Friedenspolitik mit doppeltem Boden
In Syrien ist ein Ende der Kämpfe zwischen regierungstreuen Truppen und Rebellen nicht abzusehen. Indirekt werde die Gewalt aber auch von den sogenannten "Freunden Syriens" unter den ausländischen Regierungen gefördert.
Nach Stil und Sprache ist es ein Dokument wie aus dem Lehrbuch friedlicher Streitbeilegung. Zunächst sollen die Waffen schweigen. Am Schluss steht ein politischer Dialogprozess, um, wie es heißt, "den berechtigten Bestrebungen und Anliegen des syrischen Volkes Rechnung zu tragen". So hat es der UN-Sicherheitsrat einstimmig beschlossen.
Die Tücken des Annan-Plans enthüllt erst der zweite Blick. Die syrische Regierung hat die Kampfhandlungen zu beenden und ihre Truppen aus den umkämpften Städten zurückzuziehen. Das ist kein unbilliges Verlangen.
Aber zusätzlich muss sie "sich verpflichten, zu erreichen, dass alle Parteien die bewaffnete Gewalt in all ihren Formen effektiv einstellen". Wie sollte sie das bewerkstelligen – einer Vielzahl aufständischer Gruppen gegenüber, die Gespräche mit den Machthabern in Damaskus kategorisch ablehnt? Gleich zweimal erhebt der Text diese Forderung. Sie ist uneinlösbar.
"Ein wirksamer Aufsichtsmechanismus der Vereinten Nationen" soll die Einhaltung der Waffenruhe überwachen. Dafür sind 300 internationale Beobachter vorgesehen, zu wenig für den heiklen Auftrag. Ein vergleichbares Mandat erhielt 1999 die sogenannte Kosovo-Verifikationsmission. Ihre Personalstärke betrug 2000 Mann. Aber Syrien ist 17-mal größer als das Kosovo.
Die UNO bildet die eine Bühne der internationalen Syrienpolitik. Daneben gibt es eine zweite, vielleicht wichtigere. Auf ihr versammeln sich von Zeit zu Zeit die Außenminister der führenden westlichen Staaten mit ihren Kollegen aus dem Assad-kritischen Teil der Arabischen Liga und Vertretern der syrischen Opposition.
Die Gruppe mit dem plakativen Namen "Die Freunde Syriens" sieht im syrischen Machtkampf die Abfolge einseitiger Vergehen unprovozierter Täter an passiven Opfern. Unterstützung der Aufständischen und Schwächung des Regimes heißt das Programm der beteiligten Regierungen. Dass sie dafür auch militärische Maßnahmen in Betracht ziehen, haben sie bisher nur angedeutet.
Gegen Damaskus führen die Freunde Syriens eine scharfe Sprache. So Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy jüngst am Rande der Pariser Tagung: "Baschar al Assad lügt schamlos, er will Homs ausradieren, wie es Gaddafi mit Bengasi vorgehabt hat." Tatsächlich sprechen die Bilder der Häuserruinen von Homs für sich. Hier waren nicht Ordnungskräfte am Werk, die terrorbereite Aktivisten verfolgen. Mit schwerer Artillerie wurde eine bewohnte Stadt in Trümmer gelegt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.
Gleichwohl trifft der Hinweis auf Bengasi einen Nerv des Problems. Von dort begann im libyschen Bürgerkrieg der Vormarsch der Rebellenarmee auf die Hauptstadt Tripolis. Ihre Geländegewinne erklärte sie umgehend zu "befreiten Gebieten", was die NATO zum Anlass nahm, die Offensive der Regierungsgegner mit Luftangriffen zu unterstützen. Am Ende war das Gaddafi-Regime gestürzt. Offensichtlich verfolgt die syrische Führung das Ziel, keinen Meter Boden preiszugeben, um zu vermeiden, dass sie dasselbe Schicksal ereilt.
Schon vor Monatsfrist haben die Golfmonarchien – selbst ein Club von Autokraten – die Bewaffnung des syrischen Widerstands zur politischen Pflicht erhoben. Den Worten dürften längst Taten gefolgt sein. Die "Freie Armee Syriens" gibt sich damit nicht zufrieden. Sie ruft nach Luftschlägen gegen Einrichtungen der Regierung, sei es mit oder ohne UN-Mandat.
Solange die Interventionsdrohung im Spiel ist, bleibt die Idee des Verhandlungsfriedens chancenlos. Die Furcht vor dem bewaffneten Eingreifen beflügelt das Assad-Lager und die Hoffnung darauf die syrische Opposition, ihre Militanz zu steigern. Die Eskalation der Gewalt scheint programmiert. Leidtragende wären die Menschen im Land. Und Kofi Annan stünde als Verlierer da – wie schon einmal als UN-Generalsekretär am Vorabend des Irakkriegs.
Dr. Reinhard Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dem Militärdienst Politikwissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte, promovierte über Probleme der Analyse, Kritik und Kontrolle militärischer Macht und habilitierte sich über Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa.
1966 bis 1984 arbeitete er am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin, zuletzt als Assistenzprofessor. Von 1984 bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik. Seine Arbeitsgebiete sind Friedensforschung, Rüstungskontrolle, internationale Sicherheitspolitik.
Die Tücken des Annan-Plans enthüllt erst der zweite Blick. Die syrische Regierung hat die Kampfhandlungen zu beenden und ihre Truppen aus den umkämpften Städten zurückzuziehen. Das ist kein unbilliges Verlangen.
Aber zusätzlich muss sie "sich verpflichten, zu erreichen, dass alle Parteien die bewaffnete Gewalt in all ihren Formen effektiv einstellen". Wie sollte sie das bewerkstelligen – einer Vielzahl aufständischer Gruppen gegenüber, die Gespräche mit den Machthabern in Damaskus kategorisch ablehnt? Gleich zweimal erhebt der Text diese Forderung. Sie ist uneinlösbar.
"Ein wirksamer Aufsichtsmechanismus der Vereinten Nationen" soll die Einhaltung der Waffenruhe überwachen. Dafür sind 300 internationale Beobachter vorgesehen, zu wenig für den heiklen Auftrag. Ein vergleichbares Mandat erhielt 1999 die sogenannte Kosovo-Verifikationsmission. Ihre Personalstärke betrug 2000 Mann. Aber Syrien ist 17-mal größer als das Kosovo.
Die UNO bildet die eine Bühne der internationalen Syrienpolitik. Daneben gibt es eine zweite, vielleicht wichtigere. Auf ihr versammeln sich von Zeit zu Zeit die Außenminister der führenden westlichen Staaten mit ihren Kollegen aus dem Assad-kritischen Teil der Arabischen Liga und Vertretern der syrischen Opposition.
Die Gruppe mit dem plakativen Namen "Die Freunde Syriens" sieht im syrischen Machtkampf die Abfolge einseitiger Vergehen unprovozierter Täter an passiven Opfern. Unterstützung der Aufständischen und Schwächung des Regimes heißt das Programm der beteiligten Regierungen. Dass sie dafür auch militärische Maßnahmen in Betracht ziehen, haben sie bisher nur angedeutet.
Gegen Damaskus führen die Freunde Syriens eine scharfe Sprache. So Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy jüngst am Rande der Pariser Tagung: "Baschar al Assad lügt schamlos, er will Homs ausradieren, wie es Gaddafi mit Bengasi vorgehabt hat." Tatsächlich sprechen die Bilder der Häuserruinen von Homs für sich. Hier waren nicht Ordnungskräfte am Werk, die terrorbereite Aktivisten verfolgen. Mit schwerer Artillerie wurde eine bewohnte Stadt in Trümmer gelegt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.
Gleichwohl trifft der Hinweis auf Bengasi einen Nerv des Problems. Von dort begann im libyschen Bürgerkrieg der Vormarsch der Rebellenarmee auf die Hauptstadt Tripolis. Ihre Geländegewinne erklärte sie umgehend zu "befreiten Gebieten", was die NATO zum Anlass nahm, die Offensive der Regierungsgegner mit Luftangriffen zu unterstützen. Am Ende war das Gaddafi-Regime gestürzt. Offensichtlich verfolgt die syrische Führung das Ziel, keinen Meter Boden preiszugeben, um zu vermeiden, dass sie dasselbe Schicksal ereilt.
Schon vor Monatsfrist haben die Golfmonarchien – selbst ein Club von Autokraten – die Bewaffnung des syrischen Widerstands zur politischen Pflicht erhoben. Den Worten dürften längst Taten gefolgt sein. Die "Freie Armee Syriens" gibt sich damit nicht zufrieden. Sie ruft nach Luftschlägen gegen Einrichtungen der Regierung, sei es mit oder ohne UN-Mandat.
Solange die Interventionsdrohung im Spiel ist, bleibt die Idee des Verhandlungsfriedens chancenlos. Die Furcht vor dem bewaffneten Eingreifen beflügelt das Assad-Lager und die Hoffnung darauf die syrische Opposition, ihre Militanz zu steigern. Die Eskalation der Gewalt scheint programmiert. Leidtragende wären die Menschen im Land. Und Kofi Annan stünde als Verlierer da – wie schon einmal als UN-Generalsekretär am Vorabend des Irakkriegs.
Dr. Reinhard Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dem Militärdienst Politikwissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte, promovierte über Probleme der Analyse, Kritik und Kontrolle militärischer Macht und habilitierte sich über Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa.
1966 bis 1984 arbeitete er am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin, zuletzt als Assistenzprofessor. Von 1984 bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik. Seine Arbeitsgebiete sind Friedensforschung, Rüstungskontrolle, internationale Sicherheitspolitik.

Reinhard Mutz, Friedensforscher© Jochen Rasch
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