Frei oder Partei?

Die Freien Wähler in Bayern vor der EU-Wahl

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Eine Aktivistin der Freien Wähler mit einem Plakat der Partei in der Hand
Eine Aktivistin der Freien Wähler mit einem Plakat der Partei in der Hand © imago / HRSchulz
Von Susanne Lettenbauer · 23.04.2019
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Sie wollen mitmischen in der Politik, aber möglichst eine Partei sein. In Bayern ist unter den Freien Wählergruppierungen ein Streit entbrannt, wie weit man außerhalb der Kommunen mitregieren will. Denn der Status macht Probleme.
Der Weg zum Büro von Siegfried Kapfer geht nach ganz oben. Der Fraktionschef der Passauer Freien Wählergemeinschaft stapelt die wachsende Zahl an Ordnern seit der erfolgreichen Kommunalwahl 2014 im ehemaligen Dachbüro des Kulturamtschefs.
Drei Gemälde hängen aus dieser Zeit noch an den Wänden. Kapfer hat, als ehemaliger Kriminalbeamter, Handschellen und Polizeikalender dazu gehängt. Davor trafen sich die Freien Wähler in Cafés oder empfingen Gesprächspartner in Passauer Gastwirtschaften. Man fühlte sich als freier Wähler. Bis vor einem halben Jahr:
"Na, die Problematik für uns ist als Freie Wählergemeinschaft Passau, dass wir immer mit der Partei Freie Wähler Bayern e.V. verwechselt werden. Wir haben aber inhaltlich und strukturell mit dieser Partei nichts zu tun. Wir sind völlig autark."

Der Wähler ist zunehmend irritiert, sagt die Politologin

Im Oktober 2018 wurde ihm und seinen zwei anderen Stadträten zum Sieg im Landtagswahlkampf gratuliert, dann zur Koalition mit der CSU. Kapfer fühlt sich gründlich missverstanden und stellt klar, dass die Partei "Freie Wähler" gewonnen hat und nicht die Freien Wählergruppen Bayerns. Jetzt steht die Europawahl vor der Tür. Dann die Kommunalwahl im März 2020, bei der er für das Bürgermeisteramt Passau kandidieren will - ohne die Unterstützung irgendeiner Partei.
Er ist stolz darauf, dass die Freie Wählergemeinschaft Passau bereits im Juli 1866 gegründet wurde: "Erstens habe ich mit der Landespolitik, das sage ich jetzt etwas provokant, als Fraktionsvorsitzender, als Vorsitzender der FWG Passau nichts am Hut. Für mich und für uns ist Passau relevant. Und zum anderen gehe ich nicht mit allen Sachen, die die Partei Freie Wähler e.V. publizieren, die sie propagieren, konform."
Aktueller Fall im Konflikt Partei Freie Wähler und bayerische freie Wählergruppen: Erst im Januar hatte sich die Stadtratsfraktion der Freien Wähler Treuchtlingen in der Nähe von Ingolstadt unter lautem Mediengetöse von der Landes- und Bundespartei getrennt. Der Grund: Massive Kritik an der "Aiwanger-Partei". Die neue politische Gruppierung in Treuchtlingen heißt jetzt "Unabhängige Freie Wählergemeinschaft". Die Partei "Freie Wähler", so die Kritik, hätten sich Ministerpräsident Markus Söder, CSU, "an die Brust geworfen".
Die Politikwissenschaflerin Ursula Münch
Die Politikwissenschaflerin Ursula Münch© dpa / Frank Leonhardt
Ein anderer Fakt macht die Diskrepanz noch deutlicher: In ganz Bayern gehören ungefähr 40.000 Mitglieder zum Landesverband Freie Wählergruppen, Tendenz steigend. Die Partei Freie Wähler zählt 3000 Mitglieder.
"Also: Das ist ein Glaubenskrieg. Die einen sagen: Wir sind freie Wähler, wir sind erfolgreich, weil wir keine Partei sind und weil wir auch nie eine Partei sein wollen daher nehmen wir unsere Überzeugungskraft auch gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern auf kommunaler Ebene. Wir haben nichts verloren auf Landesebene und schon gar nichts verloren auf Bundes- oder gar Europaebene", erklärt Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Leiterin der Politischen Akademie Tutzing. Der Wähler sei zunehmend irritiert, wofür denn die Parteifreien auf kommunaler, Bundes- und nun auch noch Europaebene politisch stehen.

Aiwanger auf mehreren Hochzeiten

Die tatsächlich verwirrende Situation: Als Freie Wähler Bayern werden sowohl der Landesverband, der die freien Wählergruppierungen wie die aus Passau zusammenhält, bezeichnet wie auch die bayerische Landesvereinigung der bundesweit agierenden Partei Freie Wähler. Die Namen der Webseiten unterscheiden sich nur geringfügig. Vorsitzender in beiden Fällen: Hubert Aiwanger, der außerdem noch dem Bundesverband vorsteht und die Freien Wähler in ganz Deutschland etablieren will.
Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler Bayern
Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler Bayern© imago / Sven Simon
Eine gemeinsame Linie finden, die für den Wähler nachvollziehbar ist, wie die Volksparteien eben, so Politikwissenschaftlerin Münch: "Also, er argumentiert: Wir wären doch blöd, wenn wir uns nicht eine größere Wirkungsebene suchen würden, und das hat aber die freie Wähler also tatsächlich in einen unheimlichen Konflikt gebracht und die sind völlig zerstritten darüber."
Im Kreisverband Bad-Tölz-Wolfratshausen steigt die Zustimmung zu den freie Wählergruppen in der Bevölkerung stetig, während die Volksparteien verlieren. Er sei genau deshalb in keine Partei eingetreten, erklärt Moritz Sappl, Bürgermeister der Gemeinde Eurasburg bei einer Apfelschorle im Gasthaus von Bad Tölz.
Frei oder Partei? Für ihn gaz klar, dass Freie Wähler keine Partei sind:
"Natürlich, wenn das, was sie machen auf der Landesebene, nicht so funktionieren würde, dann hat man natürlich das Thema, diese Trennung der einzelnen Ebenen Partei oder parteifrei - Hubert-Aiwanger-Freie-Wähler, Nicht-Hubert-Aiwanger-Freie-Wähler - die vom Gedankengut trotzdem beieinander sind, das wird natürlich runter transportiert, aber bis jetzt läuft es doch relativ gut."

Zerfaserung der Freien Wählergruppierungen

Das Problem für Bürgermeister Sappl, der wie viele Mitglieder der Freien Wählergruppierungen Bayerns 2020 wieder als Bürgermeisterkandidat antritt: Für seine gut 4000 Einwohner ließen sich zur Kommunalwahl 2014 gleich sieben unterschiedliche Freie-Wähler-Listen aufstellen. 2020 dürfte es ähnlich laufen. Die Zerfaserung der Freien Wählergruppierungen wie in Passau in zwei Listen, in Treuchtlingen bei Ingolstadt in drei, in Gaißach bei Bad Tölz in vier, in Oberhaching bei München in fünf und in Eurasburg in sieben parteifreie Listen.
Das sei schon ein Problem für die bundesdeutsche Demokratie, sagt Politikwissenschaftlerin Münch:
"Also kaum gibt es irgendwo mal einen Zwist und kaum ist irgendein Gemeinderat oder Stadtrat nicht in der Lage, sich zu einigen oder gibt es – meist in den größeren Städten oder Gemeinden – da irgendeine größere Unstimmigkeit oder Unzufriedenheit mit irgendwas, dann arrangieren sich die Leute nicht innerhalb der Gruppierung, innerhalb der Parteien, sondern man gründet halt im Zweifelsfall was Neues. Das empfinde ich als Nachteil, weil wir damit immer disparatere Entscheidungsgremien haben, da sitzen zum Teil acht bis zehn unterschiedliche Gruppierungen drin, wo selbst Leute, die sich dafür interessieren, die Abkürzungen schon lange nicht mehr auflösen können."

Woher kommt das Geld? Gilt das Parteiengesetz?

Das nächste Problem: Wer genau finanziert eigentlich die freien Wählergruppen? Verstecken sich dort politische Kräfte, die die Freien Wähler mit Spenden in eine bestimmte Richtung dirigieren? Denn sie unterlägen ja nicht dem Parteiengesetz, müssten somit auch keine Spenden an den Bundestag melden, kritisierte kürzlich die ehemalige Schatzmeisterin der SPD, Barbara Hendricks.
"Nein, wir unterliegen nicht dem Parteiengesetz, das stimmt", gibt Marcus Franklin, Stadtrat der Vereinigten Freien Wähler Oberhaching zu. "Wir sind ja hier eine kleine kommunale Gruppe, wir sind noch nie in der Veranlassung gewesen, dass uns jemand gefragt hat, wer hat euch Geld gespendet oder wer hat euch diesen Wahlflyer finanziert. Bei uns ist es so, es besteht die Möglichkeit zu spenden, das wird dann aufs Bankkonto überwiesen in der Regel, oder wenn es Barspenden sind, dafür haben wir eine Kassenwart, der entsprechende Bescheinigungen ausstellt und da wollen wir uns auch nichts nachsagen lassen. Aber wenn Sie jemanden wissen, der 20.000 Euro geben möchte - ich stehe da gern für ein Gespräch zur Verfügung."
Grundsätzlich müsse ein Verein - auch einer Freien Wählervereinigung - genau Rechenschaft ablegen über Aus- und Einnahmen, der Schatzmeister melde dies an das Finanzamt, es gäbe also keine Möglichkeit, höhere Gelder zu verstecken. Das Angebot kam auch noch nie, so Franklin. Jeder Kandidat bezahle den Wahlkampf aus eigener Tasche. Im Prinzip verzichte man freiwillig auf die Erstattung der Wahlkampffinanzierung, die Parteien bekämen. Lieber frei als Partei eben.
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