Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit
Nach Einschätzung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller werden Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit als Grundwerte weiterhin die Union prägen. Das seien die klassischen, aus dem christlichen Menschenbild abgeleiteten Werte der Union, sagte der CDU-Politiker. Mit einer Sozialdemokratisierung habe das nichts zu tun. Zudem gehe er davon aus, dass die soziale Marktwirtschaft auch künftig einen großen Stellenwert im Grundsatzprogramm der Union haben werde.
Degenhardt: Herr Müller, Frau Merkel hat gestern auch gesagt, nur noch eine Minderheit der Gesellschaft empfinde die Marktwirtschaft als gerecht. Welchen Platz bekommt sie dennoch im neuen Grundsatzprogramm?
Müller: Ich glaube, dass die soziale Marktwirtschaft einen zentralen Platz im neuen Grundsatzprogramm haben wird. Der Umstand, dass die demoskopischen Daten Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft ausweisen, führt nicht dazu, dass das Prinzip falsch ist. Notwendig ist sicherlich, dieses Prinzip auch unter den Bedingungen der Globalisierung noch einmal durchzudeklinieren, und notwendig ist es, aufzuzeigen, dass die Marktwirtschaft das Wirtschaftsmodell ist, das soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in am besten geeigneter Weise miteinander verbindet.
Degenhardt: Aber steht die Politik nicht gerade der Globalisierung gewissermaßen ohnmächtig gegenüber. Also wenn zum Beispiel amerikanische Autobauer Firmenteile in Deutschland schließen, dann kann die Politik das doch höchstens sozial abfedern, aber die Entlassungen letztendlich nicht verhindern.
Müller: Wirtschaft ist Sache der Wirtschaft. Der Staat kann Rahmenbedingungen setzen. Deshalb sollte auch der Staat nicht den Anspruch erheben, dass er das Wirtschaftsgeschehen umfänglich leiten kann. Wir haben ja mal Staaten gehabt, die das versucht haben, die sind alle gescheitert, das waren die alten Ostblockstaaten. Ich glaube, dass die Grundsatzdebatte auch dazu benutzt werden kann, deutlich zu machen, dass die Einflussmöglichkeiten von Politik in einer Gesellschaft begrenzt sind. Da gibt es auch andere Kräfte, die wirken und die ihre Verantwortung wahrnehmen müssen.
Degenhardt: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Das waren die Schlagworte, die man gestern auf der Wertekonferenz immer wieder gehört hat. Das klingt für nicht wenige Beobachter auch ein wenig nach einer weiteren Sozialdemokratisierung Ihrer Partei.
Müller: Nein, das sind die alten klassischen Grundwerte der Union, die aus dem christlichen Menschenbild abgeleitet werden. Diese Grundwerte haben sich nicht verändert. Allerdings muss man noch einmal über das Verhältnis dieser Grundwerte reden, und da ist es unsere Überzeugung, dass im Zweifel die Freiheit ein sehr wichtiger, zentraler Wert ist. In der Abwägung zwischen Freiheit und Gleichheit stehen Christdemokraten eher auf der Seite der Freiheit.
Degenhardt: Wie können Sie über all diese Themen wirklich frei reden, wenn Sie gleichzeitig in Berlin regieren? Behindert das eine nicht das andere?
Müller: Es ist sicherlich so, dass diese Grundsatzprogrammdebatte an einigen Punkten zu Ergebnissen kommen kann und nach meiner Überzeugung auch kommen wird, die mit den Kompromissen, zu denen sie in einer großen Koalition gezwungen sind, nicht übereinstimmen Trotzdem halte ich es für notwendig und für richtig, das zu tun. Denn durch die große Koalition hat die CDU ja ihre eigene Identität – und das ist eine andere als diejenige der Sozialdemokraten – nicht verloren. Diese muss den Menschen auch vermittelt werden. Wir werden in einer Reihe von Themenfeldern in der Koalition nicht das umsetzen, was aus unserer Sicht notwendig ist, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Dafür wollen wir weiter werben, und da wird auch die Grundsatzdebatte ihre Bedeutung haben.
Degenhardt: Frau Merkel hat meines Wissens gestern nur indirekt von einer Leitkultur gesprochen. Wie aktuell ist das Thema für Ihre Partei, auch im Rahmen dieser Grundsatzdiskussion, gerade wo derzeit viel vom "Kampf der Kulturen" die Rede ist? Hilft da eine Leitkultur weiter?
Müller: Ich glaube, dass jede Gesellschaft Prinzipien haben muss, nach denen sie sich organisiert. Ob ich das jetzt unter den Begriff der Leitkultur oder des Leitbildes stelle, ist nicht entscheidend. Ich glaube auch, dass dies dann kein nationales Leitbild sein wird, sondern ein europäisches Leitbild, an dem man sich orientiert, das aber für unsere Politik zentral ist: das christliche Menschenbild, die Freiheit, die Gerechtigkeit, insbesondere die Chancengerechtigkeit, die solidarische Ausgestaltung des Zusammenlebens, die Menschenrechte. Das lässt sich überhaupt nicht bestreiten, und natürlich ist das ein Leitbild, an dem sich der Aufbau unserer Gesellschaft orientiert.
Degenhardt: Inwieweit gehört zu dieser Leitbilddiskussion auch die Toleranz derjenigen, die eine andere Vorstellung zum Beispiel auch von Religion haben?
Müller: Selbstverständlich ist Bestandteil dieses Leitbilds die Religionsfreiheit. Jeder soll an den Gott glauben, an den er möchte, und wenn jemand an keinen Gott glauben möchte, dann soll er auch dieses tun können. Aber natürlich hat die Toleranz Grenzen, und Grenzen der Toleranz sind immer dann erreicht, wenn es um die Freiheit des Anderen, wenn es um die Freiheit des Dritten geht, und die gilt es zu verteidigen.
Degenhardt: In dem Zusammenhang möchte ich noch mal nachfragen, wenn wir über Grundwerte reden und zum Beispiel die Religionsfreiheit einerseits meinen und andererseits die Pressefreiheit. Reicht es denn, zu beiden einfach nur "Ja" zu sagen?
Müller: Ich glaube nicht, dass es reicht, denn wir haben ja im Karikaturenstreit gesehen, dass beide Prinzipien zueinander in Konflikt treten können, und dann ist natürlich die Frage, wie die Grenzziehung vorgenommen wird. Selbstverständlich kann auf jede Verletzung einer Freiheit die Antwort nicht in Gewalt bestehen. Deshalb sind die gewalttätigen Reaktionen im Karikaturenstreit nicht akzeptabel. Ich glaube darüber hinaus aber auch, dass in dieser Diskussion aufeinander getroffen sind fundamentalistische Tendenzen auf der einen Seite, die halte ich nicht für akzeptabel, und die Wertebeliebigkeit in Europa auf der anderen Seite. Und das ist auch ein Punkt, der aus meiner Sicht bedenkenswert ist. Ich glaube schon, dass Europa sich deutlicher, offensiver zu seinen Prinzipien bekennen muss.
Degenhardt: Gehört dazu auch, dass man einen Film wie "Tal der Wölfe", der offensichtlich antisemitische, antiamerikanische Vorurteile befördert, dass man diesen, der derzeit sehr erfolgreich in Deutschland läuft, dass man diesen verbietet, wie das beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Herr Stoiber möchte?
Müller: Also ich habe den Film nicht gesehen. Ich habe nur über den Film gelesen. Deshalb ist es natürlich schwierig, über den Film zu urteilen. Ich will grundsätzlich dazu sagen, antisemitische Filme sind nicht zu akzeptieren, sind zu kritisieren. Das ist völlig egal, wer sie gemacht hat. Rassistische Filme sind zu kritisieren, egal gegen wen der Rassismus sich richtet. Kritisieren ist das eine, Verbieten ist das andere. Ich glaube, da haben wir eine klare Grenze, die ist erreicht dann, wenn zum Rassenhass aufgestachelt wird. Ob das das Ziel dieses Filmes ist, weiß ich nicht. Dasjenige, was ich gelesen habe, ist widersprüchlich. Deshalb müsste man sich den Film anschauen. Jedenfalls ist der Film ja zugelassen worden durch die Prüfstelle, und deshalb gehe ich davon aus, dass das eine fundierte Entscheidung ist.
Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch.
Müller: Ich glaube, dass die soziale Marktwirtschaft einen zentralen Platz im neuen Grundsatzprogramm haben wird. Der Umstand, dass die demoskopischen Daten Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft ausweisen, führt nicht dazu, dass das Prinzip falsch ist. Notwendig ist sicherlich, dieses Prinzip auch unter den Bedingungen der Globalisierung noch einmal durchzudeklinieren, und notwendig ist es, aufzuzeigen, dass die Marktwirtschaft das Wirtschaftsmodell ist, das soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in am besten geeigneter Weise miteinander verbindet.
Degenhardt: Aber steht die Politik nicht gerade der Globalisierung gewissermaßen ohnmächtig gegenüber. Also wenn zum Beispiel amerikanische Autobauer Firmenteile in Deutschland schließen, dann kann die Politik das doch höchstens sozial abfedern, aber die Entlassungen letztendlich nicht verhindern.
Müller: Wirtschaft ist Sache der Wirtschaft. Der Staat kann Rahmenbedingungen setzen. Deshalb sollte auch der Staat nicht den Anspruch erheben, dass er das Wirtschaftsgeschehen umfänglich leiten kann. Wir haben ja mal Staaten gehabt, die das versucht haben, die sind alle gescheitert, das waren die alten Ostblockstaaten. Ich glaube, dass die Grundsatzdebatte auch dazu benutzt werden kann, deutlich zu machen, dass die Einflussmöglichkeiten von Politik in einer Gesellschaft begrenzt sind. Da gibt es auch andere Kräfte, die wirken und die ihre Verantwortung wahrnehmen müssen.
Degenhardt: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Das waren die Schlagworte, die man gestern auf der Wertekonferenz immer wieder gehört hat. Das klingt für nicht wenige Beobachter auch ein wenig nach einer weiteren Sozialdemokratisierung Ihrer Partei.
Müller: Nein, das sind die alten klassischen Grundwerte der Union, die aus dem christlichen Menschenbild abgeleitet werden. Diese Grundwerte haben sich nicht verändert. Allerdings muss man noch einmal über das Verhältnis dieser Grundwerte reden, und da ist es unsere Überzeugung, dass im Zweifel die Freiheit ein sehr wichtiger, zentraler Wert ist. In der Abwägung zwischen Freiheit und Gleichheit stehen Christdemokraten eher auf der Seite der Freiheit.
Degenhardt: Wie können Sie über all diese Themen wirklich frei reden, wenn Sie gleichzeitig in Berlin regieren? Behindert das eine nicht das andere?
Müller: Es ist sicherlich so, dass diese Grundsatzprogrammdebatte an einigen Punkten zu Ergebnissen kommen kann und nach meiner Überzeugung auch kommen wird, die mit den Kompromissen, zu denen sie in einer großen Koalition gezwungen sind, nicht übereinstimmen Trotzdem halte ich es für notwendig und für richtig, das zu tun. Denn durch die große Koalition hat die CDU ja ihre eigene Identität – und das ist eine andere als diejenige der Sozialdemokraten – nicht verloren. Diese muss den Menschen auch vermittelt werden. Wir werden in einer Reihe von Themenfeldern in der Koalition nicht das umsetzen, was aus unserer Sicht notwendig ist, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Dafür wollen wir weiter werben, und da wird auch die Grundsatzdebatte ihre Bedeutung haben.
Degenhardt: Frau Merkel hat meines Wissens gestern nur indirekt von einer Leitkultur gesprochen. Wie aktuell ist das Thema für Ihre Partei, auch im Rahmen dieser Grundsatzdiskussion, gerade wo derzeit viel vom "Kampf der Kulturen" die Rede ist? Hilft da eine Leitkultur weiter?
Müller: Ich glaube, dass jede Gesellschaft Prinzipien haben muss, nach denen sie sich organisiert. Ob ich das jetzt unter den Begriff der Leitkultur oder des Leitbildes stelle, ist nicht entscheidend. Ich glaube auch, dass dies dann kein nationales Leitbild sein wird, sondern ein europäisches Leitbild, an dem man sich orientiert, das aber für unsere Politik zentral ist: das christliche Menschenbild, die Freiheit, die Gerechtigkeit, insbesondere die Chancengerechtigkeit, die solidarische Ausgestaltung des Zusammenlebens, die Menschenrechte. Das lässt sich überhaupt nicht bestreiten, und natürlich ist das ein Leitbild, an dem sich der Aufbau unserer Gesellschaft orientiert.
Degenhardt: Inwieweit gehört zu dieser Leitbilddiskussion auch die Toleranz derjenigen, die eine andere Vorstellung zum Beispiel auch von Religion haben?
Müller: Selbstverständlich ist Bestandteil dieses Leitbilds die Religionsfreiheit. Jeder soll an den Gott glauben, an den er möchte, und wenn jemand an keinen Gott glauben möchte, dann soll er auch dieses tun können. Aber natürlich hat die Toleranz Grenzen, und Grenzen der Toleranz sind immer dann erreicht, wenn es um die Freiheit des Anderen, wenn es um die Freiheit des Dritten geht, und die gilt es zu verteidigen.
Degenhardt: In dem Zusammenhang möchte ich noch mal nachfragen, wenn wir über Grundwerte reden und zum Beispiel die Religionsfreiheit einerseits meinen und andererseits die Pressefreiheit. Reicht es denn, zu beiden einfach nur "Ja" zu sagen?
Müller: Ich glaube nicht, dass es reicht, denn wir haben ja im Karikaturenstreit gesehen, dass beide Prinzipien zueinander in Konflikt treten können, und dann ist natürlich die Frage, wie die Grenzziehung vorgenommen wird. Selbstverständlich kann auf jede Verletzung einer Freiheit die Antwort nicht in Gewalt bestehen. Deshalb sind die gewalttätigen Reaktionen im Karikaturenstreit nicht akzeptabel. Ich glaube darüber hinaus aber auch, dass in dieser Diskussion aufeinander getroffen sind fundamentalistische Tendenzen auf der einen Seite, die halte ich nicht für akzeptabel, und die Wertebeliebigkeit in Europa auf der anderen Seite. Und das ist auch ein Punkt, der aus meiner Sicht bedenkenswert ist. Ich glaube schon, dass Europa sich deutlicher, offensiver zu seinen Prinzipien bekennen muss.
Degenhardt: Gehört dazu auch, dass man einen Film wie "Tal der Wölfe", der offensichtlich antisemitische, antiamerikanische Vorurteile befördert, dass man diesen, der derzeit sehr erfolgreich in Deutschland läuft, dass man diesen verbietet, wie das beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Herr Stoiber möchte?
Müller: Also ich habe den Film nicht gesehen. Ich habe nur über den Film gelesen. Deshalb ist es natürlich schwierig, über den Film zu urteilen. Ich will grundsätzlich dazu sagen, antisemitische Filme sind nicht zu akzeptieren, sind zu kritisieren. Das ist völlig egal, wer sie gemacht hat. Rassistische Filme sind zu kritisieren, egal gegen wen der Rassismus sich richtet. Kritisieren ist das eine, Verbieten ist das andere. Ich glaube, da haben wir eine klare Grenze, die ist erreicht dann, wenn zum Rassenhass aufgestachelt wird. Ob das das Ziel dieses Filmes ist, weiß ich nicht. Dasjenige, was ich gelesen habe, ist widersprüchlich. Deshalb müsste man sich den Film anschauen. Jedenfalls ist der Film ja zugelassen worden durch die Prüfstelle, und deshalb gehe ich davon aus, dass das eine fundierte Entscheidung ist.
Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch.