Freistil

"Ich liebe die Ich-Losigkeit"

Der Künstler Peter Dreher (08.08.2008) in der Kunsthalle Erfurt vor seinem Werkzyklus "Jahresgläser". Die Kunsthalle Erfurt präsentiert mit der Ausstellung "Tag um Tag guter Tag - Malerei" das Werk des Malers. Bekannt wurde Dreher vor allem durch seine Gemälde von einem Glas. Seit 1974 entstehen jedes Jahr mindestens 50 Bilder, die ein leeres Wasserglas auf weißer Tischfläche zeigen.
Der Künstler Peter Dreher vor seinem Werkzyklus "Jahresgläser". Seit 1974 malte er jedes Jahr mindestens 50 Bilder, die ein leeres Wasserglas auf weißer Tischfläche zeigen. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Andreas Main · 10.04.2014
Peter Dreher ist Maler, Jahrgang 1932, hat eine einzigartige Handschrift und ist eine große Nummer in der Kunstwelt. Über 40 Jahre malt er immer wieder ein Glas: So sind bis heute mehr 5.000 Bilder mit Glas entstanden - die Glasbilder sind Drehers Opus Magnum.
Peter Dreher: "Seit ich sieben Jahre alt bin, bin ich eigentlich Maler und will es sein - und habe es auch immer betrieben: dieses Handwerk. Es ist mein Lebensinhalt, und ich kann mir nichts anderes vorstellen."
Und weil Peter Dreher malen will - und nichts anderes als malen, malt er immer wieder dasselbe Glas. Mehr als 5.000 Mal schon hat Peter Dreher dieses Glas gemalt. In mehr als 40 Jahren rund 5.000 Mal dasselbe Motiv, dasselbe Format. "Tag um Tag guter Tag" - so heißt seine Gläser-Serie.
"Es war 71, und ich hatte aus irgendeinem Grund, den ich nicht mehr weiß, die Idee, eine bestimmte Sache zu malen und die immer wieder. Das war eigentlich die Ausgangsidee. Dann hat sich das aber auf das Glas konzentriert. Und das ist bis heute so geblieben."
Peter Dreher lebt bei Freiburg. Wenn er mal wieder das Glas malen will, fährt er nach St. Märgen. In diesem Dorf im Hochschwarzwald hat er ein zweites Atelier. Hierhin zieht er sich immer wieder zurück. Auch im hohen Alter.
"Ich trinke lieber aus dünnwandigen Gläsern"
"Ja, das ist keine spezielle Malerhose. Aber es ist eine Hose, die schmutzig ist."
Peter Dreher ist 82. In seinem Atelier steht auf einem Tisch - das Glas. Davor Farben und Pinsel. Links davon die Staffelei. Durch ein Fenster fällt Licht auf das Glas.
"Das ist ein normales Glas, es ist nicht ganz neu. Es ist dickwandig, es ist eigentlich gar nicht besonders reizvoll, draus zu trinken. Ich trinke lieber aus dünnwandigen Gläsern, aber es hat eben seine Qualität durch seine dicke Wand, durch seinen dicken Boden, und es ist eigentlich mehr ein Objekt als ein Glas. Es ist dickwandig, es hat eben seine Qualität durch seine dicke Wand, durch seinen dicken Boden, und es ist eigentlich mehr ein Objekt als ein Glas."
Ein Glas ist ein Glas ist ein Glas, und ein Bild ist ein Bild, und scheinbar sind alle Bilder aus der Glasserie gleich - zumindest für den oberflächlichen Betrachter. Alle Leinwände sind 25 mal 20 Zentimeter groß. Die Größe des realen Glases entspricht der Größe des abgebildeten Glases. Grauer Hintergrund, davor ein graues Glas. Über dem Glas ist eine Zahl eingeritzt. Die Bilder sind durch nummeriert.
"Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich in einer heißen Badewanne lag, was ich damals gerne tat, und in der heißen Badewanne lag ich dann drei Stunden und habe nachgedacht und habe das genossen. Und irgendwann in der heißen Badewanne, daran kann ich mich noch erinnern, kam mir ganz plötzlich, wie überfallartig, die Idee, das Glas zu malen. Und dann war plötzlich alles da - innerhalb von einer Minute. Alles, was ich damit verbunden habe und worüber ich jahrelang nachgedacht hatte: etwas zu machen, was einfach ist, was unendlich sozusagen sein könnte, also die ganze Idee mit dem Glas war innerhalb von einer Sekunde, oder eine Minute oder so, da."
Dann hat Peter Dreher den Prototypen gemalt und ihm die Nummer "Null" gegeben. Das Null-Glas sozusagen.
Es hätte auch alles ganz anders kommen können, wie so oft in dieser Generation. Als Peter Dreher neun Jahre alt war, starb sein Vater im Zweiten Weltkrieg. Der Junge kam auf eine Napola, eine nationalsozialistische Erziehungsanstalt für die künftige Elite.
"Es waren eigentlich die schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich habe unter diesem Druck gelitten. Ich habe meiner Mutter davon nichts gesagt - erst ein Jahr, nachdem der Krieg zu Ende war, und ich da raus kam, habe ich das meiner Mutter gesagt, wie unglücklich ich da war. Unter diesem dauernden Zwang. Und ich glaube, ein Leben lang hat mich der Wunsch geleitet, nie mehr in solche Zwänge zu geraten."
"Ich bin kein obsessiver Maler"
Wäre es nicht zur Befreiung gekommen, hätte er womöglich eine ganz andere Karriere gemacht.
"Das ist zweifellos richtig. Ich wäre jetzt wahrscheinlich Gouverneur von Irland oder so was, wenn das so weiter gegangen wäre."
So aber wurde er Kunst-Professor. Dass er ein Leben lang quasi Kunst in Serie malt - er kann es sich selbst nicht so richtig erklären.
"Ich bin einfach meiner Neigung nachgegangen zur Wiederholung, zur Beständigkeit, zum Immer-Wieder-Dem-Gleichen. Das ist ein Grundbedürfnis, von dem ich nicht weiß, wo es her kommt."
Was er allerdings weiß: dass es ihn schon als Kind fasziniert hat, wenn die Zeit still zu stehen schien.
"Unser Kindermädchen ist mit uns immer in den Park gegangen, der in der Nähe war. Und als sie mal einen anderen Weg ging als den üblichen, da habe ich angefangen zu weinen im meinem Kinderwagen und habe wieder den alten Weg gehen wollen. Also, anscheinend ist die Beständigkeit etwas, was mir einfach gegeben ist."
Und so sieht ein Arbeits-Tag von Peter Dreher aus: Peter Dreher steht um acht Uhr auf. Er nimmt sich Zeit fürs Frühstück. Manchmal sitzt er nur da an seinem Arbeitsplatz, schaut sich das Glas an, die Leinwand - und denkt darüber, was er da macht. Und dann beginnt er zu malen.
"Ich bin kein obsessiver Maler, ich male unter Umständen zehn Stunden am Tag, aber manchmal auch nur sechs. Je nachdem."
Peter Dreher hat auch Landschaften und Blumen gemalt, sein Opus Magnum aber ist und bleibt die Glas-Serie. Und selbstverständlich unterscheidet sich jedes Bild vom anderen. In jedem spiegelt sich das Atelier wider, das Wetter, die Stimmung des Malers, die Welt.
"Wenn ich die Gelegenheit habe, das Glas zu malen, dann ist das ein guter Tag für mich: wenn ich das Glas malen darf."
Tag um Tag guter Tag - sozusagen: Gute Tage in Serie.
"Ich liebe die Ich-Losigkeit".
Und die findet er im Atelier.
"Ja, das ist richtig. Wenn ich mich da an meinen Arbeitsplatz setze und mir das Glas anschaue, dann habe ich ein Gefühl von Heimkehr zu mir selbst."