Frida Kahlo im Kontext

Von Anette Schneider |
Dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg gelang es, Gemälde der mexikanischen Malerin Frida Kahlo bei einer privaten Sammlung auszuleihen. Erweitert wird die Schau um Bilder von René Magritte, George Grosz oder Max Ernst. Der Ausstellung – die auch Fotografien einer sich perfekt inszenierenden Künstlerin zeigt – gelingen überraschende neue Blickwinkel.
Schön, verführerisch, extravagant – spätestens seit dem opulenten Kinofilm meint man Frida Kahlo und ihre Bilder genau zu kennen: die leidenschaftliche Künstlerin, die an der Seite des politischen und weitgereisten Wandmalers Diego Rivera ihre naiv-surrealistischen Bilder malte, in denen sich alles um sie selbst dreht: Um ihre Leiden, mit denen sie leben musste, seitdem sie 1925, als 18-Jährige, einen schweren Verkehrsunfall hatte.

Private Bilder eines schrecklichen Schicksals eben, dargestellt in einem Stil, der mexikanischen Wurzeln entsprang. Eine Vorstellung, die bereits 1939 galt, als Frida Kahlo in Paris eine Ausstellung hatte, erklärt Ortrud Westheider, Leiterin des Bucerius Kunst Forums und Organisatorin der Ausstellung:
„Dieses Klischee, sie sei isoliert gewesen, hätte sich auf die mexikanischen Traditionen beschränken müssen, das wurde auch gestützt dadurch, dass André Breton bei der Ausstellung 1939 sagte, dass ist ein Surrealismus, wir nehmen sie in unsre Reihen auf. (...) Breton hat eben allen erklärt, dass ist eine Form von Surrealismus, aber in Unkenntnis der Tradition und unserer Kultur, sie hat das alles aus den mexikanischen Quellen geschaffen. Das hat man bis heute so unwidersprochen gelassen.“
Mit ihrer Ausstellung widerspricht Ortrud Westheider dieser Vorstellung nun vehement. Schon ein Blick auf Frida Kahlos Biografie reiche aus, so die Kunsthistorikerin, um deutlich zu machen, dass sie einfach nicht stimmen könne:
„Die Frau war mit Diego Rivera verheiratet und hat die ersten Ehejahre in den Staaten verlebt, in den USA, und zwar in einer Zeit, wo die europäische Avantgarde dorthin kam. Als die beiden 1931 nach New York kamen, stand Alfred H. Bahr am Pier und hat die beiden abgeholt. Und er hat den beiden natürlich sofort die Neuerwerbungen im Museum of Modern Art gezeigt. Da waren Otto Dix darunter, da war ein neuklassisches Bild von Picasso darunter, da waren also viele Werke, die für Frida Kahlo eminent wichtig waren.“
Ortrud Westheider macht das naheliegendste: 34 Gemälden Frida Kahlos aus einer privaten mexikanischen Sammlung stellt sie Arbeiten europäischer Zeitgenossen gegenüber, unter anderem Bilder von Max Ernst, René Magritte, George Grosz und Christian Schad. Das Resultat ist verblüffend: Dort, wo man das Naive, Surreale und betont Schlichte von Kahlos Malweise bisher auf mexikanische Votivmalerei zurückführte, eröffnen sich nun ganz andere Kontexte.

1927 etwa malt sie das Bildnis einer Freundin: mit hell-schimmernder Haut sitzt sie aufrecht vor fast schwarzem Hintergrund. Nun wissend um ihre Kenntnisse europäischer Malerei und konfrontiert mit einem Bild Christian Schads im Stil der Neuen Sachlichkeit wird plötzlich denkbar, dass es auch Frida Kahlo um die Idee formaler Reduktion ging.
1935 entsteht „Ein paar kleine Stiche“: auf einem Bett in einem ansonsten leeren Zimmer liegt eine mit Messerstichen übersäte Frau, daneben steht der Mörder. Bisher interpretierte man das Bild rein privat, da ein Jahr zuvor Diego Rivera ein Verhältnis mit der Schwester Frida Kahlos hatte. In der Ausstellung hängt es nun zwischen Grafiken von Otto Dix, George Grosz und Max Beckmann zum Thema Lustmord – und prompt wächst das Motiv über die Verarbeitung persönlicher Kränkung hinaus.
Oder ihr berühmtes Bild „Die gebrochene Säule“, gemalt 1944: Mit nacktem Oberkörper sitzt sie vor einer weiten, toten Landschaft. Ihr nur durch ein Korsett zusammengehaltener Körper ist senkrecht aufgerissen und gibt den Blick frei auf eine zertrümmerte antike Säule. Stets wurde das Bild als Ausdruck ihres persönlichen Leids verstanden.
„Aber man kann es darauf eben nicht beschränken. Die anderen Künstler, der europäischen Avantgarde, die öffnen auch Körper. Die entdecken dort die unheimlichsten Dinge. Wir haben in der Ausstellung dieses Werk von René Magritte, wo an die Stelle der Eingeweide so ein mechanisches Räderwerk. Und dann die Zeichnung von Giorgo de Chirico, wo eben auch diese Musen, die er zeigt, sich diese Antike einverleiben als etwas Verlorenes, Zeichen einer verlorenen Welt – die Antike, die natürlich im Moment des Torsos oder der fragmentierten Säule immer auch für das Schöpfertum stehen.“

Immer wieder eröffnet diese Gegenüberstellung neue Facetten in den Bildern Frida Kahlos, erfordert das Betrachten der Arbeiten nun neue Blickwinkel. Der Ausstellung – die auch Porträtfotografien einer sich perfekt selbstinszenierenden Frida Kahlo zeigt – gelingt damit völlig überraschendes:
Das Werk der 1954 gestorbenen Künstlerin, das bisher verstanden wurde als eher privat-therapeutische Malerei und von daher nichts Neues mehr zu bieten schien, erhält durch die Eingliederung in das internationale zeitgenössische Kunstleben neue Aspekte, die dazu zwingen, das Werk künftig auch unter anderen Blickwinkeln zu betrachten.
„Von diesen Bildern aus der europäischen Avantgarde, wenn man die sozusagen sich anschaut und manche Elemente dann wieder der Frida Kahlo zuführt, dann entsteht ein komplett anderer Kontext. Man versteht, dass Frida Kahlo sehr wohl sehr stark international orientiert ist. Und man kann eben weggehen von diesem rein biografischen, von diesem Gedanken der kleinen Welt, sondern man kann eben sehen, wie sehr sie sich selbst auch in Verbindung gesetzt hat mit der Welt.“

Service:

Die Ausstellung „Frida Kahlo“ ist vom 15. Juni bis 17. September 2006 im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen.