Freiheit verpflichtet
Zum Wunsch nach individueller Freiheit gehört die Pflicht zur sozialen Verantwortung, sagt der Philosoph Claus Dierksmeier - und schiebt nach: Welchen Wert hat eine Freiheit, die uns sinnentleerten Konsum einräumt, aber versäumt, eine intakte Lebenswelt zu erhalten?
Wie viel Freiheit soll es denn bitte sein? Diese Frage wird in Deutschland immer wieder diskutiert. Ob es um das Betreuungsgeld geht, um die europäische Glühbirnenverordnung, die Überwachung des Internets oder eine Reichensteuer, immer wieder kochen die Emotionen hoch: Die einen schränken Freiheit ein, die anderen stemmen sich dagegen.
Aber die Diskussion über mehr oder weniger, größere oder kleinere Freiheit ist nicht besonders fruchtbar.
Denn dabei wird Freiheit nur quantitativ verstanden – nicht qualitativ. Im quantitativen Verständnis gilt so schlicht wie schlecht der Leitsatz "je mehr, desto besser". Also: möglichst viele Optionen, möglichst weitgehende Freiheiten. Indem Freiheitseinschränkungen reduziert werden, würde Freiheit maximiert, heißt es. Das klingt erst mal sinnvoll.
Aber dahinter steckt ein problematisches Bild: Optionen hier und Einschränkungen da werden zu Gegenständen eines rationalen Tauschhandels – "wie Du mir, so ich Dir". Rechte und Chancen werden dem anderen gegenüber nur unter Bedingungen, nicht unbedingt zugestanden.
Bei diesem auf Maximierung zielenden Handel fehlt bisweilen aber ein rationaler Tauschvorteil für die Berücksichtigung der Belange von Schwachen, Unterprivilegierten, Diskriminierten sowie der Umwelt und der Nachwelt.
Verlierer sind am Ende alle. Denn auch Reiche können ihre quantitative Freiheit nicht gut ausleben in verpesteter Luft und hinter hohen Mauern, die sie gegen die Hungrigen und Aufgebrachten vor ihrer Tür schützen sollten.
Wer echte Freiheit möchte, wird nicht umhin kommen, Freiheit qualitativ zu bestimmen. Das heißt zu fragen: wessen und welche Freiheit?
Es kommen so die jeweiligen Voraussetzungen, Konsequenzen und Zwecke von Freiheiten in den Blick. Die Idee der qualitativen Freiheit folgt dabei dem Leitbild eines "je besser, desto mehr". Einige gute Optionen sind vielen schlechten vorzuziehen. Nicht nur auf die Masse, vor allem auf die Klasse unserer Optionen kommt es an.
Am Beispiel heißt das: Was hat man von einem leicht niedrigeren Steuersatz, wenn dafür das Geld fehlt, die Straßen in Stand zu halten und man den Tag im Stau verbringt? Und welchen Wert hat eine Freiheit, die zunehmend sinnentleerten Konsum einräumt, aber versäumt, eine kulturell und ökologisch intakte Lebenswelt zu erhalten? Wozu eine Freiheit, die niemand anders freisetzt, und sich weigert, soziale Verantwortung zu übernehmen?
Kurz: Das Maximieren unserer Optionen kann ihrem Optimieren im Wege stehen; das Streben Einzelner nach immer mehr Freiheiten dem gemeinsamen Erleben besserer Freiheit zuwiderlaufen.
Wir sollten daher mehr über die Qualität unserer Freiheit debattieren. Weniger ein quantitatives Abwiegen unserer Optionen tut not als vielmehr deren qualitatives Abwägen. Auf die kritische Unterscheidung zwischen sinnlosen und sinnvollen Freiheiten kommt es an.
Autonomie, nicht Autarkie; Chancengeben, nicht Besitzstandswahrung; Politikgestaltung statt Politikverweigerung, das sollten die Zielsetzungen von Liberalen sein. Leider fehlt unserer Politik eine Kraft, die sich diesem Freiheitsverständnis verpflichtet. Einer solchen Partei aber gehört die Zukunft – weil sie nach einer besseren Zukunft für alle strebt.
Claus Dierksmeier, 1971 geboren, studierte Philosophie in Hamburg und Jena, wo er sich 2002 habilitierte, wurde danach Professor am Institut für Philosophie des Stonehill College in Boston. Dort arbeitete er später auch als Forschungsdirektor des Sustainable Management and Measurement Institutes (SUMMIT) und als "Distinguished Professor for Globalization Ethics". Seit April 2012 leitet er das Weltethos-Institut an der Universität Tübingen. Zudem gehört er zum Vorstand des internationalen Think Tanks "The Humanistic Management Network" und ist Academic Director des Humanistic Management Center in Berlin.
Aber die Diskussion über mehr oder weniger, größere oder kleinere Freiheit ist nicht besonders fruchtbar.
Denn dabei wird Freiheit nur quantitativ verstanden – nicht qualitativ. Im quantitativen Verständnis gilt so schlicht wie schlecht der Leitsatz "je mehr, desto besser". Also: möglichst viele Optionen, möglichst weitgehende Freiheiten. Indem Freiheitseinschränkungen reduziert werden, würde Freiheit maximiert, heißt es. Das klingt erst mal sinnvoll.
Aber dahinter steckt ein problematisches Bild: Optionen hier und Einschränkungen da werden zu Gegenständen eines rationalen Tauschhandels – "wie Du mir, so ich Dir". Rechte und Chancen werden dem anderen gegenüber nur unter Bedingungen, nicht unbedingt zugestanden.
Bei diesem auf Maximierung zielenden Handel fehlt bisweilen aber ein rationaler Tauschvorteil für die Berücksichtigung der Belange von Schwachen, Unterprivilegierten, Diskriminierten sowie der Umwelt und der Nachwelt.
Verlierer sind am Ende alle. Denn auch Reiche können ihre quantitative Freiheit nicht gut ausleben in verpesteter Luft und hinter hohen Mauern, die sie gegen die Hungrigen und Aufgebrachten vor ihrer Tür schützen sollten.
Wer echte Freiheit möchte, wird nicht umhin kommen, Freiheit qualitativ zu bestimmen. Das heißt zu fragen: wessen und welche Freiheit?
Es kommen so die jeweiligen Voraussetzungen, Konsequenzen und Zwecke von Freiheiten in den Blick. Die Idee der qualitativen Freiheit folgt dabei dem Leitbild eines "je besser, desto mehr". Einige gute Optionen sind vielen schlechten vorzuziehen. Nicht nur auf die Masse, vor allem auf die Klasse unserer Optionen kommt es an.
Am Beispiel heißt das: Was hat man von einem leicht niedrigeren Steuersatz, wenn dafür das Geld fehlt, die Straßen in Stand zu halten und man den Tag im Stau verbringt? Und welchen Wert hat eine Freiheit, die zunehmend sinnentleerten Konsum einräumt, aber versäumt, eine kulturell und ökologisch intakte Lebenswelt zu erhalten? Wozu eine Freiheit, die niemand anders freisetzt, und sich weigert, soziale Verantwortung zu übernehmen?
Kurz: Das Maximieren unserer Optionen kann ihrem Optimieren im Wege stehen; das Streben Einzelner nach immer mehr Freiheiten dem gemeinsamen Erleben besserer Freiheit zuwiderlaufen.
Wir sollten daher mehr über die Qualität unserer Freiheit debattieren. Weniger ein quantitatives Abwiegen unserer Optionen tut not als vielmehr deren qualitatives Abwägen. Auf die kritische Unterscheidung zwischen sinnlosen und sinnvollen Freiheiten kommt es an.
Autonomie, nicht Autarkie; Chancengeben, nicht Besitzstandswahrung; Politikgestaltung statt Politikverweigerung, das sollten die Zielsetzungen von Liberalen sein. Leider fehlt unserer Politik eine Kraft, die sich diesem Freiheitsverständnis verpflichtet. Einer solchen Partei aber gehört die Zukunft – weil sie nach einer besseren Zukunft für alle strebt.
Claus Dierksmeier, 1971 geboren, studierte Philosophie in Hamburg und Jena, wo er sich 2002 habilitierte, wurde danach Professor am Institut für Philosophie des Stonehill College in Boston. Dort arbeitete er später auch als Forschungsdirektor des Sustainable Management and Measurement Institutes (SUMMIT) und als "Distinguished Professor for Globalization Ethics". Seit April 2012 leitet er das Weltethos-Institut an der Universität Tübingen. Zudem gehört er zum Vorstand des internationalen Think Tanks "The Humanistic Management Network" und ist Academic Director des Humanistic Management Center in Berlin.

Claus Dierksmeier, Leiter des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen© privat