Freundschaft über den Eisernen Vorhang hinweg

Roland Henz im Gespräch mit Christopher Ricke · 06.10.2010
Damals war Deutschland geteilt. Der Eiserne Vorhang zerschnitt Europa. Und doch reichten sich zwei Städte aus verschiedenen Lagern die Hände: Vor 24 Jahren wurde die Städtepartnerschaft zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt besiegelt.
Christopher Ricke: Wiesbaden und Klagenfurt tun es, Bonn und Oxford, Saarlouis und Eisenhüttenstadt. Das sind alles Städtepartnerschaften, die es schon lange gibt, aber die in der Nachkriegszeit besonders populär geworden sind, als klar wurde, man muss sich besser kennen, um sich besser zu verstehen, damit man sich dann auch besser verträgt. Ein Sonderfall waren und sind die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften, zum Beispiel die gerade genannte von Saarlouis und Eisenhüttenstadt. Heute vor 24 Jahren wurde die abschließend besiegelt, es war die erste ihrer Art. Damals zerschnitt der Eiserne Vorhang noch Europa und doch reichten sich zwei Städte die Hände. Es gab erhebliche Unterstützung bei der Vermittlung, Erich Honecker und Oskar Lafontaine haben damals mitgedreht.
1986, als das alles geschah, war Manfred Sader Bürgermeister von Eisenhüttenstadt, und er sagte in einem Interview:

"Manfred Sader: "Die Beziehungen zwischen unseren beiden Städten, sie werden sich so gut entwickeln, wie sich die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten entwickeln. Das ist die eine Seite und die andere Seite ist: Wir sind davon überzeugt, dass gute städtepartnerschaftliche Beziehungen zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis durchaus einen Beitrag leisten können, damit sich eben die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten erfolgreich und zum Guten entwickeln.""

Ricke: Der Bürgermeister von Eisenhüttenstadt 1986. Drei Jahre danach die friedliche Revolution, inzwischen 20 Jahre deutsche Einheit. Es ist viel Wasser die Oder und auch die Saar hinabgeflossen. Heute ist Roland Henz Oberbürgermeister von Saarlouis. Guten Morgen, Herr Henz.

Roland Henz: Guten Morgen!

Ricke: Wann waren Sie denn das letzte Mal in Eisenhüttenstadt, haben diese Städtepartnerschaft mit Leben erfüllt?

Henz: Das ist erst drei Wochen her. Da gab es die Partnerschaftsgespräche, die zum ersten Mal in der Partnerstadt von Eisenhüttenstadt, in Glogau (Polen), stattgefunden haben, und wir haben die Freunde aus Eisenhüttenstadt mitgenommen.

Ricke: So eine Städtepartnerschaft ist das etwas für Stadträte und Bürgermeister, oder auch für die Bürger?

Henz: Es sollte nicht nur für die Stadträte und für die Bürgermeister sein, sondern es sollte für die Bürger sein. Dass sich das heute gegenüber 1986 verändert hat, ist ganz natürlich. Vieles, was damals außergewöhnlich war, ist heute normal und insofern läuft vieles nicht mehr so abenteuerlich, hat vielleicht auch den einen oder anderen Reiz verloren, aber es gibt noch genügend Initiativen, wo auch die Bürgerinnen und Bürger zusammenkommen.

Ricke: Jetzt wird man ja im nächsten Jahr das 25jährige feiern, und dann wird man auf die Schwerpunkte der gemeinsamen Arbeit blicken. Wo sehen Sie die denn, eher im wirtschaftlichen, eher im kulturellen, im sozialen Bereich?

Henz: Nein. Ich würde es mal so formulieren: Wir haben es geschafft, nachdem die Partnerschaft besiegelt wurde, dass man sich gegenseitig mal kennenlernte. Wir haben es geschafft, dass diese Zeit bis zum Mauerfall genutzt wurde, austauschmäßig von den Verwaltungen, von Vereinen, Sport, Kultur. Das ist also gelaufen. Und der große Vorteil war, dass wir nach dem Fall der Mauer uns an Themen abgearbeitet haben, die alle Städte oder unsere Partnerstädte insgesamt betrafen. Das heißt, wir haben nie visionär diskutiert, sondern wir haben auch Alltagsprobleme aufgearbeitet, wo einer vom anderen lernen konnte. Das hat sich meiner Meinung nach, glaube ich, bewährt und hat das andere dann ergänzt. Ich will mal so sagen: Es gibt in Saarlouis ein ganz großes Volksfest, das heißt Emmes, das ist eines der größten Feste im Südwesten. Da ist Eisenhüttenstadt immer mit dabei. Die Leute kommen an den Stand von Eisenhüttenstadt, um das, was es dort zu essen, zu trinken gibt, kennenzulernen. Man spricht miteinander. Umgekehrt ist es auch so: Beim Stadtfest in Eisenhüttenstadt geht es eigentlich gar nicht mehr ohne den Stand der Saarlouiser Feuerwehr, und der ist so umlagert, dass bereits einen Tag vor Ende des Festes alles ausverkauft ist. Das zeigt, dass die Leute hier und da es zu schätzen wissen, was die jeweiligen Partner zu bieten haben.

Ricke: Nun mag es in jeder Stadt gemeinsame Probleme geben. Was Saarlouis und Eisenhüttenstadt vielleicht auch verbindet ist, dass es zwei Städte sind, die sehr mit dem Strukturwandel zu tun hatten. Aber kann man wirklich Erfahrungen aus der einen Stadt in die andere übertragen?

Henz: Ja. Da bin ich absolut davon überzeugt. Ich möchte jetzt mal ein ganz aktuelles Beispiel nennen: das Thema Identifikation mit der Stadt. Es ändert sich alles, die Demografie hinterlässt überall ihre Spuren, bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Aber die Bürger sollen sich mit ihrer Stadt identifizieren, und da hat jede Stadt eigene Vorstellungen, wie sie darauf hinwirkt, dass das auch entsteht. Wir haben zum Beispiel in Saarlouis Marketingkonzepte aufgelegt, Steuerungskonzepte, Leitideen entworfen, die wir unseren Partnern präsentiert haben, und siehe da: Das eine oder andere ist sowohl in Glogau, als in Saint Nazaire oder Eisenhüttenstadt umsetzbar.
Die andere Seite ist die: Wenn wir uns zum Thema Wandel und Demografie unterhalten haben, haben wir gesehen, was es bedeutet, wenn ganze Wohnblöcke abgerissen werden. Das heißt, wir sehen, wie das in Eisenhüttenstadt gehandelt wird, wie man das behandelt, wie man dem Mangel an Bevölkerung entsprechend sich verhält, und da können wir im Westen oder als Saarlouiser auch lernen, denn die Prognosen für die Zukunft stagnieren zwar bei uns, aber insgesamt gesehen wird Saarlouis und das Saarland in den nächsten 20 Jahren erheblich an Einwohner verlieren.

Ricke: Saarlouis und Saint Nazaire, Eisenhüttenstadt und Glogau – setzt man sich auch mal zu viert zusammen?

Henz: Ja! Ja, natürlich. Ich kann Ihnen sagen, das macht sogar Spaß. Wir haben in Saarlouis seit 2006 auch den Titel Europastadt. Warum ist das so? – Das ist ganz einfach aus der Grenznähe, aus der Geschichte unserer Stadt so. Für uns ist die Grenze zu Frankreich und zu Luxemburg alltäglich. Wir haben im Laufe der Geschichte viermal aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen den Namen wechseln müssen in Saarlouis. Wir wissen es also, was es bedeutet, grenzüberschreitend zu arbeiten. Und wenn man Partnerschaftsgespräche hat, bei denen dann schon mal fünf europäische Länder zusammenkommen, dann macht das auch Spaß. Insofern stimmen wir uns auch ab und wir haben jetzt uns schon besprochen, dass wir im nächsten Jahr bei den Partnerschaftsgesprächen das Thema Energie und Klimaschutz in den Vordergrund stellen, für alle wichtig.

Ricke: Roland Henz, der Oberbürgermeister von Saarlouis. Vor 24 Jahren wurde die Städtepartnerschaft mit Eisenhüttenstadt besiegelt. Vielen Dank, Herr Henz.

Henz: Bitte schön.