Freiheitsstatue und "Hunger Games"

Was taugt als Bild für Freiheit?

08:45 Minuten
Fünf Hände mit dem Drei-Finger-Gruß, während sie Blumen zum Gedenken an die Opfer der gewaltsamen Proteste gegen die Machtübernahme des Militärs am 1. Februar halten. Menschen in Myanmar legten die Blumen an öffentlichen Plätzen zum Gedenken an die Opfer der gewaltsamen Proteste gegen die Machtübernahme des Militärs am 1. Februar nieder. Die Organisatoren riefen zu einem "Blumenstreik" auf und sagten, dass diese an Orten wie Parks und Bushaltestellen niedergelegt werden sollten, um der "Helden zu gedenken, die nicht mehr nach Hause zurückkehren können".
Jörg Heiser sieht im Rebellengruß aus der Filmreihe "Hunger Games", den die Protestierenden in Myanmar benutzen, als ein Symbol für Befreiung. © picture alliance / ZUMAPRESS / Theint Mon Soe
Jörg Heiser im Gespräch mit Timo Grampes · 07.04.2021
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Bilder können Gemeinschaft stiften, meint der Kunstkritiker Jörg Heiser. In seinem neuesten Essay beschreibt er, wie Bilder zur Befreiung beitragen können. Andere wiederum würden nur behaupten, etwas mit Freiheit zu tun zu haben - und das Gegenteil bewirken.
Die Freiheitsstatue ist der Klassiker, wenn man an Symbole für die Freiheit denkt. Sie ziert zahlreiche Kaffeetassen und T-Shirts und auch bei der Wahl und Abwahl Donald Trumps griffen viele Karikaturisten und Illustratoren darauf zurück. Der Kunstkritiker Jörg Heiser hat sich in seinem Essay "Freiheit ist kein Bild" Gedanken über Bilder, die für Freiheit - und Unfreiheit - stehen, gemacht.
"Wir brauchen [...] Gegenbilder, die der Regression mit neuen Momenten von Befreiung trotzen." Dieses Zitat hat Heiser seinem Text vorangestellt. "Das sind Bilder, die oft auch was mit Humor zu tun haben. Es sind Bilder, die eben Gemeinschaft stiften, im Sinne von Solidarität und Rücksichtnahme", erklärt er.
Er nennt die Protestierenden in Myanmar als aktuelles Beispiel, die den Rebellengruß aus der Filmreihe "Hunger Games" als Symbol ihres Widerstands gegen das Militärregime benutzen. Oder den sogenannten "Standing Man", der sich nach der Räumung des Gezi-Parks in Istanbul auf den nahegelegenen Taksim-Platz stellte. Dessen Bild ging viral - und am nächsten Tag standen Hunderte dort.

Formen zivilen Ungehorsams

"Das sind eben Leute, die selber in Aktion treten", sagt Heiser. "Es sind Formen zivilen Ungehorsams." Er verweist auf eine lange Geschichte der Allegorien der Freiheit. So habe 800 vor Christus die Selbsttötung von Lucretia, die sich nach der Schändung durch einen etruskischen Tyrannen selbst erdolchte, der Legende zufolge zum Aufstand und letztlich zur Gründung der römischen Republik geführt.
Daneben gebe es Bilder, die von sich behaupten, etwas mit Freiheit zu tun zu haben, seines Erachtens jedoch das genaue Gegenteil bedeuten - wie jene von der Erstürmung des Kapitols. Dort hätten sich Leute zusammengefunden "im Brustton des revolutionären Kämpfens für eine Freiheit, die aber nur ihre eigene bedeutet", zum Beispiel keine Rücksicht zu nehmen auf Corona-Kranke oder Menschen anderer Identität. Sie hätten das Recht des vermeintlich Stärkeren letztlich als Freiheit definiert.
"Das ist natürlich genau diese Art von Regression, die ich meine", sagt Heiser, "also ein Zurückschreiten hinter das, was eigentlich mal als Verständnis von Freiheit in einem demokratischen und politischen Sinne gemeint war."
(cwu)

Jörg Heiser: "Freiheit ist kein Bild"
Textem Verlag, Hamburg 2021
128 S., 10 Euro

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