"Friedliche Proteste sind leistungsfähiger"

Elias Khoury im Gespräch mit Britta Bürger · 09.06.2011
"Ein erhabener Augenblick in unserer Geschichte" - der Libanese Elias Khoury ist zur Zeit Gast des Wissenschaftskollegs Berlin und betrachtet mit Freude die demokratischen Umstürze in der arabischen Welt. Sein nächstes Buch wird in Palästina spielen.
Elias Khoury: Vielleicht darf ich gleich zu Beginn etwas klarstellen: Wir sehen uns als Teil der arabischen Welt, wir betrachten uns nicht als Teil des Nahen Ostens oder Mittleren Ostens oder als Teil Nordafrikas. Das haben die Kolonialherren so ersonnen. Wir sind Teil der arabischen Welt, die anderen Bezeichnungen spiegeln unsere Selbstauffassung nicht im Mindesten wieder. Um jetzt zu Ihrer Frage zu kommen, es ist wirklich ein großer Augenblick in der arabischen Geschichte, in der arabischen Welt.

Die arabischen Staaten und Völker söhnen sich jetzt gerade mit ihrer Geschichte aus. Das Abschütteln der Diktaturen, die so lange die Länder beherrscht haben, ist ein Zeichen für einen kraftvollen, machtvollen Wandel, insbesondere zeigen wir Araber jetzt, dass diese Vorurteile, die häufig in Europa zu hören sind, wonach die Araber nur zwischen zwei Dingen zu wählen hätten – entweder islamischer Fundamentalismus oder Diktatur –, falsch sind. Wir zeigen jetzt gerade, dass wir so sind wie alle anderen Menschen weltweit auch. Wir können uns für Demokratie, für Freiheit entscheiden, und genau das tun wir. Also, es ist ein großer, ein erhabener Augenblick in unserer Geschichte, er belegt einen gewaltigen, tiefgreifenden Wandel, der vor allem auch den arabisch-israelischen Konflikt verändern wird.

Britta Bürger: Sie haben die arabischen Länder vielfach kritisiert für ihren Umgang mit den Palästinensern. Sie haben Solidarität vermisst. Wie sehen Sie das jetzt mittlerweile – Sie haben es gerade schon angedeutet mit Blick auf die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt. Gibt es neue Ansätze des gegenseitigen Respekts, der Unterstützung?

Khoury: Ich glaube, dass die arabischen Staaten, so, wie sie früher unter den Diktaturen dastanden, keinerlei Respekt hegten – weder für die eigene Bevölkerung noch auch für die Palästinenser. Deshalb haben sie die Palästinenser als gefährlich betrachtet und sie in Ghettos eingeschlossen, sowohl in wirtschaftlicher, sozialer wie auch politischer Hinsicht. Meine Hoffnung ist jetzt, dass in dem Maße, wie die Demokratie einkehrt, wie zum Beispiel Ägypten und Syrien jetzt sich befreit haben von Mubarak oder sich befreien von Assad, dass sie dazu übergehen werden, Respekt für die Menschenwürde zu zeigen. Diese Revolutionen zielten vor allem auf die Anerkennung der menschlichen Würde ab. Man wollte diese lang dauernde Unterdrückung, diese Erniedrigung durch die Despoten und durch die sie umgebenden Militärjuntas abschütteln.

Ich hoffe also, dass die arabischen Staaten sich als ernsthafte Länder erweisen, denn wenn sie das gewesen wären im Jahre 2008, 2009, wenn Ägypten damals wirklich ein unabhängiger Staat gewesen wäre, dann wäre das ja nicht passiert, was tatsächlich passiert ist. Denn im Jahr 2008, 2009 ging es ja darum, dass Hosni Mubarak seinen eigenen Sohn als Nachfolger einsetzen wollte und deshalb auch um die israelische Unterstützung gebettelt hat. Wenn diese Beziehung des Respekts überall eingekehrt ist, dann ergibt sich vieles andere als Folge daraus ganz einfach. Da wo eine Besatzungssituation besteht, muss diese Besatzungssituation beendet werden. Die Israelis müssen dann einfach rausgehen aus den besetzten Gebieten und alles andere wird sich daraus ergeben. Die ganzen komplizierten und verfahrenen Situationen werden sich dann schon klären. Wenn sich die Situation in den arabischen Staaten ändert, dann, meine ich, wird auch Israel sich zu einem Umdenken bequemen müssen, wenn sie ihre fünf Sinne beisammen haben, dann werden sie auch ihr Verhalten gegenüber den arabischen Staaten überdenken und ändern.

Bürger: Sie haben sich seit langem für die Rechte der Palästinenser eingesetzt, bis 1976 haben Sie im Libanon an der Seite von Yassir Arafat gekämpft. Welche Rolle spielt das Erbe Arafats heute noch für die Palästinenser und für Sie persönlich?

Khoury: Nun, wenn ich noch einmal jung wäre, würde ich genauso handeln. Natürlich, die Zeiten haben sich geändert, und ich habe mich mit den Zeiten geändert. Deswegen meine ich auch, dass wir unsere Mittel und unsere Taktik geändert haben und ändern werden. Ich glaube nicht, dass der bewaffnete Kampf das einzige Mittel ist, um zum Erfolg zu gelangen. Ich glaube, Volksbewegungen, friedliche Proteste sind leistungsfähiger, können mehr für die Sache des palästinensischen Opfers erreichen als der bewaffnete Kampf. Ich denke, die dritte Intifada, die kommen wird, wird dann auch die letzte sein. Sie wird ein ähnliches Gepräge haben wie der arabische Frühling, wird dann zu einer endgültigen Besserung der Lage führen.

Und ich glaube, dass der Eindruck, den diese dritte Intifada machen wird, auch sowohl bei den Israelis wie bei den Europäern als auch bei den US-Amerikanern dann die Einsicht wird wachsen lassen, dass eine echte Lösung gesucht und gefunden werden muss. Und die Lösung ist, wie ich schon gesagt habe, im Grunde recht einfach: Sie besteht darin, dass die Besatzung beendet wird, und nach dem Ende der Besatzung werden alle anderen Fragen sich fast von selbst regeln lassen.

Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem libanesischen Schriftsteller Elias Khoury. In Deutschland ist er vor mehr als zehn Jahren mit seinem Roman "Das Tor zur Sonne" bekannt geworden. Auch darin ging es um den israelisch-palästinensischen Konflikt, wobei den Israelis die Rolle der Kriegsverbrecher und Folterer zugewiesen wurde, zugleich aber auch kritisch mit den Palästinensern umgegangen wurde, mit deren Märtyrerkult, der politischen Repression und der Leugnung des Holocaust. Derzeit nutzen Sie, Herr Khoury, Ihren Aufenthalt am Wissenschaftskolleg Berlin, um diesen Roman jetzt fortzuschreiben. Welchen literarischen Zugang haben Sie diesmal gewählt? In welche Richtung wollen Sie diese Geschichte weiterschreiben?

Khoury: In diesem Roman – "Das Tor zur Sonne" – habe ich ja das Thema der Nakba, also der Palästinenserkatastrophe im Jahr 1948 behandelt, das Buch ist im Grunde eine Liebeserklärung an das palästinensische Volk. Es ist eine echte Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einer Frau. Sie entfaltet sich zwischen diesem Flüchtling, der über die Grenze gegangen ist, und der zurückgebliebenen Frau, die eben in Galiläa bleibt, das dann zu Israel wurde, wo der Mann stets die Grenze überschreiten muss, um die Frau zu treffen. Diese Katastrophe der palästinensischen Geschichte, die habe ich dann so gefasst, dass ich sage: Die Palästinenser sind die Opfer der Opfer geworden, sie sind die Juden der Juden geworden. Natürlich, es ist faschistisch, es ist dumm, wenn man den Holocaust leugnet. Diese Holocaustleugnung kann ja der palästinensischen Geschichte keinerlei Bedeutung verleihen. Nein, nein, der Holocaust ist wirklich eine schreckliche, eine überwältigende Katastrophe gewesen, ein maßloses Unglück, an dem nicht nur die Deutschen – zwar die Deutschen mehr als die anderen, aber eben die ganze Menschheit –, Verantwortung tragen muss, und dieses zu leugnen, wäre wirklich sinnlos.

In meinem neuen Buch, das wiederum sehr hart zur Sache geht, wähle ich andere Wege, ich wähle andere Orte: Während der erste Teil in Beirut und Galiläa spielte, das später zu Israel wurde, spielt jetzt dieser Teil in Palästina selbst, das dann zu Israel wurde. Ich habe hier diese Geschichte der Palästinenser und der Israelis gedeutet im Bild des Spiegels. Israelis und Palästinenser spiegeln sich im jeweils anderen. Wenn die Israelis weiterhin die Existenz der Palästinenser leugnen, dann verdammen sie sich selbst im Grunde zur Bedeutungslosigkeit, und umgekehrt gilt es genauso. Das ist im Grunde der Kern meiner neuen Geschichte. Ich weiß, ich bin hier noch sehr unbestimmt und vage, aber das ist nun einmal so. Das ist auch für mich so, während ich dies schreibe.

Es ist eine große Anstrengung für mich, aber ich versuche eben, diese zutiefst menschliche Erfahrung auszuloten, in diesen Erfahrungsraum des Schmerzes hineinzugehen, und ich muss mich selbst auch hineinbegeben. Der Schmerz ist hier das ganz entscheidende Movens für die Geschichte, schmerzhaft auch für mich, denn als Schreibender bin ich ja nicht der Meister der Geschichte. Ich bin im Grunde nur ein ausführendes Organ dieser Geschichte, die sich entfaltet und die meine Seele gefangen nimmt. In diesem Sinne kann ich sagen, meine Seele befindet sich im Schmerz.

Bürger: Elias Khoury, haben Sie vielen Dank für das Gespräch! Thank you very much for being with us!

Khoury: Thank you!

Bürger: Und ich danke auch Johannes Hampel für die großartige Übersetzung und möchte noch erwähnen, dass das neue Buch von Elias Khoury kürzlich bei Suhrkamp erschienen ist unter dem Titel "Yalo".
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