Freie Deutsche Jugend

"Ihr tut, als ob ihr uns folgt, wir tun, als ob wir's glauben"

09:41 Minuten
Mitglieder der "Freien Deutschen Jugend" tragen Fahnen der FDJ auf dem Weg zum Lustgarten in Berlin
"Natürlich wollten die uns immer in das Regime drücken", erinnert sich eine FDJlerin. Hier der Demonstrantionszug beim 1. Deutschlandtreffen der FDJ im Mai 1950 in Berlin. © picture-alliance / akg-images
Von Anja Nehls · 16.03.2021
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Vor 75 Jahren wurde die Freie Deutsche Jugend in der sowjetischen Besatzungszone gegründet. Sie hatte zum Ende der DDR über zwei Millionen Mitglieder. Die Erinnerung an Einsätze und Freizeit im Blauhemd ist bei den Ostjugendlichen von damals gemischt.
"Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf
freie deutsche Jugend bau auf,
für eine bessere Zukunft
richten wir die Heimat auf …"
Viel mehr als diese Musik ist nicht übriggeblieben von der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, dem einstigen staatlichen DDR-Jugendverband, in dem zeitweise fast 90 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen organisiert waren. Egal ob Angela Merkel aus Brandenburg oder Heike Hörnlein aus Thüringen:
"Das war obligatorisch. Da hat sich auch keiner geweigert. Allerhöchstens wenn es die Eltern zuhause waren, die gesagt haben: 'Nein!' Aber ich wüsste in unserer Klasse keinen, der sich geweigert hat. Du warst halt da drin, weil du es sein musstest. Aber natürlich wollten die uns immer in das Regime drücken. Aber das haben wir als Kinder und Jugendlich nicht so empfunden, da waren wir doch viel zu jung."
Die Jugend in der DDR sollte zu "klassenbewussten Sozialisten" erzogen werden und verstand sich offiziell als "Kampfreserve" der Partei, der SED. Natürlich sollten die jungen Leute nach der FDJ-Zeit auch in die Sozialistische Einheitspartei eintreten. Vor 75 Jahren, im März 1946, wurde die FDJ gegründet, noch eineinhalb Monate vor der SED und dreieinhalb Jahre vor der DDR.

"Überparteilich, einig, demokratisch"

Die Gründung der FDJ war lediglich ein Verwaltungsakt. Kurz nach dem Krieg war das Gebiet der späteren DDR noch sowjetisch besetzte Zone. Nun genehmigte die sowjetische Militäradministration in Deutschland den Antrag zur Gründung einer – wie es wörtlich heißt – "überparteilichen, einigen, demokratischen Jugendorganisation".
Konkurrierende Jugendorganisationen wurden von den Sowjets verboten. Beim offiziellen Festakt für die FDJ spricht Waldemar Borde vom Landesjugendausschuss Mecklenburg-Vorpommern über den Anspruch der neuen Organisation:
"Im ganzen Lande hat sich die überparteiliche demokratische Jugendbewegung so weit entwickelt, dass die Bildung einer eigenen, selbständigen, demokratischen Jugendorganisation immer mehr verlangt wurde."
Von einem überparteilichen Jugendverband ist aber bald nicht mehr die Rede. Die Umwandlung der FDJ in eine SED-Jugendorganisation beginnt zügig.
Der erste Vorsitzende der FDJ war Erich Honecker: "Wir geloben der Deutschen Demokratischen Republik Treue, weil sie der Jugend Liebe und ein besseres Leben bringen will und bringen wird."

Der Umzug am 1. Mai war Pflicht

Solche Gelöbnisse gehören zum festen Bestandteil der FDJ-Rituale – auf Veranstaltungen wie Jugendweihen, Fackelzügen oder Kundgebungen zum 1. Mai, erinnert sich die Ex-FDJlerin Hörnlein. So gut wie jeder und jede ist dabei, denn Schule und FDJ sind eins. Oft begannen die Unterrichtsstunden der oberen Klassen und alle FDJ-Veranstaltungen mit dem offiziellem Gruß der FDJ:
"Da haben wir früh nicht 'Guten Morgen' oder 'Guten Tag' gesagt wie jetzt, sondern 'Freundschaft'. Wir hatten FDJ-Nachmittage, das waren so von der Schule die Pflichtnachmittage. Und 1. Mai, der Umzug, das war einfach Pflicht. Ja, was mussten wir machen: Wandzeitungen, was so richtig oben immer angeschrieben war: die deutsch-sowjetische Freundschaft, parallel mit der FDJ, Briefpartner suchen und sowas. Das kam aber alles von der Schule so ein bisschen gedrückt."
Die blaue Fahne mit der gelben Sonne ist das Symbol der FDJ. Für die Jugendlichen ist das Blauhemd Pflicht:
"FDJ-Hemd hatten wir jeder eins", erzählt Heike Hörnlein. "Das musste jeder tragen. Zu Umzügen musste das jeder tragen und zu Wandertagen, da mussten wir das auch teilweise tragen und natürlich zu den FDJ-Nachmittagen. Teilweise mussten wir es sogar zum Altstoffsammeln anziehen, um zu zeigen, dass wir da mit drin waren in dem Verein."

Als FDJler zum Altstoffsammeln

Die Jugendlichen werden nicht nur zum Sammeln von Altstoffen eingesetzt. Sie reinigen Schulanlagen, übernehmen Patenschaften für Parks und Kinderspielplätze, arbeiten in der Landwirtschaft und beteiligen sich als Jugendbrigaden an Baumaßnahmen im In- und Ausland, wie zum Beispiel einer sowjetischen Erdgasleitung.
Die FDJ ist überall. Wenn die Arbeit getan ist, sorgt sie auch für die Freizeit, berichtet Hörnlein:
"Für 70, 80 oder 50 Pfennige durften wir im Monat in die Betriebssportgemeinschaften, weil das alles gekoppelt war über den Staat. Ob Leichtathletik, Fußball, Geräteturnen, also wir konnten wirklich alle Sportarten machen, ob es Tennis war. Instrumente waren auch viel, sehr viel Musikschule, es war alles gestützt, alles gefördert, alles vom Staat und von den Betrieben, die mussten das machen. Wir wurden gezwungen, irgendwas zu tun, da haben wir natürlich auch Tanznachmittage, Discos oder so gemacht oder sind zusammen Wandern gegangen. Also das Miteinander war bedeutend."

Sympathisanten in der BRD

Im Westen aber ist die FDJ seit 1951 verboten. Dennoch gibt es damals FDJ-Sympathisanten auch in der Bundesrepublik, die regelmäßig zu den FDJ-Veranstaltungen in die DDR fahren, erinnert sich Bodo Ortmeier. Er hat in den 50er-Jahren, als es noch keine Mauer gab, auf der Westseite an der innerdeutschen Grenze unmittelbar an der Bahntrasse gelebt. Stets habe westdeutsche Polizei versucht, diese Grenzübertritte zu verhindern:
"Die Züge wurden vielfach nachts angehalten per Notbremse, Westzüge. Das war kurz vor der Ostgrenze. Dann sind die FDJ-Besucher, also westdeutsche Jugendliche, die in den Osten wollten, raus aus den Zügen und sind dann quasi illegal rüber über die grüne Grenze gewechselt."
Umgekehrt wollte die DDR Weltoffenheit demonstrieren und besonders linientreue Jugendliche zu Treffen mit Gesinnungsgenossen in die Bundesrepublik schicken, berichtet die "Aktuelle Kamera" der DDR 1964:
"In Hannover haben Beamte der westdeutschen Grenzorgane auf Weisung des Bonner Innenministers gestern eine FDJ-Delegation aus Halle an der Weiterreise nach Oberhausen gehindert. Die Jugendlichen wollten einer Einladung der unabhängigen Sozialistischen Jugend Oberhausen zu einem Studienbesuch und zu Kontaktgesprächen folgen. Die wurden in Hannover aus dem Zug geholt und unter Gewaltanwendung zur Rückreise gezwungen. Auf der Rückfahrt in die DDR wurden die FDJ-Mitglieder wie Schwerverbrecher bewacht."

Kein Studienplatz ohne FDJ-Mitgliedschaft

In den 80er-Jahren hat die FDJ in der DDR über zwei Millionen Mitglieder. Eine Mitgliedschaft ist zur Routine geworden. Alle Jugendlichen wissen, warum sie "freiwillig" mitmachen, sagt Hörnlein:
"Sonst bist du nicht auf die Oberschule gekommen und durftest auch nicht studieren, also das war Pflicht. Es gab damals auch so kleinere Privatunternehmen und da die Kinder, wo die Leute gesagt haben, du gehst nicht in die FDJ, die haben keinen Studienplatz bekommen. Das war bekannt."
Kurz vor der Wende schwindet die Identifikation junger DDR-Bürger mit ihrem Staat immer mehr. In den letzten Jahren der DDR ist eigentlich alles nur noch Fassade, sagt der Historiker Ulrich Mählert:
"Da wurden wirklich – ich sag mal spöttisch – die letzten Devisen zusammengekratzt, um Massenevents zu schaffen. Da kam es dann zu so Paradoxien, dass Zehntausende von Jugendlichen im Open-Air-Konzert zusammen mit Bruce Springsteen 'Born in the USA' sangen und im Publikum US-Fahnen geschwenkt wurden. So ein bisschen ist die Devise gewesen: Ihr tut so, als ob ihr uns folgt, und wir tun so, als ob wir das glauben."

Es gibt sie immer noch

Die FDJ gibt es immer noch. Aber heute schreibt sie sich öfter mit Kleinbuchstaben, und klein ist auch die Mitgliederzahl. Wie viele genau, das wird nicht verraten.
Auf dem Territorium der Alt-Bundesrepublik ist die FDJ nach wie vor verboten, auf dem Gebiet der einstigen DDR nach wie vor legal, eine Folge des Einigungsvertrags. Was die FDJ heute will, erklärt ihr Sprecher Jan Haas anlässlich einer Veranstaltung in Jena dem Bayrischen Rundfunk:
"Den Sturz der Regierung und früher oder später im Kampf, im Streik, in der Organisierung die Errichtung eines sozialistischen Sowjetstaates."
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