Friedensforscher würdigt Beispiele zivilen Widerstandes in Deutschland
Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung hat am heutigen Tag der Gewaltlosigkeit betont, dass es auch in Deutschland großartige Beispiele für Widerstand gegen Diktaturen gegeben habe. Er erinnerte an den Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße 1943 und die Montagsdemonstrationen 1989 in der DDR.
Ute Welty: Am 2. Oktober 1869 wurde Mahatma Gandhi geboren, am 2. Oktober 2007 riefen die Vereinten Nationen den internationalen Tag für Gewaltlosigkeit aus. Grund genug für uns, am 2. Oktober 2012 mit dem Politikwissenschaftler Johan Galtung darüber zu sprechen und von Nicola Glass vorher an zwei Beispielen erklärt zu bekommen, was mit zivilem Widerstand erreicht werden kann und wo es noch erheblichen Nachholbedarf gibt.
Nicola Glass über zivilen Widerstand in Myanmar und auf den Philippinen - MP3-Audio Nicola Glass über zivilen Widerstand in Myanmar und auf den Philippinen. Aber wie steht es um den zivilen Widerstand in Deutschland? Sein langes Leben lang beschäftigt sich Johan Galtung mit der Friedens- und Konfliktforschung, ausgezeichnet dafür mit dem Alternativen Nobelpreis und mit dem Gandhi-Preis. Guten Morgen, Herr Galtung!
Johan Galtung: Guten Morgen, einen schönen guten Morgen!
Welty: Schaut man auf die Geschichte, dann haben sich die Deutschen ja nicht unbedingt durch Gewaltlosigkeit hervorgetan. Wie dünn müsste denn das Kapitel über deutschen zivilen Widerstand in Ihrem nächsten Buch ausfallen?
Galtung: Ja, also für mich als Norweger, ist ja das Beispiel die deutsche Besatzung in Norwegen 1940 bis 45. Und es gab sehr viel zivilen Widerstand, besonders von den Lehrern, Lehrerinnen, und von den Pfarrern. Ich kann es ganz einfach zusammenfassen: Es war unmöglich für die Quisling-Verräterregierung, die Nazifizierung in der Bevölkerung durchzusetzen. Aber es war auch unmöglich, die deutsche Besatzung durch den zivilen Widerstand zum Aufhören zu bringen. Also könnte man sagen, es war ein ausgezeichnetes Instrument gegen die Statuten von innen, aber nicht für die Besatzung von außen.
Welty: Das ist ein Beispiel aus Norwegen, aber haben Sie denn auch ein Beispiel aus der deutschen Geschichte, wo in Deutschland ziviler Widerstand besonders gut gelungen ist – auch wenn es nicht so viele Beispiele gibt?
Galtung: Ja, das wäre selbstverständlich Rosenstraße in Berlin im Februar 1943, also wenn die Juden, die mit Deutschen verheiratet waren, die waren verhaftet, und zum Tode, also es ging Richtung Auschwitz, und dann kam der große Aufstand der Frauen in der Rosenstraße in Berlin. Das war also in der Mitte des Krieges, und man hat ganz einfach die Juden freigesetzt, und so ungefähr 50 Prozent von denen haben sich versteckt, und 50 Prozent haben geglaubt, jetzt kommt die Möglichkeit, wir können weiter arbeiten und so weiter.
Und dann hat die Gestapo das Folgende getan: Sie haben nicht alle in derselben Nacht verhaftet, sondern einen nach dem anderen, sodass es unmöglich war für die anderen, einen Widerstand durchzuführen. Also man könnte sagen, es ist ja ganz fantastisch, dass das möglich war in der Mitte des Krieges und sogar in der Mitte von Berlin, ganz fantastisch.
Welty: Würden Sie sagen, anhand dieser beiden Beispiele, es lässt sich ein Koordinatensystem für Gewaltlosigkeit ableiten und auch ein Koordinatensystem für Gewalt, für Krieg? Sie sind ja nicht nur Politikwissenschaftler, sie sind ja auch Mathematiker.
Galtung: Noch einmal?
Welty: Sie sind ja nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch Mathematiker. Von daher die Frage, ob sich aus den Beispielen, die Sie genannt haben, aus Deutschland und aus Norwegen, ein Koordinatensystem einmal für Gewaltlosigkeit ableiten lässt, und einmal für Gewalt.
Galtung: … Ich möchte gerne die zweite deutsche Sache erwähnen, und dafür selbstverständlich den Widerstand in der DDR. Das war ganz fantastisch, und damit hat man Sachen erreicht, und das waren also die Montagsdemonstrationen, besonders in Leipzig, und besonders am 11. Oktober 1989. Man könnte nicht sagen, dass es wirklich eine sowjetische Besatzung in der DDR gab – Gorbatschow hat sich ja nicht eingesetzt, überhaupt nicht, mit Truppen. Also das war außerordentlich, das war ein Erfolg.
Koordinatensystem – sehen Sie, ich glaube, die Haupttrennlinie, wir haben also heute, am 2. Oktober, für den Geburtstag von Mahatma Gandhi, ist zwischen negativen und positiven zivilen Widerstand. Mit dem negativen Widerstand macht man das Leben für die Diktatoren, wie zum Beispiel die beiden Marcos, außerordentlich unangenehm, und sie flüchten. Und das haben wir ja gesehen, selbstverständlich, zum Beispiel in Tunesien mit Ben Ali, und teilweise in Ägypten. Mubarak ist auch in einem gewissen Sinne von Kairo geflüchtet, aber nicht von Ägypten.
Aber dann kommt der positive zivile Widerstand, und das ist Gandhis Widerstand. Es gibt eine negative Sache, aber auch die positive, man versucht dafür ganz einfach, die andere Seite zu bekehren. Und Gandhi hat sehr viel Glück mit der englischen Besatzung gehabt, weil die Engländer haben es sozusagen verstanden, das geht nicht weiter, und haben mit der neuen indischen Regierung zusammengearbeitet. Und ich glaube, dass die Kombination von negativ und positiv ist die Hauptsache. Weil was man sieht, ist, dass wenn man den Diktator abgesetzt hat, dann weiß man nicht ganz, was zu tun ist. Es gibt eine große Bewährung, und es gibt auch Kampf zwischen den Widerständlern, das haben wir in Ägypten gesehen, und in Tunesien ist es auch nicht so ganz klar, was eigentlich, was geschieht jetzt.
Welty: Es gehört also nicht nur Durchsetzungsvermögen dazu, sondern auch eine gehörige Portion Glück. Johan Galtung, der Vater der Friedens- und Konfliktforschung, im Interview der "Ortszeit". Ich danke, wünsche einen gewaltfreien Tag, und die schlechte Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Nicola Glass über zivilen Widerstand in Myanmar und auf den Philippinen - MP3-Audio Nicola Glass über zivilen Widerstand in Myanmar und auf den Philippinen. Aber wie steht es um den zivilen Widerstand in Deutschland? Sein langes Leben lang beschäftigt sich Johan Galtung mit der Friedens- und Konfliktforschung, ausgezeichnet dafür mit dem Alternativen Nobelpreis und mit dem Gandhi-Preis. Guten Morgen, Herr Galtung!
Johan Galtung: Guten Morgen, einen schönen guten Morgen!
Welty: Schaut man auf die Geschichte, dann haben sich die Deutschen ja nicht unbedingt durch Gewaltlosigkeit hervorgetan. Wie dünn müsste denn das Kapitel über deutschen zivilen Widerstand in Ihrem nächsten Buch ausfallen?
Galtung: Ja, also für mich als Norweger, ist ja das Beispiel die deutsche Besatzung in Norwegen 1940 bis 45. Und es gab sehr viel zivilen Widerstand, besonders von den Lehrern, Lehrerinnen, und von den Pfarrern. Ich kann es ganz einfach zusammenfassen: Es war unmöglich für die Quisling-Verräterregierung, die Nazifizierung in der Bevölkerung durchzusetzen. Aber es war auch unmöglich, die deutsche Besatzung durch den zivilen Widerstand zum Aufhören zu bringen. Also könnte man sagen, es war ein ausgezeichnetes Instrument gegen die Statuten von innen, aber nicht für die Besatzung von außen.
Welty: Das ist ein Beispiel aus Norwegen, aber haben Sie denn auch ein Beispiel aus der deutschen Geschichte, wo in Deutschland ziviler Widerstand besonders gut gelungen ist – auch wenn es nicht so viele Beispiele gibt?
Galtung: Ja, das wäre selbstverständlich Rosenstraße in Berlin im Februar 1943, also wenn die Juden, die mit Deutschen verheiratet waren, die waren verhaftet, und zum Tode, also es ging Richtung Auschwitz, und dann kam der große Aufstand der Frauen in der Rosenstraße in Berlin. Das war also in der Mitte des Krieges, und man hat ganz einfach die Juden freigesetzt, und so ungefähr 50 Prozent von denen haben sich versteckt, und 50 Prozent haben geglaubt, jetzt kommt die Möglichkeit, wir können weiter arbeiten und so weiter.
Und dann hat die Gestapo das Folgende getan: Sie haben nicht alle in derselben Nacht verhaftet, sondern einen nach dem anderen, sodass es unmöglich war für die anderen, einen Widerstand durchzuführen. Also man könnte sagen, es ist ja ganz fantastisch, dass das möglich war in der Mitte des Krieges und sogar in der Mitte von Berlin, ganz fantastisch.
Welty: Würden Sie sagen, anhand dieser beiden Beispiele, es lässt sich ein Koordinatensystem für Gewaltlosigkeit ableiten und auch ein Koordinatensystem für Gewalt, für Krieg? Sie sind ja nicht nur Politikwissenschaftler, sie sind ja auch Mathematiker.
Galtung: Noch einmal?
Welty: Sie sind ja nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch Mathematiker. Von daher die Frage, ob sich aus den Beispielen, die Sie genannt haben, aus Deutschland und aus Norwegen, ein Koordinatensystem einmal für Gewaltlosigkeit ableiten lässt, und einmal für Gewalt.
Galtung: … Ich möchte gerne die zweite deutsche Sache erwähnen, und dafür selbstverständlich den Widerstand in der DDR. Das war ganz fantastisch, und damit hat man Sachen erreicht, und das waren also die Montagsdemonstrationen, besonders in Leipzig, und besonders am 11. Oktober 1989. Man könnte nicht sagen, dass es wirklich eine sowjetische Besatzung in der DDR gab – Gorbatschow hat sich ja nicht eingesetzt, überhaupt nicht, mit Truppen. Also das war außerordentlich, das war ein Erfolg.
Koordinatensystem – sehen Sie, ich glaube, die Haupttrennlinie, wir haben also heute, am 2. Oktober, für den Geburtstag von Mahatma Gandhi, ist zwischen negativen und positiven zivilen Widerstand. Mit dem negativen Widerstand macht man das Leben für die Diktatoren, wie zum Beispiel die beiden Marcos, außerordentlich unangenehm, und sie flüchten. Und das haben wir ja gesehen, selbstverständlich, zum Beispiel in Tunesien mit Ben Ali, und teilweise in Ägypten. Mubarak ist auch in einem gewissen Sinne von Kairo geflüchtet, aber nicht von Ägypten.
Aber dann kommt der positive zivile Widerstand, und das ist Gandhis Widerstand. Es gibt eine negative Sache, aber auch die positive, man versucht dafür ganz einfach, die andere Seite zu bekehren. Und Gandhi hat sehr viel Glück mit der englischen Besatzung gehabt, weil die Engländer haben es sozusagen verstanden, das geht nicht weiter, und haben mit der neuen indischen Regierung zusammengearbeitet. Und ich glaube, dass die Kombination von negativ und positiv ist die Hauptsache. Weil was man sieht, ist, dass wenn man den Diktator abgesetzt hat, dann weiß man nicht ganz, was zu tun ist. Es gibt eine große Bewährung, und es gibt auch Kampf zwischen den Widerständlern, das haben wir in Ägypten gesehen, und in Tunesien ist es auch nicht so ganz klar, was eigentlich, was geschieht jetzt.
Welty: Es gehört also nicht nur Durchsetzungsvermögen dazu, sondern auch eine gehörige Portion Glück. Johan Galtung, der Vater der Friedens- und Konfliktforschung, im Interview der "Ortszeit". Ich danke, wünsche einen gewaltfreien Tag, und die schlechte Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Denkmal für die "Frauen von der Rosenstraße" in Berlin© picture alliance / dpa - Peer Grimm

Mahatma Gandhi im Jahr 1947© AP-Archiv