Freud poppig und plakativ

Von Michael Schornstheimer |
Am Eingang steht eine Torte und darauf 24 Mal das Geburtstagskind Sigmund Freud zu seinem 150. Ehrentag als Püppchen aus Draht und Filz. Poppig und plakativ will die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin junges Publikum ansprechen und Leute, die gegenüber der Psychoanalyse Berührungsängste haben.
Eine riesige, überdimensionierte Geburtstagstorte empfängt den Besucher. Zumindest oberflächlich besteht sie aus Zucker. Ein echter Konditor hat sie mit Pralinen und süßen Mustern verziert. Auf der Torte sehen wir 24 Mal das Geburtstagskind. Sigmund Freud als Püppchen aus Draht und Filz. Am Spitzbart und der Brille soll man ihn erkennen.

24 Mal Freud - vierundzwanzig Lebensstationen: Man sieht ihn dozieren vor Studenten; beim Empfang durch seine Majestät den Kaiser, auf einem Ozeandampfer auf dem Weg in die USA und nicht zuletzt auch als Patienten. Etwa anlässlich der Krebsoperation, bei der ihm 1923 ein Teil des Gaumens und des Kiefers entfernt und durch eine Prothese ersetzt wurde. Die Szene zeigt Sigmund Freud mit einer blutbefleckten Serviette um den Hals, und auch der Kittel des Arztes ist tüchtig rotgefärbt. Aus Lautsprechern ertönen dazu Erklärungen, aufgemotzt durch unsinnige Echo-, Hall- und sonstige Effekte.

Im Zentrum der Ausstellung hängen farbige Leuchtkästen wie Reklametafeln von der Decke. Schlagworte aus dem psychoanalytischen Fachvokabular, getaucht in knallige Farben: Kitschlila, Quietschrosa, Knallrot...

Tyradellis: "Dass wir die Farbe Rot als vordringliches Motiv gewählt haben, hat durchaus so ein bisschen mit einer Art Reeperbahn-Assoziation zu tun, dass wir also auch damit spielen wollten, dass sehr viel in der Populärkultur Freud und die Psychoanalyse mit Sex und Perversion und Abgründen verbunden ist. Was ja nicht grundsätzlich falsch ist. Deshalb also die Wahl des Poppigen und Plakativen."

Kurator Daniel Tyradellis will mit dieser Art von Präsentation junges Publikum ansprechen, das vor der Beschäftigung mit Theorien scheut. Und Leute, die zur Psychoanalyse Berührungsängste empfinden.

Hinter dem Stichwort "Narzissmus" ist eine Tafel angebracht, die erläutert, dass Narziss in der griechischen Mythologie ein schöner junger Mann war, der sich beim Blick ins Wasser in sein Spiegelbild verliebte. Daneben ist ein halbdurchsichtiger Spiegel angebracht, in den man selber schauen kann. Drückt man dann ein Knöpfchen, geht ein blaues Licht an, und man kann hinter dem Spiegel einen Totenschädel erkennen, so Kurator Daniel Tyradellis:

"Und das ist etwa die Erfahrung, die Anna O. selber hatte, als sie bei einem Besuch von Freunden plötzlich sich selbst als Totenschädel erblickte. Sie wurde dann ohnmächtig und erst im Verlauf der Psychoanalyse stellte sich dann heraus, dass sie intensiv, aber unbewusst damit beschäftigt war, dass ihr Vater im Sterben lag und ihr ein normales Leben praktisch unmöglich machte. Das heißt, der Narzissmus, sich selbst zu lieben, so entfremdet war, weil sie nur noch von der Liebe zu ihrem Vater besessen war, dass sie überhaupt über keine richtige eigene Wahrnehmung mehr verfügte, und das ist ein sehr klares Bild für den Begriff des Narzissten, der ja auf einen mythologischen Begriff zurückgeht, von einem Jüngling, der sich in sein Spiegelbild verliebt, und hier ist genau das Gegenteil der Fall."

Die ergänzenden Ausstellungsstücke stammen aus Kaufhäusern, Baumärkten oder vom Trödel. Sie sind weder historisch bedeutsam, noch schön oder wertvoll. Ihre Verbindung zum Thema ist assoziativ: Die Kunststoff-Ratte etwa erinnert an den "Rattenmann". So nannte Sigmund Freud in einer Fallstudie einen Patienten mit einer Zwangsneurose. Im Analyseverlauf kam zutage, dass das Wort Ratte mit zahlreichen unbewussten Konflikten verbunden war. Zum Beispiel in Erinnerung einer MonatsRATE, die sein Vater einst nicht bezahlen konnte. Solche Erläuterungen lassen sich auf den Schrifttafeln nachlesen.

Im letzten Teil der Ausstellung sehen wir ein schmales, langes Band, das aus aneinandergereihten Fotos besteht. Sie zeigen das zentrale Analytikermöbel: die berühmt-berüchtigte Couch; aus über einhundert Berliner Praxen. Und als Filmcollage, auf mehreren Monitoren: schnell geschnittene Schnipsel aus Unterhaltungsfilmen ...

"Wir haben diese Filmausschnitte gemeinsam mit einer Künstlerin so choreographiert, dass wir am Anfang genau diese Aspekte aufnehmen, dass der Psychoanalytiker selbst einen Sprung in der Schüssel hat, aber im Verlaufe - der Film dauert etwa eine Viertelstunde - steigert sich die Intensität immer mehr, es gibt einen Punkt, da kippt das, wo man merkt, genau die Vorurteile gegenüber dem Psychoanalytiker gehören in gewisser Weise schon zur Behandlungssituation dazu. Es geht nämlich darum, wie ich mich als Patient zum Analytiker verhalte."

"Psychoanalytiker als Volltrottel mit Couch". Allein dieses Filmklischee hätte viel Stoff bieten können für tiefsinnige Betrachtungen und Einsichten. Das Jüdische Museum verschenkt diese Chance.

Auch wenn eine historisch-kritische Ausstellung nicht beabsichtigt war: "Sigmund Freud als Tortenpüppchen", das ist aller wohlmeinenden Erklärungen zum Trotz allenfalls eine Karikatur.

Die Ausstellung "Psychoanalyse - Sigmund Freud zum 150. Geburtstag" ist im Jüdischen Museum Berlin vom 7. April bis 27. August 2006 zu sehen.