Frei trotz Handicap

Mit dem Rollstuhl durch die Luft

Ein Paraglider fliegt über Zell am Ziller in Österreich.
Ein Paraglider fliegt über Zell am Ziller in Österreich. © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Von Caroline Kuban · 30.08.2015
Beim Flug fühlt sie sich völlig frei: Petra Kreuz ist eine begeisterte Paragliderin. Gemeinsam mit ihrem Mann schwebt sie mehrmals im Jahr durch die Lüfte. Petra Kreuz ist querschnittsgelähmt.
Mittagszeit an einem sonnigen Tag im österreichischen Kössen in Tirol: An der Talstation Unterberghorn herrscht Hochbetrieb. Eine voll besetzte Gondel nach der anderen verläßt den Boden und schwebt aufwärts in Richtung Gipfel. Mit dabei ist auch Petra Kreuz aus dem benachbarten Oberbayern. Seit mehr als 10 Jahren kommt die querschnittsgelähmte 47-Jährige her, um mit ihrem Gleitschirm zu fliegen.
"Stellst meinen Rolli bitte da unten rein, nicht dass meine Sitzfläche nass wird..."
Man kennt sich am Unterberghorn, und die Angestellten der Bergbahn wissen genau, welche Handgriffe nötig sind, um Petra sicher nach oben zu befördern. Sie halten den Lift an, befestigen den Rollstuhl in der Kabine, helfen Petra beim Einsteigen und drücken wieder den Startknopf.
Langsam schwebt die Gondel über Wipfel und Wälder. Der kleine Ort Kössen wird kleiner und kleiner. Die blonden Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sportlich gekleidet in Outdoorjacke und Goretexhose schaut Petra lächelnd aus dem Fenster und genießt das fantastische Panorama.
Da kommt der Kreislauf in Wallung
Nach 10 Minuten Fahrt hält die Gondel an der Bergstation. Petra rutscht vom Sitz der Kabine in ihren Flugrolli, nimmt den Gleitschirm auf den Schoß, schnallt sich an. Ehemann Peter und Freund Ernst schieben sie das letzte steile Stück über einen Schotterweg bis zum Startplatz. Eine gute Einstimmung für später, sagt Peter, da kommt der Kreislauf in Wallung:
"Deswegen suchen wir uns auch immer Fluggebiete, in denen das von der Logistik her leicht zu bewältigen ist. Die Petra mit ihren 115 Kilo Gesamtgewicht, einschließlich Fluggerät, ist natürlich schon eine rechte Anstrengung durch die Berge zu ziehen."
Wenige Augenblicke später kommt der Startplatz in Sicht. Traumhaft gelegen auf 1400 Metern. Bis in die Schweiz reicht der Blick über die Gipfel. Einige Piloten haben ihre bunten Schirme bereits ausgebreitet und warten auf die nächste Windböe. Petra sucht sich ein freies Plätzchen und stellt ihren Flugrolli fest. Funkgeräte-Check mit Peter:
"channel note 5,7, so, machen wir mal einen Radio-Check, radiocheck, radiocheck, loud and clear, wunderbar, dann haben wir Kommunikation."
Viele Flüge unternimmt Petra gemeinsam mit ihrem Mann, einem ebenso begeisterten Paraglider wie sie. Im Sommer fliegen sie im Alpenraum, im Winter in Australien, wo Peter als Landschaftsgärtner engagiert ist.
Warten auf den richtigen Aufwind
Dann wird es ernst. Peter bringt den Flugrolli auf dem leicht abfallenden Hang in Position. Zwei Helfer werden benötigt, um Petra in die Luft zu bringen: einer vorne am Rolli, einer hinten.
"Derjenige, der vorne hilft, schaut sich den Schirm in der Steigphase an, dass alle Leinen sauber sind, ohne Verknoten und Verhängen, und dann start ich hier hinten durch, und bring die Petra auf Abhebegeschwindigkeit und lass dann los und finde mich mitten im Lauf ohne Schirm."
Doch bevor es soweit kommt, ist Warten angesagt. Warten auf den richtigen Aufwind. Die Tragegurte in den Händen sitzt Petra in ihrem stabilen, orangenen Wagen und schaut konzentriert auf die roten und gelben Fähnchen, die Auskunft geben über Windrichtung und Windstärke.
"Jetzt kommt was, jetzt kommt was, ok, die nehmen wir, allez hopp, Schirm kommt gut, weiter weiter Gas geben, juppa, juhu."
"Ich komme überall hin, wo die anderen auch hinkommen"
Frei wie ein Vogel zieht Petra am Himmel ihre Kreise.
"Mein Fliegen ist eigentlich das Genussfliegen. Das ist einfach genial, wenn man die Welt dann von oben sieht, noch dazu als Rollifahrer, das ist brutal! Nach dem Starten bin ich wie jeder andere Pilot, ich hab keine Stufen, keine zu engen Türen, ich komm überall hin, wo die anderen auch hinkommen - und kann bis zur Wolke fliegen, ich kann wegfliegen bis zum nächsten Berg, ich kann wieder zurückfliegen, ich bin total frei dort oben und kann frei entscheiden, was ich machen will."
Eine Stunde später setzt Petra sanft auf der Landewiese auf, rollt ein paar Meter aus, und bleibt glücklich stehen.
"Es war schön, wunderschön. Wollt ich die Talquerung machen, wollt zum Brennkopf rüberfliegen, hat aber nicht gereicht, und dann bin ich wieder zurückgeflogen und hab einen supertollen Bart gefunden, der mich gleich wieder hinaufgeschossen hat bis über Startplatzhöhe, haha juhu!"
"Hey, bist du wohl zu faul zum Laufen?"
Bart, so heißt die Thermik, der schlauchförmige Aufwind, im Fliegerjargon. Nachdem der Schirm zusammengelegt ist, trifft man sich zum Landebier im Garten der Fliegerbar, unmittelbar neben der Landewiese. Petra öffnet ihren mitgebrachten Koffer und bietet selbst gemachte Freundschaftsbänder, T-Shirts und Schlüsselanhänger zum Verkauf an. Bei regem Austausch über Flug-Erfahrungen und Erlebnisse wird so manche Geschichte zum Besten gegeben:
"Eins von den witzigsten Sachen, die mir mal passiert sind, das war in Greifenburg, das ist in Kärten, da bin ich dann auf der Landewiese gelandet und dann kommt da so ein Junge zu mir her, der war vielleicht acht Jahre alt, stellt sich vor mich hin, ich sitz noch im Flugrolli und da schaut er mich so an und sagt: 'Hey, bist du wohl zu faul zum Laufen?' Da hätt ich mich kugeln können vor Lachen."