Freiwillig gemeinsam

Von Geert Müller-Gerbes |
Es gibt ihn, natürlich gibt es ihn. Den Tag des Ehrenamtes. Landein, landaus umschwirren die Mitarbeiter des Bundespräsidialamtes die Rathäuser in Großstadt und Provinz auf der Suche nach Ehrenamtlichen. Und sie werden fündig, jedes Jahr wieder. Und jedes Jahr wieder entsteht eine Liste für das Staatsoberhaupt, auf dass er die ehrenamtlich tätigen Menschen auszeichne mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.
Und jedes Jahr stehen Präsident und Mitarbeiter aufs Neue beschämt vor einem Kreis von Frauen und Männern, die sich in ihrer Freizeit oder nach getaner Lebensarbeit um andere kümmern. Sich um sie tatkräftig sorgen. Sie vor Einsamkeit retten. Ihnen helfende Hände reichen.

Menschen, die sich um den Erhalt der Natur in Arbeit stürzen, die Kunstdenkmäler retten, die für Menschen in Not da sind. Hundertfältig und tausendfältig ist diese Bemühung ehrenamtlicher Tätigkeit und ebenso groß und weit sind die Felder, in denen das geschieht.

Solche Frauen und Männer kämen nie auf den Gedanken, hier oder da müsse der Staat eingreifen. Sie sagen auch nicht, wie sehr viele Zeitgenossen, dass „endlich etwas geschehen“ müsse, dass „es so nicht weiter gehen“ könne und wo denn, bitte sehr, „der Staat bleibt, der doch zuständig ist“.

Derartiges Gerede kommt häufig dann auf, wenn es um „die Jugend“ geht. Randalierende Banden, sich grölend betrinkende Gruppen, rechtsradikale Schmierer, um die Dorflinde gammelnde Halbwüchsige – die Bilder sind bekannt und werden mit entsprechender Regelmäßigkeit und Entrüstung in den Lokalzeitungen breitgetreten und von erzürnten Leserbriefen mit dem Ruf, dass „endlich etwas geschehen“ müsse, begleitet.

Da sind sie also wieder, alle jene, denen das Wort Ehrenamt ein Fremdwort ist und die Freiwilligkeit für eine Erfindung der Partei der Nicht-Gönnenden halten. Gefragt ist nur, was von Selbstnutz ist. Und kosten darf es auch nichts, und der Staat solle es richten. Durchgreifen am besten.

Gemach, gemach. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Täglich kommen uns Bilder aus aller Herren Länder über den Bildschirm ins Haus. Auch aus China zum Beispiel, jenem Land also, das uns hierzulande von Arbeitsplätzen zu entblößen droht.

Und dort gibt es die seit Jahrtausenden lebendig gehaltene Erkenntnis, dass nur derjenige etwas ändern kann an den Verhältnissen, die er missbilligt, wenn er in seinem Herzen damit anfängt.

„Willst Du die Welt verändern, fange in Deinem Herzen an“. So einfach geht das.

Und genau so einfach machen es auch die vielen Hunderttausende von Ehrenamtlichen, die sich beispielsweise um junge Menschen kümmern. Das kann in einem Sportverein geschehen, in Jugendgruppen, in den Kirchen, bei Pfadfindern, in Musikschulen, mit Theatergruppen, auf Wanderfahrten, in Freizeiten sommers wie winters, in Bastelgruppen, auf Entdeckungsreisen, in Computerkursen. Das kann geschehen nebenan, in Hallen, auf Bahnhöfen, in der Stadt oder auf dem Land.

Es muss nur jemand da sein, der sich was ausdenkt. Jemand, der den jungen Menschen eine Aufgabe stellt, der sie begleitet mit Lob und Kritik, der sie anspornt und sie tröstet, wenn etwas nicht gelingt.

Das muss jemand sein, dem der Konjunktiv des „man müsste“ oder „man sollte“ und vor allem das Wort „eigentlich“ fremd sind. Der nicht fragt, was passieren müsste, sondern der anfasst und sich selbst was ausdenkt, damit etwas passiert.

Ständiges Rufen nach dem Staat erzeugt undemokratische Unselbständigkeit, Gängelung und letztlich Unmündigkeit.

Nicht erst seit gestern wissen wir, dass unser Gemeinwesen zum Scheitern verurteilt wäre, gäbe es die Freiwilligkeit und das Ehrenamt nicht.

Gerade im Verhältnis der Generationen zueinander ist solche Erfahrung von entscheidender Bedeutung. Nur auf diese Weise kann Solidarität in ihrem Kern des Aufeinander-Angewiesen-Seins begriffen werden.

Von Albert Einstein stammt die Erkenntnis, dass Gott keinem Menschen alles gegeben habe, dafür aber jedem etwas. Kürzer kann die zwingende Notwendigkeit von Solidarität nicht gefasst werden.

Wenn der Bundespräsident nicht nachlässt in seinem Bemühen, das Ehrenamt zu ermutigen, dann wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass es etwa wieder einen Jung-Politiker dazu treibt, alten Menschen eine Hüftoperation mit dem Argument zu verweigern, dass sich das nicht mehr lohne. Ältere Menschen mit funktionierenden Hüften sind jedenfalls in der Lage, jüngeren bei der Bewältigung des angeblich so schwierigen Lebens zu helfen.

„Willst Du die Welt verändern, fange bei dir selbst an“. Preisen wir die Globalisierung, weil wir sonst nie auf solche Gedanken gekommen wären.


Geert Müller-Gerbes stammt aus Jena in Thüringen, Jahrgang 1937. Seit l958 ist er journalistisch tätig. Er war Sprecher des Bundespräsidenten Heinemann, gehört zur Gründergeneration des privaten Fernsehens und lebt heute als Autor in Bonn.