Freihandelsabkommen

Polenz sieht "große Wachstumsimpulse"

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Gabi Wuttke · 26.03.2014
Für Ruprecht Polenz, früherer Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, hat das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP mehrere Vorteile: Neben Wirtschaftswachstum wären damit Jobs "auf beiden Seiten des Atlantiks" verbunden.
Gabi Wuttke: Als wie unausgegoren zeigt sich die transatlantische Sicherheitspolitik angesichts der russischen Herausforderung. Was bringt es uns Europäern, dass die NSA den Telefonverkehr in den USA nicht mehr überwachen soll? Unter welchen Bedingungen wird es ein Freihandelsabkommen mit den USA geben? Viele Fragen stellen sich derzeit zum Verhältnis zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika über das heute in Brüssel auf einem Gipfeltreffen zu Rate gesessen wird.
Wir wollen es mit Ruprecht Polenz besprechen. Der Christdemokrat hat viele Jahre als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für auswärtige Politik fungiert. Heute ist er Vorsitzender des Vereins zur Förderung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Einen schönen guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Wie ist es für Sie derzeit um diese Partnerschaft bestellt?
Polenz: Ich glaube, dass die Bemühungen um ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA zeigen, dass man einen neuen Impuls setzen will, wenn auch auf einem schwierigen Feld. Die Diskussionen darüber sind nicht einfach, weil sie den Wettbewerb natürlich dann auch zwischen Vancouver, sage ich jetzt mal und der polnischen Ostgrenze erhöhen werden, was die Wirtschaft angeht. Das hat man zwar abstrakt ganz gerne, aber konkret dann vielleicht doch nicht.
Deshalb gibt es auch viele Widerstände. Trotzdem glaube ich, wenn es gelingen würde, wären damit, das sagen auch Experten, große Wachstumsimpulse und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks verbunden. Also, man bemüht sich, ein neues, zusätzliches Kapitel aufzuschlagen, was die Beziehungen verbindet, und die aktuelle Entwicklung rund um die Krim und die Ukrainekrise hat doch gezeigt, dass Fragen der gemeinsamen Sicherheit eine größere Rolle spielen, als man das früher gedacht hat.
"Natürlich sollen Europäer nicht irgendetwas essen, was sie nicht wollen"
Wuttke: Nehmen wir mal den Impuls auf, von dem Sie eben gesprochen haben, und gehen wir mal etwas weiter als das, was für uns Verbraucher jetzt erst mal sozusagen ins Auge sticht, nämlich, dass wir mit einem Freihandelsabkommen demnächst in den Supermärkten Gummihähnchen kaufen könnten und müssten - ist tatsächlich dieses Freihandelsabkommen dazu geeignet, das zu zeigen, was nach der NSA-Affäre viele in Deutschland fordern – dass man sich von den USA emanzipieren müsse?
Polenz: Also zunächst einmal, was nun den Verbraucherschutz angeht: Wir sind ja, jedenfalls viele Europäer auch als Touristen in den USA unterwegs, in der Regel kommen sie gesund wieder. Und die Amerikaner sagen, wir sind als Verbraucher durch unsere Methoden, Verbraucherschutz zu betreiben, auch geschützt. Und natürlich sollen Europäer nicht irgendetwas essen, was sie nicht wollen, und deshalb wird sicherlich über Deklarierungspflichten dafür Sorge getragen, dass man beispielsweise genau weiß, welche Standards bei der Produktion hergestellt worden sind.
Aber Sie haben in einem Punkt sicher recht: Wegen dieser komplexen Materie wird es bei der gemeinsamen Zugangsregelung oft darauf raus laufen, dass man akzeptiert, sozusagen die Schutzrechte, die die andere Seite, oder die Schutzverpflichtungen, die die andere Seite für ausreichend hält.
Das würde dann aber beispielsweise auch gelten, also das, was wir an Crashtests machen, das muss dann in den USA für die Autos nicht wiederholt werden, was auch wiederum Kosten spart. Also, lasst uns die Ergebnisse abwarten, und dann werden wir sehen, wie das ist. Ich glaube, dass manche Befürchtungen, die jetzt noch bestehen, durch die konkreten Ergebnisse nicht berechtigt sind.
Wuttke: Aber wenn es alles erst mal in trockenen Tüchern ist, dann ist die Sache eben einfach schon mal ausgestanden, dann muss man sich mit dem auseinandersetzen, was verabredet wurde. Die Frage ist doch aber, wie wird jetzt verhandelt? Wie ist Augenhöhe zu erreichen oder heißt es, dass wir immer weiter davon ausgehen müssen, die EU, ja, sie will eigentlich ganz groß rauskommen, aber die USA sind einfach unschlagbar in ihren Forderungen, und da hat auch nur am Rande eine Rolle zu spielen, dass wir sauer sind über das, was die NSA getan hat?
Polenz: Also, was die Wirtschaft angeht, ist die Europäische Union mit den USA auf Augenhöhe. Wir sind genauso wirtschaftsstark, erzeugen genauso viel wie die USA. Unsere Wirtschaftsleistung ist wie die der Amerikaner etwa ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung.
Und es hat sich ja auch in der Vergangenheit in manchem Handelskonflikt gezeigt, dass die Amerikaner dann auch beigeben mussten, sich auf Schiedsverfahren einlassen mussten, was sie möglicherweise nicht getan hätten, wenn sie wirtschaftlich deutlich überlegen gewesen wären.
Wuttke: Wirtschaftlich auf Augenhöhe heißt aber eben nicht politisch auf Augenhöhe, und das fordern ja viele.
US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G7-Treffen in Den Haag
US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G7-Treffen in Den Haag© dpa / picture alliance / Oliver Berg
Polenz: Wir verhandeln jetzt ja aber Wirtschaftsfragen. Und wenn Sie etwa an den großen Konflikt in der Luftfahrtindustrie denken, wo es Boeing natürlich gar nicht recht war, dass in Europa ein Airbus aufgebaut wurde, dann haben die Europäer sich da durchgesetzt. Und Microsoft wird auch nicht überall auf der Welt so zu Strafzahlungen verurteilt und zahlt sie dann auch, wie das die Europäer durchgesetzt haben. Also ich glaube, da besteht, wenn man es so etwas kriegerisch ausdrücken möchte, durchaus Waffengleichheit.
Was jetzt die NSA-Geschichte angeht, ist die Ankündigung, gesetzlich die Aktivitäten in den USA einzuschränken, finde ich, ein erster Schritt, der zeigt, dass auch in Amerika eine Diskussion darüber stattfindet, wie weit darf eigentlich ein Geheimdienst in seiner Sammelwut gehen, und wo muss er gebremst werden. Dass wir uns selber vor Spionage schützen müssen, und zwar nicht nur, wie wir jetzt inzwischen wissen, vor der der Amerikaner, sondern man darf ja getrost auch anderen Ländern unterstellen, dass sie neugierig darüber sind, was bei uns alles so im Netz los ist, das steht auf einem ganz anderen Blatt, und da müssen wir besser werden.
"Es ist die Frage, woran macht man jetzt Weltmacht fest"
Wuttke: Sie haben auch das Thema Russland/Ukraine natürlich gestreift. Die EU zeigen milde Strafen, wollen vor allen Dingen reden. Barack Obama redet Russland klein, spricht von einer Regionalmacht. Zeigt das, dass wir da, an dieser Stelle, doch nicht an einem Strang ziehen?
Polenz: Russland ist natürlich für Europa der unmittelbare Nachbar, je weiter östlich die EU-Länder, umso unmittelbarer. Und wir haben auch andere wirtschaftliche Beziehungen in größerer Dichte zu Russland als die USA das haben.
Schon aus dem Grund ergeben sich unterschiedliche Blickwinkel. Das ist nicht ungewöhnlich. Obama hat jetzt auf zwei Dinge hingewiesen. Er hat erstens gesagt, Putin hat eher aus Schwäche denn aus Stärke gehandelt bei der Besetzung und Annexion der Krim. Diese Analyse teile ich, da könnten wir drüber reden.
Ich halte es nicht für ein Zeichen von Stärke, wenn man sich nicht traut, auf Prozesse zu setzen, wie sie etwa bei der Unabhängigkeit von Montenegro der Fall waren, wo man eben unter OSZE-Beobachtung mit diplomatischen Mitteln dann eine Volksabstimmung durchführt, sondern wenn man das einfach annektiert, weil die Ukraine schwach ist. Und die ganze Politik Russlands gegenüber seiner Nachbarschaft läuft ja auch darauf hinaus, die Länder an der Peripherie Russlands eher schwach zu halten, damit man wenigstens relativ einigermaßen stark ist.
Was jetzt die Frage Regionalmacht angeht, war das sicherlich etwas provokant, vor allen Dingen, weil man sich ja noch an die Sowjetunion erinnert, und die Sowjetunion war sicherlich, jedenfalls militärisch, auf Augenhöhe mit den USA. Wenn man sich das heute anschaut - ich glaube, Russland hat einen, was die Wirtschaft angeht, eine Wirtschaftsleistung, die ist etwas größer als die von Spanien. Das muss man wissen.
Und es ist die Frage, woran macht man jetzt Weltmacht fest. Und das müssen dann die auch erklären, die jetzt die Äußerung von Obama ungehörig finden. Wenn man Atomwaffen nimmt, dann müsste man auch auf die Idee kommen, Frankreich und Großbritannien als Weltmächte zu bezeichnen.
Wuttke: Sagt Ruprecht Polenz im Deutschlandradio Kultur, bevor heute in Brüssel der EU-USA-Gipfel stattfindet. Herr Polenz, besten Dank, schönen Tag!
Polenz: Bitteschön, Frau Wuttke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema