich gekannt haben, sind sicherlich mittlerweile auch verstorben. Friedrich Flick ist ja 72 glaube ich gestorben. Das war so gerade die Zeit, als ich hier runter gezogen bin. Und damals war das ja noch das Stammhaus nebenan, mittlerweile ne Seniorenwohnanlage."
Jochen Schreiber ist ein Urgestein der Kreuztaler Politik. Ist seit 1986 Stadtverordneter der SPD. Pensionierter Lehrer, Pfeifenraucher. Er wohnt gleich neben dem Geburtshaus Friedrich Flicks im Ortsteil Ernsdorf. Ernsdorf ist so etwas wie der Ursprung der Stadt. Früher war es der Kern des heutigen Kreuztals, das es erst gibt, seitdem Ende der Sechziger Jahre zwei Hände voll Gemeinden zur Stadt fusionierten.
"Ich hab' da nicht mehr so viele Erinnerungen, ich weiß, dass eine Reihe von Leuten, mit denen ich gesprochen hab, das nicht verstehen konnten und immer argumentierten, man solle doch das Thema einfach ruhen lassen. Es wäre immerhin schon so lange her. Ich hab da immer so ein bisschen gegengehalten, bin aber auf wenig Verständnis gestoßen. Und es gab natürlich auch ne ganze Menge Leute, die sagten, nein, der Name kann eigentlich nicht der eines verurteilten Kriegsverbrechers sein. Das geht nicht. Wobei, wenn man sich die Vita von Flick anschaut … man hat es ja nach dem Krieg gesehen, wie schnell dieses Thema wieder abgehakt war, als es um die wirtschaftlichen Fragen ging, in der Bundesrepublik."

In Kreuztal ist man gern auf der Gewinnerseite

Und man ist gerne auf der Gewinnerseite. Vielleicht braucht es Hilmar Selle, um Kreuztal zu verstehen. Selle, Landtagsabgeordneter, in den Siebzigern Bürgermeister von Kreuztal, Stadtverordneter, kurzum ein Multifunktionär. Und gut bekannt mit Friedrich Flick, den er um eine Spende für die Errichtung des Gymnasiums bat.
"Die Gründe, die wir ihm dafür vortrugen, waren bei ihm sofort auf offene Ohren – und ich will auch mal sagen – auf ne offene Tasche gestoßen. Denn es hat gar nicht lange gedauert, als dass er Drei Millionen D-Mark zur Verfügung stellte für die Errichtung des Gymnasiums. Für uns war damals von ausschlaggebender Bedeutung, dass Herr Dr. Friedrich Flick eine durch den Bundespräsidenten verliehene Auszeichnung bekam, nämlich den großen Stern der Bundesrepublik – was eine Auszeichnung ist, die eigentlich deutlich macht, dass es sich hier um einen hoch angesehenen Bürger unserer Republik handelt."
Selle, der 2007 verstorben ist, hätte Karriere machen können in der SPD, vielleicht Johannes Rau beerben, sagt mancher. Gestolpert ist er 1984 – ausgerechnet – über die Flick-Spendenaffäre. Über 110.000 D-Mark hatte Selle aus dem Hause Flick entgegengenommen.
Auch ganz normalen Bürgern, von denen keine Gegenleistung zu erwarten war, zeigte sich Flick erkenntlich. Es wird berichtet, dass er einer alten, armen Frau das undichte Dach reparieren ließ. Ein alter Kreuztaler berichtete vor Jahren, dass Flick seiner Familie ein Baugrundstück schenkte.
Weller: "Die Schenkung kam also von Friedrich Flick an meine Eltern. Und da steht heut mein Häuschen drauf."
Schilde: "Dass er nun in Nürnberg da verurteilt wurde, naja, er war ja nicht der einzige. Ist auch ne interessante Erfahrung, die mir dann vermittelt wurde. Die anderen waren ja auch nicht anders. Also dann wird der Flick sozusagen eingemeindet, und da ist dann sozusagen der Einzelne wieder nicht mehr ganz so schlimm."
In Kreuztal ist er geboren, hier wurde er 1972 begraben. Noch lange danach stand er im Telefonbuch. Unter der Nummer 1553 meldeten sich bis 2007 Verwalter, die sein Geburtshaus in Schuss hielten.
"Er wurde von den Leuten hier in Ernsdorf eben als einer die ihren aufgenommen."
Jochen Schreiber.
"... und er trat auch scheinbar so auf. Also er war bekannt für seinen volkstümlichen Auftritt, wenn er denn mal in Kreuztal war. Er machte eben einen sehr bescheidenen Eindruck, einen sehr bodenständigen Eindruck, und von daher waren die Leute eben sehr verbunden, das kann man sicherlich sagen. Aber ich kann es wie gesagt nur von den Erzählungen meiner Schwiegermutter berichten, die Friedrich Flick noch persönlich kannte."

Flick teilte das Butterbrot mit seinem Chaffeur

In Kreuztal erinnert man sich an den bescheidenen Flick, daran, dass er die verchromten Stoßstangen seines Dienstwagens grau lackieren ließ. Und daran, dass er im Auto sein Butterbrot mit seinem Chauffeur zu teilen pflegte.
"...und er hat sich natürlich hier auch engagiert, finanziell, im Bereich der Kirche, er hatte Verbindungen zu den Vereinen hier, Turnverein, Schützenverein. Was da an Unterstützungen gelaufen ist, das kann ich nicht beurteilen. Aber ich nehme an, dass er in diesen Kreisen auch immer noch einen Namen hat."
Schilde: "Man hat nicht viele Kinder der Stadt, die berühmt geworden sind. Weltberühmt sogar geworden sind. Und da hat man jetzt einen wie Friedrich Flick, den kennt alle Welt, der kommt aus Kreuztal, und den will man sich nicht schlecht machen lassen. Man macht ja dann, wenn man den Ort schlecht macht, auch sich selber schlecht. Ich wohn in einer Stadt, wo ein Kriegsverbrecher herkommt? Das ist kein Ansatz, mit dem man leben kann. Also man hat Friedrich Flick, glaube ich, auch in Schutz genommen, um sich selbst in Schutz zu nehmen, also muss man das umdeuten."
Ist Kreuztal nur ein Synonym für die deutsche Nachkriegsordnung? Und war 2008 ein Schicksalsjahr für Kreuztal? Ein Bruch mit der alten Generation, 60 Jahre nach Kriegsende?
Hoppe-Hoffmann: "Also ich geh davon aus, das ist wirklich eine Frage der Generation, weil diejenigen, die damals hier in Kreuztal gelebt haben, haben Flick als den erlebt, der sein Butterbrot mit seinem Chauffeur geteilt hat. Ich sag mal für die waren die positiven Auswirkungen durch seine Spenden, durch seine Heimatverbundenheit und wie das alles so geschildert wurde, mit Sicherheit überwiegend, das waren ihre persönlichen Erfahrungen, und den traut man ja in aller Regel mehr als allem, was man sonst so hört und sieht, und wenn dann noch Sachen dazukommen, die man gar nicht wahrhaben will, die man auch nicht vereinbaren kann mit dem persönlichen Bild von einem Menschen, den man ja positiv erfahren hat."
Der Streit um den Namen hat das Gymnasium durcheinandergewirbelt. Nach der Umbenennung brechen die Anmeldungen drei Jahre lang um ein Drittel ein. Schulleiter Herbert Hoß:
"Ich glaube, wenn sie ein Jahr lang in der Zeitung stehen, und das mit sehr ambivalenten Beiträgen, die eben auch sehr negativ in Richtung Schule gingen, dann wird derjenige, der nicht selbst hier Schüler war oder derjenige, der keinen Einblick hat in das interne Leben, der wird schon stutzen und sagen: Oh, was ist da los. Und ich führe darauf manches zurück."
Mittlerweile haben die Anmeldungen wieder das alte Niveau erreicht, sagt Herbert Hoß.
"Insofern ham wir 2008, im November, nicht bei Null angefangen, sondern … insofern hatten wir eine solide Basis, ich hab eben die Schüler genannt, die hervorragend auf diesen Prozess, ja, reagiert haben, ihn vorher begleitet haben. Wir haben ne ganze Menge Kollegen gehabt, die gesagt haben: Lasst uns die virtuellen Trümmer beiseite räumen und uns auf das besinnen, was uns ausmacht und was unsere Stärke ist. Also wir haben nicht bei Null angefangen, aber wir haben möglicherweise ein kleines bisschen woanders angefangen. Dazu gehört sicherlich auch, dass man gucken muss: Die Schule wurde gefördert, die Förderung ging, dass muss man deutlich sagen: An Schule und an Schüler, und wenn dann, sagen wir mal, ein Fördertopf wegbricht, für Schule und Schüler, muss man sich eben neu ausrichten, und aufstellen. Aber das ist gelungen."

Vom Flick-Geld profitiert der Ort noch heute

Auch nach der Umbenennung der Schule profitiert Kreuztal vom Erbe seines Ehrenbürgers. Die Konrad-Kaletsch-Stiftung, benannt nach Flicks Vetter, fördert die Seniorenarbeit. Auch eine Friedrich-Flick-Stiftung existiert nach wie vor. Bürgermeister Walter Kiß:
"Die Stiftung ist ja rechtlich selbstständig, besteht auch fort. Und der Stiftungsvorstand wird zwar aus der Politik, aus der städtischen Politik besetzt, und natürlich auch aus dem Rathaus, was die Arbeit angeht, aber die Stiftung ist ein selbständiges Gebilde und fördert insbesondere auch, wo ich großen Wert drauf lege, das zu beobachten, sozial schwache Schüler. Die sich vielleicht Studienreisen oder auch Klassenfahrten nicht leisten können, Unterrichtsmaterialien, ähnliches. Und das ist schon ne sinnvolle Sache, wenn man sieht, wie viele mittlerweile doch darauf angewiesen sind, unterstützt zu werden. Und diesen positiven Aspekt den kann man auch nicht wegdiskutieren, der besteht nach wie vor. Dem Hause Flick wäre es egal. Wird es egal sein. So es denn überhaupt noch fortbesteht, wir haben ja keinerlei Kontakt mehr zu diesem Haus. Vielleicht wissen die überhaupt nicht mehr, dass es überhaupt noch existiert."
Hoß: "Ich hab in der Zwischenzeit auch nur noch junge Geschichtslehrer, die auch vieles anders sehen als vielleicht Kollegen, die Mitte der 70er Jahre angefangen haben. Und hier ist es verankert im Schulprogramm, dass die Geschichtslehrer an zwei Tagen sich dem Thema Flick widmen. Das heißt jeder Schüler, der hier rausgeht, hat sich mit der Rolle von Friedrich Flick, mit der Geschichte der Schule auseinandergesetzt."
Das Friedrich-Flick-Gymnasium heißt seit 2008 "Städtisches Gymnasium Kreuztal". Schulleiter Herbert Hoß:
"Nach diesem Novemberdonnerstag gab es bei den Schülern im Grunde genommen so eine Haltung: Jetzt haben wir einen neuen Namen, SGK, Städtisches Gymnasium Kreuztal, ja, und daraus machen wir was. Also ich muss wirklich sagen, die Schülerschaft hat mich seinerzeit begeistert."
Friedrich Flick durch einen anderen Namenspatron zu ersetzen, hätte die Stadt 2008 überfordert. Die Schule, sagt Schulleiter Herbert Hoß, hätte eine zusätzliche Namensdiskussion kaum ausgehalten:
"Mir würde es gut gefallen, wenn es in der Tat irgendwann eine Überlegung, eine Diskussion, Vorschläge dazu gäbe. Ich selbst würde heute keinen Vorschlag machen, verweise aber einfach darauf, dass wir im Jahr 2019 50 Jahre alt werden. Möglicherweise ist das ein Anlass, neu ins Denken zu kommen."
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