Die Freiheit ist kein Geschenk des Himmels. Sie steht dir nicht zu, du hast keinen Anspruch auf sie, sie ist kein unveräußerlicher Zustand. Sie muss Tag für Tag verdient, gewonnen, geschützt und verteidigt werden.
Freimaurerloge im KZ Esterwegen
Ein ehemaliger Häftling besucht die Gedenkstätte des KZ Esterwegen. Dort kam es während der NS-Zeit zu einem außergewöhnlichen Miteinander von Freimaurern und Katholiken. © picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Hoffnung für die "Moorsoldaten"
08:48 Minuten
1943 gründen sieben Häftlinge im Konzentrationslager Esterwegen im Emsland die Freimaurerloge „Liberté Cherie“. Katholische Mithäftlinge helfen ihnen, die Treffen geheim zu halten. Doch nur zwei der Freimaurer erleben das Ende der Nazi-Herrschaft.
"Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss", ruft Faust in Goethes Drama aus. Ganz ähnlich sieht das rund 200 Jahre nach Goethe der Belgier Marc Deverver, Mitglied der Freimaurerloge "Les Amis Philanthropes" in Brüssel. In einem Buch seines Bruders Franz Bridoux über die Gründung der Loge "Liberté Chérie" im KZ Esterwegen schreibt er 2015 im Vorwort:
Mit diesen Worten erinnerte Deverver an den Mut von sieben Logenbrüdern, die 1943 um dieser Freiheit willen ihr Leben aufs Spiel setzten. "Unter den Bedingungen eines Konzentrationslagers", betont Norbert Mülleneisen, Mitglied in der Kölner Freimaurerloge "Ver Sacrum": "Sie müssen sich ja vorstellen: Sie haben nicht die legitime Machtanwendung einer demokratischen Regierung, die Sie ins Gefängnis steckt, sondern es war ja eine illegitime Gewaltanwendung." Mülleneisen hat sich seit Jahren mit der ungewöhnlichen Geschichte der Freimaurerloge im KZ Esterwegen befasst.
Lager in trister Moorlandschaft
Eine Moorlandschaft, so weit das Auge reicht. Dort im Emsland, einem Gebiet mit ausgedehnten Mooren, errichteten die Nationalsozialisten ab 1933 ein "System" von insgesamt 15 Konzentrationslagern. Unter ihnen das bekannteste: Esterwegen. Dort war der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky inhaftiert, der 1938 an den Folgen der Haft starb. Und dort entstand das berühmte Lied von den "Moorsoldaten".
"Diese KZs sind ja sehr früh entstanden, Esterwegen war das zweitgrößte", erklärt Norbert Mülleneisen. "Zu Beginn der Nazizeit waren da politische Gefangene inhaftiert, auch Homosexuelle, und die wurden dort durch Arbeit, Aushungern, aber auch durch Folter gequält und in den Tod getrieben. Dies ist dann im Krieg mehr und mehr umgewandelt worden in ein Lager für Widerständler und Résistance-Kämpfer." Die als Folge des sogenannten „Nacht-und-Nebel-Erlasses“ vom Dezember 1941 dort eingeliefert worden waren.
Menschen verschwanden bei Nacht und Nebel
Dabei handelte es sich um Widerstandskämpfer aus von Deutschen besetzten Ländern, die heimlich abgeurteilt, nach Deutschland verschleppt und dort in Konzentrationslager gesperrt worden waren.
"In diesen sogenannten 'Nacht-und-Nebel-Aktionen' hat man strikt vermieden, dass die Angehörigen irgendeine Information erhalten", erläutert Mülleneisen. "Und diese Brüder haben sich zufällig dort getroffen - einige kannten sich von früher, weil sie in der gleichen Loge waren."
Die in Esterwegen inhaftierten Freimaurer waren ein bunt zusammengewürfeltes Grüppchen: Da war Paul Hanson, ein Friedensrichter aus der Gegend von Lüttich, Dr. Franz Rochat, ein Apotheker und Universitätsdozent aus St. Gilles, ein deutsch-schweizerischer Pharma-Vertreter.
Norbert Mülleneisen nennt weitere Namen: "Dann gabs einen Studienrat: Amédé Miclotte. Der war verhaftet worden, weil er dem Widerstand angehörte. Es gab einen ehemaligen Offizier der belgischen Armee: Jean De Schrijver. Der war Kabinettschef im Verteidigungsministerium gewesen und war wegen Spionage und Waffenbesitzes festgenommen worden. Und Luc Somerhausen, der war Journalist und einer der wenigen, die überlebt haben – und die haben später davon berichtet."
Hunger, Folter und Hinrichtungen
Die Lebensbedingungen in Esterwegen waren unmenschlich: Hunger, Folter, Hinrichtungen, katastrophale hygienische Verhältnisse und schwerste Arbeitseinsätze bestimmten den Lageralltag. Von einem der Aufseher ist diese Aussage überliefert:
"Hier gibt es keine Kranken, es gibt nur Gesunde oder Tote. Kranke sind der Gesellschaft nicht nützlich. Nichtproduktive Menschen müssen von selbst gesund werden oder verschwinden. Man müsste sagen: Sollen sie krepieren!"
Da Luc Somerhausen Mitglied der Loge "Action et Solidarité" war und die Abläufe am besten kannte, scheint er die treibende Kraft zur Gründung der Loge gewesen zu sein. Ein zusätzliches Wagnis, denn bereits 1935 war die Freimaurerei von den Nationalsozialisten verboten worden. Die Logengründung geschah denn auch unter strengster Geheimhaltung: in der Baracke 6, am Tisch 3. Dort mussten die Häftlinge Patronen sortieren. Entscheidend für die Gründung einer Loge sei gewesen, dass dafür kein sakraler Raum erforderlich sei, sagt Norbert Mülleneisen.
Wir brauchen keine Kirche, sondern wir können jeden Ort, ein Hinterzimmer in einer Kneipe oder auch eine Baracke im KZ, zu einem Freimaurertempel machen.
Der Name der Loge "Liberté Chérie", "Geliebte Freiheit", war wohl angelehnt an eine Strophe der Marseillaise. "Unter den Bedingungen eines Konzentrationslagers hat ja dieser Titel eine ganz besondere Bedeutung", sagt Mülleneisen.
Freimaurer und Priester riskierten ihr Leben
Wie "funktionsfähig" die Logenarbeit damals war, können wir nur vermuten. Genaue Aufzeichnungen darüber sind verloren gegangen. Es gab Gesprächskreise, in denen Themen wie Freiheit, Toleranz und Brüderlichkeit diskutiert wurden, berichtet Norbert Mülleneisen. Und getreu den freimaurerischen Idealen seien auch gelebte Hilfe und Solidarität praktiziert worden:
"Ich bin sehr sicher, dass man auch Lebensmittel geteilt hat und all diese Dinge, die man in Solidarität mit anderen Mitgefangenen dort tut, so man es kann."
Mit jedem Ritual, jedem Trostwort oder jedem geteilten Stück Brot, riskierten die Brüder ihr Leben. Beschützt wurden ihre Zusammenkünfte von einem Grüppchen katholischer Priester, die damit ebenfalls ihr Leben aufs Spiel setzten. Ein außergewöhnliches Miteinander. Denn die Haltung der katholischen Kirche zur Freimaurerei war durch Feindseligkeit, Konflikte und Ablehnung geprägt.
Ein Licht in der Finsternis
Seit dem 18. Jahrhundert hatten Päpste - etwa Leo XIII. - die Freimaurer als Geheimbündler, Häretiker und Feinde des Glaubens gebrandmarkt. Loge und Altar? Für die Kirche undenkbar, sagt Norbert Mülleneisen:
"Es gibt eine Bulle von Papst Leo, der schon früh die Freimaurerei für eine Pseudokirche erklärt hat. Völliger Blödsinn, aber man fühlte sich eben bedrängt. Das ist leider auch unter Ratzinger noch weitergeführt worden."
Der hatte als Präfekt der Glaubenskongregation noch 1983 bündig formuliert: "Ein Katholik kann nicht Freimaurer sein!" Eine Aussage, die er offenbar auch nie revidiert hat. Die Loge "Liberté Chérie" bestand nur bis zum Frühjahr 1944, weil die Mitglieder in andere Lager und Gefängnisse verlegt wurden.
Von den sieben Logengründern erlebten nur zwei das Ende der Nazi-Herrschaft. In den Worten eines heutigen Freimaurers war die Loge "Liberté Chérie": "Ein Licht der Freimaurerei in tiefster Finsternis".