Friedensrichter am Werk

Von Dorothea Jung · 12.09.2011
Joachim Wagner beschreibt anschaulich, wie das Jahrhunderte alte Rechtssystem archaischer Stammesstrukturen in muslimischen Einwanderer-Milieus auch heute noch wirksam ist.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Fahnder bei der Polizei. Sie werden zum Tatort einer Schießerei gerufen. Und Sie haben Fahndungsglück: Sie finden 18 Pistolenkugeln in Hauswänden und Autotüren. Sie können die verletzten Opfer vernehmen sowie zahlreiche Zeugen - und Sie können die Pistolen-Schützen verhaften. Wenig später liegen Ihnen und der Staatsanwaltschaft eindeutige Vernehmungsprotokolle, eine aussagekräftige Tatortanalyse und klare Beweise vor. Darum sind Sie vollkommen sicher: Die zuständige Strafkammer wird die Taten beweisen können und die Schuldigen hinter Gitter bringen. Doch dann fallen Sie aus allen Wolken: Denn vor Gericht beteuern die Augenzeugen plötzlich, nichts gesehen zu haben; die schwerverletzten Opfer leugnen, überhaupt einen Kratzer abbekommen zu haben - und die Beschuldigten können sich an rein gar nichts erinnern. In einem solchen Fall wäre der Journalist und Buchautor Joachim Wagner überzeugt: Hier waren islamische Friedensrichter am Werke.

In seinem Buch "Richter ohne Gesetz" schildert Joachim Wagner eine parallele Schattenjustiz. Er beschreibt anschaulich, wie das Jahrhunderte alte Rechtssystem archaischer Stammesstrukturen in muslimischen Einwanderer-Milieus auch heute noch wirksam ist. Ob Betrug oder Beleidigung, ob Diebstahl oder Körperverletzung - dem nach Stammesrecht und Scharia urteilenden muslimischen Friedensrichter geht es nicht in erster Linie um Bestrafung. Der Clan und sein Streitschlichter wollen den Ausgleich. Das heißt: Der Betrüger muss den Schaden kompensieren, der Beleidiger sich entschuldigen und bei schweren Gewalttaten müssen gewaltige Geldsummen den Besitzer wechseln. Sind nach langen Verhandlungen unter dem Vorsitz des Friedensrichters alle Parteien mit dem Ausgleich einverstanden, wird das Abkommen besiegelt - und im Stamm herrscht wieder Ruhe.

Das bedeutet: Der deutsche Rechtsstaat bleiben außen vor. Denn der stört ja nur die Abmachungen der Stammesmitglieder. Um das Urteil der Paralleljustiz nicht zu gefährden, werden deswegen die Prozess-Zeugen nicht selten bestochen oder erpresst, damit sie in der Verhandlung vor dem deutschen Gericht die Unwahrheit sagen. Die Opfer erhalten Geld vom Clan des Täters, dem Täter kann nichts bewiesen werden, das deutsche Gericht muss ihn frei sprechen. Die deutschen Anwälte machen mit und bekommen ein sattes Honorar.

Jochim Wagner hat mit Polizisten, Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern gesprochen, hat Ermittlungsakten eingesehen und mit muslimischen Friedensrichtern geredet. Das Fazit seiner Recherchen: Der deutsche Rechtsstaat muss achtsamer sein, sonst spielen die Stammesfürsten der arabischen, kurdischen und türkischen Clans in Deutschland mit Hilfe ihrer muslimischen Friedensrichter Katz und Maus.

Der Untertitel von Joachim Wagners Buch heißt: 'Islamische Justiz gefährdet unseren Rechtsstaat'. Das klingt übertrieben reißerisch. Doch die Tonart des Buches selbst ist sehr sachlich. Der Autor formuliert unaufgeregt und zurückhaltend. Man muss aber Joachim Wagners Fazit von der Gefährdung unseres Rechtsstaates nicht unbedingt teilen, um seinen Beobachtungen zustimmen zu können. Wer sich mit Missständen befasst, läuft immer Gefahr, ein wenig zu schwarz zu sehen. Joachim Wagner hat aber eine Fülle von lebendigen Beispielen zusammengetragen. Und genau die machen das Buch lesenswert.

Besprochen von Dorothea Jung

Joachim Wagner, Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat
Econ-Verlag, Berlin 2011
240 Seiten, 18,00 Euro