Freiheit durch Sozialismus?

Von Richard Herzinger |
Gegen Oskar Lafontaine scheint derzeit kein politisches Kraut gewachsen. Der politische Widergänger, der sich mit seiner unrühmlichen Flucht aus der Verantwortung als Finanzminister und SPD-Vorsitzender bereits endgültig für politische Ämter disqualifiziert zu haben schien, verdankt sein schier unaufhaltsames Comeback nicht zuletzt seiner blitzkriegshaften Überrumpelungsrhetorik. Dass sie funktioniert und nicht nur die verunsicherte Sozialdemokratie sprachlos macht, ist dem fortschreitenden historischen Gedächtnisverlust in unserer postmodernen liberalen Gesellschaft geschuldet.
Ohne Hemmungen bedient sich Lafontaine der Terminologie der verflossenen realsozialistischen Herrschaftsideologie. Er beschwört das Feindbild des "internationalen Finanzkapitalismus" und preist einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", als dessen Vorreiter er den korrupten, halbdiktatorischen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez feiert. Dass Chávez sich spektakulär mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad verbrüdert hat, stört den neuen Chef der PDS-Nachfolgepartei "Die Linke" ebenso wenig wie die Tatsache, dass dieser "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" dem altbekannten Sozialismus des 20. Jahrhunderts verdächtig ähnelt.

Doch nur knapp zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers ist die kollektive Erinnerung an die niederschmetternde Wirklichkeit des realsozialistischen Systems bereits verblasst. Deshalb kann Lafontaine ideologische Ladenhüter aus der antidemokratischen Giftküche neu auftischen, ohne laute Aufschreie der Empörung hervorzurufen. So verstieg er sich kürzlich zu der These, "die Verstaatlichung von Energiequellen und der darauf aufbauenden Industrien" sowie die staatliche Kontrolle der Medien seien Voraussetzungen dafür, dass auch die sozial Schwachen in den Genuss von Freiheit kommen könnten. Mit solchen Argumenten haben sozialistische Systeme stets ihre Missachtung demokratischer Grundrechte gerechtfertigt.

Um seine anachronistischen Ideen unter das Volk zu bringen, zitiert Lafontaine gerne alle möglichen Autoritäten herbei. Er begnügt sich dabei freilich nicht mit Klassikern wie Rousseau oder Ikonen der sozialistischen Bewegung wie dem französischen Sozialistenführer Jean Jaurès, dessen Diktum vom Anfang des 20. Jahrhunderts, nach dem ´der Kapitalismus den Krieg in sich trage wie die Wolke den Regen´, er zitiert, als sei es ohne weiteres auf gegenwärtige Konflikte wie die im Irak und Afghanistan übertragbar. Als Kronzeugen für seine krude Imperialismustheorie benannte er in einem Artikel für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" jüngst auch niemanden anders Oswald Spengler, den nationalkonservativen Theoretiker des "Untergangs des Abendlandes". Schon 1933, so Lafontaine, habe der diagnostiziert, dass die Weltpolitik vom Kampf um Rohstoffquellen gekennzeichnet sei.

Woraus Lafontaine ohne Nennung der Quelle zitiert, ist die Schrift "Jahre der Entscheidung", mit der Spengler auf die Machtergreifung Hitlers reagierte. Zwar distanzierte sich Spengler darin von der nationalsozialistischen Rassenideologie, die von Hitler ausgelöste "nationale Revolution" begrüßte der eingefleischte Gegner der Weimarer Republik jedoch emphatisch. Der Zweck dieser Schrift war das genaue Gegenteil dessen, was der angebliche Kriegsgegner Lafontaine mit seiner aus dem historischen Zusammenhang gerissenen Zitierung suggeriert. Spengler wollte damit den Imperialismus keineswegs verurteilen, sondern begründen, warum Deutschland nunmehr mit allen Mitteln den ihm angeblich zustehenden Platz unter den imperialistischen Mächten erkämpfen müsse.

Dass Lafontaine sich in seiner rhetorischen Raserei gegen den westlichen "Kapitalismus" auch ungeniert solcher faschistischer Quellen bedient, blieb in der Öffentlichkeit unkommentiert. Lafontaine kann sich auf die Geschichtsvergessenheit der breiteren Öffentlichkeit verlassen. Freilich hat sein willkürliches Aufrufen von vermeintlich autoritativen Gewährsleuten aus der Geistesgeschichte auch Methode: In seine linkssozialistische Rhetorik integriert er regelmäßig nationalistische Untertöne, um auch für eine Wählerklientel am rechten Rand attraktiv zu wirken.

Seltsam ist freilich, dass diese Methode nicht innerhalb der Linkspartei selbst deutlicher artikuliertes Unbehagen hervorruft. Speziell die jüngeren "Reformer" der Ex-PDS hatten sich jahrelang bemüht, ihr antidemokratisches Image als SED-Nachfolgepartei abzustreifen und Anschluss an den Diskurs der pluralistischen Moderne zu finden. Lafontaine treibt sie jetzt in die Ecke des ideologischen Obskurantismus zurück.


Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
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