Frieden durch Kunst
Die Irak-Beauftragte des Goethe-Instituts, Bärbel Stark, hat die Rolle von Kunst und Kultur bei Demokratisierungsprozessen in Krisenregionen hervorgehoben. Musik, Theater oder auch Weiterbildungen könnten den Menschen Konfliktlösungen jenseits der bislang dominierenden Ansätze aufzeigen.
Hettinger: Es war eine Illusion, dass der Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein schnell zur Ruhe kommen würde. Immer wieder werden Menschen durch Attentate getötet. Politiker meinen, man muss viele kleine Bretter bohren und Geduld haben. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen die Kultur und der Sport, das sagt Bärbel Stark, sie ist Kulturbeauftragte des Goethe-Instituts. Frau Stark, ein vom Bomben und Anschlägen zermürbtes Land wie der Irak soll jetzt auf Kultur und Sport setzen? Da fragt man sich doch, haben die keine anderen Sorgen?
Stark: Die haben sehr viele Sorgen, und sie sind als Menschen oder in ihrem täglichen Dasein eigentlich sehr frustriert, erschüttert und auch gelähmt zum großen Teil. Ich habe sehr viel in Krisensituationen erlebt, was das bedeuten kann, einfach mal schöne Musik zu hören, etwas schönes wie ein schönes Bild zu sehen oder über Theateraufführungen, Theaterstücke, die Gedanken der Menschen in andere Richtungen zu bringen, anzuregen, dass man Lösungen finden kann jenseits derer, die eigentlich bisher immer gedacht waren oder dominierten. Das kann im Prinzip nur, denke ich, Kultur leisten. Das kann kein neues Wasserprogramm oder kein neuer Brunnen leisten. Ich stelle das nicht in Abrede, wie wichtig diese existentiellen Sachen sind, aber ich möchte einfach die Bedeutung von Kultur beziehungsweise Sport betonen, wo ja auch Identifikation mit eigener Leistung, Freude und solche Dinge an die Oberfläche gebracht werden, die gerade in solchen fürchterlichen Situationen eigentlich schon vergessen sind.
Hettinger: Also diese spielerische Leichtigkeit trägt auch ein bisschen zur Entkrampfung bei, und das ist eine gute Basis für diese elementaren Hausaufgaben im, ich sage es mal pathetisch, Demokratisierungsprozess?
Stark: Ich würde weitergehen, nicht nur Entkrampfung, sondern einfach zum Entdecken, dass man selber etwas leisten kann, dass man noch Kräfte hat, in ganz andere Richtungen zu denken oder zu gehen, die bisher eben einfach nicht angegangen wurden und auch das Selbstbewusstsein irgendwo auch stärken können. Das ist ja Voraussetzung, um mit anderen Kräften oder Institutionen, die anders geplant haben als man selber, umgehen zu können, ein gewisses Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und auch eine Zielsetzung.
Hettinger: Sie selbst haben einige Erfahrung mit dieser konkreten Aufbauarbeit vor Ort gesammelt. Welche Projekte, welche Veranstaltungen haben sich denn in diesem Kontext besonders bewährt?
Stark: Also da wir nach den Ereignissen 2003 eben nicht im Irak bisher tätig werden können, haben wir beschlossen - und das ist eine ganz neue Situation auch für das Goethe-Institut -, eben außerhalb des Landes zu arbeiten. Wir haben hauptsächlich Vertreter von Bildung, Kunst und Kultur nach Deutschland eingeladen beziehungsweise Workshops in den Nachbarstaaten, besonders in Syrien und Jordanien durchgeführt, insbesondere für Bibliothekare. Sie wissen vielleicht, dass 50 Prozent der Bibliotheken im Irak zerstört wurden und ein großer Bedarf auch an Weiterbildung bei den Bibliothekaren ist. Wir haben Weiterbildungen gemacht für Deutschlehrer, die an der Universität Bagdad arbeiten; das ist die Institution, die seit Jahrzehnten Deutschunterricht gibt. Wir haben auch Weiterbildungen gemacht für Mitarbeiter des Kulturministeriums, die sowohl in Damaskus waren als auch eine Besuchsreise nach Deutschland gemacht haben. Wir haben zweimal bereits Iraker zur Frankfurter Buchmesse eingeladen und auch Lesungen von irakischen Künstlern in Deutschland organisiert. Da ist ein sehr großes Interesse dafür da.
Hettinger: Aber Sie müssen immer noch ein bisschen über Bande spielen sozusagen, weil die direkte Arbeit im Land nicht möglich ist. Wäre das einfacher für Sie oder sehen Sie in dieser Dezentralisierung, in diesem Rauskommen auch noch eine Chance?
Stark: Also im Moment ist es unsere einzige Chance, aber ich denke, das wird auch nicht aufhören, selbst wenn wir im Land tätig sein können. Der Bedarf an Kontakten, der Bedarf an Kennenlernen des internationalen Stands der Entwicklung in den verschiedensten Bereichen ist derartig groß im Irak nach so vielen Jahren der Isolierung durch die internationalen Sanktionen und auch die Politik der vorigen Regierung, so dass immer wieder, als ich 2003 mit der UNESCO dort war, mir gesagt wurde, das Wichtigste für uns sind Weiterbildungsveranstaltungen, sind Kontakte. Das ging über den Bedarf an materieller Unterstützung hinaus. Man muss dazu vielleicht wissen, dass zumindest die irakischen Intellektuellen davon ausgehen, dass sie ein Bildungswesen in den achtziger Jahren hatten, das zu den besten der arabischen Länder zählte, sie sehr viele Studenten und Dozenten ins Ausland geschickt haben beziehungsweise ins Land geholt haben, so dass dort ein sehr hoher Standard vorhanden war und gerade auf diesem Gebiet ein sehr starker Absturz zu verzeichnen war.
Hettinger: Kann man daran noch anknüpfen, achtziger Jahre? Das ist ja relativ lange her.
Stark: Nun ja, es sind unter den Wissenschaftlern schon noch relativ viele in den Universitäten tätig. Die Universitäten wurden quantitativ ausgebaut. Es sind sehr viele natürlich auch ins Exil gegangen. Aber gerade die Verbindung herzustellen zwischen denen, die ins Exil gegangen sind, und denen, die im Land geblieben sind, ist sicher eine sehr interessante Aufgabe, wenn auch garantiert schwierig, aber man kann da auf jeden Fall anknüpfen, denke ich, und es sind eine ganze Reihe neuer Studenten oder fast eine Generation von Studenten, die überhaupt kein Kontakt ins Ausland hatten, und da ist der Bedarf an Weiterbildung beziehungsweise am Kennenlernen anderer Varianten sehr groß.
Hettinger: Das betrifft den öffentlichen Bereich, das Bildungswesen. Wie weit geht denn Ihr Engagement in die Breit für den "normalen Iraker"?
Stark: Das geht insgesamt natürlich in die Breite, wenn wir Bibliotheken unterstützen, hauptsächlich Universitätsbibliotheken, so dass eben dann normale Studenten eben bessere Möglichkeiten haben zum Studieren. Wir wollen auf jeden Fall nach Möglichkeit das Angebot im Deutschunterricht ausdehnen, also über Bagdad hinausgehen. Wir wollen vor allem durch Zusammenarbeit mit Künstlern oder anderen Vertretern der Kultur, ob das jetzt Theater, Film oder Fotografen sind, vor allem auch junge Leute ansprechen, die dann auch ihre eigenen Potentiale austesten können und wiederum andere mit einbeziehen können, um dort die Kreativität zu fördern. Ich denke, das sind gerade ganz wichtige Elemente, also die Motivation junger Leute, ihre Kräfte in konstruktive Dinge zu investieren und gegen diese Destruktion, die jetzt stattfindet, eben einzusetzen.
Hettinger: Wie muss ich mir das vorstellen mit der Annahme dieser Möglichkeiten? Sind die Menschen dort sehr aufgeschlossen für Hilfe, die quasi von außen kommt?
Stark: Sehr. Also im Prinzip haben wir jetzt mit dem intellektuellen Bereich zu tun. Da ist also, denke ich, schon fast ein Wettbewerb, wer denn überhaupt fahren kann, wer denn die Chance hat, in diese Kontakte zu kommen. Es wäre gut möglich, die doppelte Anzahl von Stipendien zu vergeben für Studenten. Da ist ein riesiger Bedarf und vor allem auch ein Bedarf, Richtung Europa zu gehen.
Hettinger: Nun ist ja die Kommunikation im globalen Zeitalter einfacher geworden, umspannender geworden. Welche Rolle spielt denn das Internet, E-Mail, diese globalen, modernen Kommunikationsmittel beim Aufbau im Irak?
Stark: Also E-Mail auf jeden Fall. Es sind Internetcafes ziemlich schnell nach offizieller Beendigung des Krieges in Massen entstanden. Es ist eben aber für viele relativ teuer. An den Universitäten gibt es einige Internetzentren, aber wesentlich zu wenig, auch viel zu wenig Computer für die Wissenschaftler. Sie werden genutzt. Sie werden vor allem auch für den E-Mail-Kontakt genutzt. Die Ausbildung war schon da auch vor 2003. Also es sind sehr viele Studenten ausgebildet worden von Computerzentren, aber es ist eben fast alles zerstört worden, was es vor dem Krieg gab. Es kommen jetzt so langsam Computer nach. Wenn die materiellen Bedingungen da wären, dauert es überhaupt nicht lange, dass das auch wirklich intensiv genutzt wird.
Hettinger: Danke für das Gespräch.
Stark: Die haben sehr viele Sorgen, und sie sind als Menschen oder in ihrem täglichen Dasein eigentlich sehr frustriert, erschüttert und auch gelähmt zum großen Teil. Ich habe sehr viel in Krisensituationen erlebt, was das bedeuten kann, einfach mal schöne Musik zu hören, etwas schönes wie ein schönes Bild zu sehen oder über Theateraufführungen, Theaterstücke, die Gedanken der Menschen in andere Richtungen zu bringen, anzuregen, dass man Lösungen finden kann jenseits derer, die eigentlich bisher immer gedacht waren oder dominierten. Das kann im Prinzip nur, denke ich, Kultur leisten. Das kann kein neues Wasserprogramm oder kein neuer Brunnen leisten. Ich stelle das nicht in Abrede, wie wichtig diese existentiellen Sachen sind, aber ich möchte einfach die Bedeutung von Kultur beziehungsweise Sport betonen, wo ja auch Identifikation mit eigener Leistung, Freude und solche Dinge an die Oberfläche gebracht werden, die gerade in solchen fürchterlichen Situationen eigentlich schon vergessen sind.
Hettinger: Also diese spielerische Leichtigkeit trägt auch ein bisschen zur Entkrampfung bei, und das ist eine gute Basis für diese elementaren Hausaufgaben im, ich sage es mal pathetisch, Demokratisierungsprozess?
Stark: Ich würde weitergehen, nicht nur Entkrampfung, sondern einfach zum Entdecken, dass man selber etwas leisten kann, dass man noch Kräfte hat, in ganz andere Richtungen zu denken oder zu gehen, die bisher eben einfach nicht angegangen wurden und auch das Selbstbewusstsein irgendwo auch stärken können. Das ist ja Voraussetzung, um mit anderen Kräften oder Institutionen, die anders geplant haben als man selber, umgehen zu können, ein gewisses Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und auch eine Zielsetzung.
Hettinger: Sie selbst haben einige Erfahrung mit dieser konkreten Aufbauarbeit vor Ort gesammelt. Welche Projekte, welche Veranstaltungen haben sich denn in diesem Kontext besonders bewährt?
Stark: Also da wir nach den Ereignissen 2003 eben nicht im Irak bisher tätig werden können, haben wir beschlossen - und das ist eine ganz neue Situation auch für das Goethe-Institut -, eben außerhalb des Landes zu arbeiten. Wir haben hauptsächlich Vertreter von Bildung, Kunst und Kultur nach Deutschland eingeladen beziehungsweise Workshops in den Nachbarstaaten, besonders in Syrien und Jordanien durchgeführt, insbesondere für Bibliothekare. Sie wissen vielleicht, dass 50 Prozent der Bibliotheken im Irak zerstört wurden und ein großer Bedarf auch an Weiterbildung bei den Bibliothekaren ist. Wir haben Weiterbildungen gemacht für Deutschlehrer, die an der Universität Bagdad arbeiten; das ist die Institution, die seit Jahrzehnten Deutschunterricht gibt. Wir haben auch Weiterbildungen gemacht für Mitarbeiter des Kulturministeriums, die sowohl in Damaskus waren als auch eine Besuchsreise nach Deutschland gemacht haben. Wir haben zweimal bereits Iraker zur Frankfurter Buchmesse eingeladen und auch Lesungen von irakischen Künstlern in Deutschland organisiert. Da ist ein sehr großes Interesse dafür da.
Hettinger: Aber Sie müssen immer noch ein bisschen über Bande spielen sozusagen, weil die direkte Arbeit im Land nicht möglich ist. Wäre das einfacher für Sie oder sehen Sie in dieser Dezentralisierung, in diesem Rauskommen auch noch eine Chance?
Stark: Also im Moment ist es unsere einzige Chance, aber ich denke, das wird auch nicht aufhören, selbst wenn wir im Land tätig sein können. Der Bedarf an Kontakten, der Bedarf an Kennenlernen des internationalen Stands der Entwicklung in den verschiedensten Bereichen ist derartig groß im Irak nach so vielen Jahren der Isolierung durch die internationalen Sanktionen und auch die Politik der vorigen Regierung, so dass immer wieder, als ich 2003 mit der UNESCO dort war, mir gesagt wurde, das Wichtigste für uns sind Weiterbildungsveranstaltungen, sind Kontakte. Das ging über den Bedarf an materieller Unterstützung hinaus. Man muss dazu vielleicht wissen, dass zumindest die irakischen Intellektuellen davon ausgehen, dass sie ein Bildungswesen in den achtziger Jahren hatten, das zu den besten der arabischen Länder zählte, sie sehr viele Studenten und Dozenten ins Ausland geschickt haben beziehungsweise ins Land geholt haben, so dass dort ein sehr hoher Standard vorhanden war und gerade auf diesem Gebiet ein sehr starker Absturz zu verzeichnen war.
Hettinger: Kann man daran noch anknüpfen, achtziger Jahre? Das ist ja relativ lange her.
Stark: Nun ja, es sind unter den Wissenschaftlern schon noch relativ viele in den Universitäten tätig. Die Universitäten wurden quantitativ ausgebaut. Es sind sehr viele natürlich auch ins Exil gegangen. Aber gerade die Verbindung herzustellen zwischen denen, die ins Exil gegangen sind, und denen, die im Land geblieben sind, ist sicher eine sehr interessante Aufgabe, wenn auch garantiert schwierig, aber man kann da auf jeden Fall anknüpfen, denke ich, und es sind eine ganze Reihe neuer Studenten oder fast eine Generation von Studenten, die überhaupt kein Kontakt ins Ausland hatten, und da ist der Bedarf an Weiterbildung beziehungsweise am Kennenlernen anderer Varianten sehr groß.
Hettinger: Das betrifft den öffentlichen Bereich, das Bildungswesen. Wie weit geht denn Ihr Engagement in die Breit für den "normalen Iraker"?
Stark: Das geht insgesamt natürlich in die Breite, wenn wir Bibliotheken unterstützen, hauptsächlich Universitätsbibliotheken, so dass eben dann normale Studenten eben bessere Möglichkeiten haben zum Studieren. Wir wollen auf jeden Fall nach Möglichkeit das Angebot im Deutschunterricht ausdehnen, also über Bagdad hinausgehen. Wir wollen vor allem durch Zusammenarbeit mit Künstlern oder anderen Vertretern der Kultur, ob das jetzt Theater, Film oder Fotografen sind, vor allem auch junge Leute ansprechen, die dann auch ihre eigenen Potentiale austesten können und wiederum andere mit einbeziehen können, um dort die Kreativität zu fördern. Ich denke, das sind gerade ganz wichtige Elemente, also die Motivation junger Leute, ihre Kräfte in konstruktive Dinge zu investieren und gegen diese Destruktion, die jetzt stattfindet, eben einzusetzen.
Hettinger: Wie muss ich mir das vorstellen mit der Annahme dieser Möglichkeiten? Sind die Menschen dort sehr aufgeschlossen für Hilfe, die quasi von außen kommt?
Stark: Sehr. Also im Prinzip haben wir jetzt mit dem intellektuellen Bereich zu tun. Da ist also, denke ich, schon fast ein Wettbewerb, wer denn überhaupt fahren kann, wer denn die Chance hat, in diese Kontakte zu kommen. Es wäre gut möglich, die doppelte Anzahl von Stipendien zu vergeben für Studenten. Da ist ein riesiger Bedarf und vor allem auch ein Bedarf, Richtung Europa zu gehen.
Hettinger: Nun ist ja die Kommunikation im globalen Zeitalter einfacher geworden, umspannender geworden. Welche Rolle spielt denn das Internet, E-Mail, diese globalen, modernen Kommunikationsmittel beim Aufbau im Irak?
Stark: Also E-Mail auf jeden Fall. Es sind Internetcafes ziemlich schnell nach offizieller Beendigung des Krieges in Massen entstanden. Es ist eben aber für viele relativ teuer. An den Universitäten gibt es einige Internetzentren, aber wesentlich zu wenig, auch viel zu wenig Computer für die Wissenschaftler. Sie werden genutzt. Sie werden vor allem auch für den E-Mail-Kontakt genutzt. Die Ausbildung war schon da auch vor 2003. Also es sind sehr viele Studenten ausgebildet worden von Computerzentren, aber es ist eben fast alles zerstört worden, was es vor dem Krieg gab. Es kommen jetzt so langsam Computer nach. Wenn die materiellen Bedingungen da wären, dauert es überhaupt nicht lange, dass das auch wirklich intensiv genutzt wird.
Hettinger: Danke für das Gespräch.