Freihandel und Datenschutz sind untrennbar verwoben

Von Sylke Tempel · 08.10.2013
Eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU könnte Europa auf einen Schlag viel reicher machen. Gleichzeitig könnte das Abkommen eines der wichtigsten des noch jungen Jahrhunderts werden: Indem es gleichzeitig Standards für den Datenschutz setzt, meint die Journalistin Sylke Tempel.
Es geht, wie es formal so schön heißt, um den Abbau von Handelshemmnissen, um Zölle und um Einfuhrbeschränkungen – mit einem Wort: Um all das, was Handel oder auch Investitionen zwischen den USA und der Europäischen Union mit zusätzlichen Kosten belastet.

Sollte den Delegationen am Ende eine transatlantische Freihandelszone gelingen, würden beide Seiten enorm profitieren. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung verspricht, dass das reale Pro-Kopf-Einkommen in allen 27 EU-Staaten um durchschnittlich fast fünf Prozent höher ausfallen würde.

Was aber nach einem verspäteten Projekt des vergangenen Jahrhunderts klingt – einer Angelegenheit, die EU und USA als engste Handelspartner der Welt schon längst hätten abschließen können – kann in Wirklichkeit auch ein Abkommen über einige der wichtigsten Angelegenheiten des 21. Jahrhunderts werden: Und das nicht nur, weil man sich auch darüber einigen muss, wie man es denn beispielsweise mit genmodifizierter Nahrung halten will.

Es geht nämlich nicht nur um Zölle und Handelsschranken, sondern auch um Standards, nicht nur um Exportgüter, sondern auch um Umgang mit einer Ware, über deren Bedeutung wir uns immer noch nicht im Klaren sind: Daten. Oder genauer, das, was die Amerikaner Big Data nennen. Digitale Großsammlungen, immer genauere Profile von Internetnutzern, die Goldstaub sind für Unternehmen und verlockende Beute für Geheimdienste.

Die Enthüllungen von Edward Snowden und vor ihm von Bradley (jetzt Chelsea) Manning sowie Julian Assange haben vor allem eines gezeigt: Geheimdienste tun, was ihnen technisch möglich ist. Und so genannte Whistleblower handeln nicht nur aus Idealismus, sondern weil ihnen die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Unmengen von Daten aus den noch größeren Unmengen geheimdienstlicher Daten abzugreifen, um sie zu veröffentlichen.

Die digitale Welt ist unüberschaubar, riesig, sie ist offen und sie soll es auch möglichst bleiben. Aber noch niemand weiß, wie in einer offenen Welt auch Schutz hergestellt werden kann: Schutz der Privatsphäre, aber auch Schutz vor Cyberattacken und Cyberspionage, die längst schon im großen Maßstab stattfindet.

Nicht alles kann Teil der ohnehin schon ungeheuer umfassenden Verhandlungen sein. Über die Aufgaben, Zuständigkeiten und Kontrollen von Geheimdienste muss es parlamentarische und gesellschaftliche Debatten geben. Diese Fragen haben nichts mit einem Freihandelsabkommen zu tun. Nur: Ganz so einfach ist das alles nicht mehr zu trennen. Denn Geheimdienste greifen eben auch auf die Daten sozialer Medien zurück, die wir, die Nutzer, ihnen auch noch freiwillig überlassen.

Gleichzeitig sind Unternehmen mehr denn je für Wirtschaftsspionage anfällig – nicht so sehr der USA, sondern vor allem Chinas. Niemand muss sich mehr in Werkshallen schleichen, um Blaupausen zu stehlen. Ein geschickter und nicht allzu aufwändiger Zugriff auf die Firmenfestplatte genügt.

Und hier bieten die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen eben doch eine große Chance: Nämlich Standards auch für den Datenschutz zu setzen und Schutzwälle dort hoch zu ziehen, wo sie am dringendsten benötigt werden.

Wer einen gemeinsamen Markt herstellen will, von dem alle Seiten nur profitieren können, der wird sich auch Gedanken darüber machen müssen, wie der transatlantische Datenfluss im kommerziellen Bereich geregelt werden kann.

Die USA verfügen in der digitalen Welt immer noch über einen riesigen Vorsprung. Und ihre Geheimdienste haben diesen Vorsprung ausgenutzt. Aber Europa verfügt über einen großen Markt von mehr als 500 Millionen Menschen und potenziellen Kunden. Einen Markt, der fast doppelt so groß ist wie der der USA. Es wäre doch gelacht, wenn auf diesem Sektor nicht die EU ihre Richtlinien zum Datenschutz durchsetzen könnte.

Dr. Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird (Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V.). Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – eine durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.
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Sylke Tempel.© Marco Limberg
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