Frei nach Schiller

Von Bernhard Doppler · 01.10.2009
Schillers Trauerspiel "Die Jungfrau von Orleans" ist mehrfach als Vorlage für Opern genutzt worden. Verdis Interpretation "Giovanna d' Arco", mit der das Staatstheater am Gärtnerplatz in München die neue Saison eröffnet, weicht stark vom Stück des Dichters ab.
Noch einmal erhebt sich Johanna, tödlich in der Schlacht getroffen. Johanna sieht Maria mit dem Jesuskind, Maria winkt ihr zu. "Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude". Das Ende von Schillers romantischem Trauerspiel "Die Jungfrau von Orleans" beinahe ein italienisches Opernfinale. Und in der Tat: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es mehrere italienische Opern nach Friedrich Schiller, auch Giuseppe Verdi hat vier Schiller-Opern komponiert. Aber ist es noch Schiller?

Von 27 auf fünf Personen ist bei Verdi Schillers "Jungfrau von Orleans" reduziert, auf Johannas göttliche Mission, Frankreich zu einen und zu retten, auf Szenen mit Johannas Geistererscheinungen, von denen Johannas Vater glaubt, es sei Teufelszauber, auf Johannas keusche Liebe zu König Karl VII. Auf den Scheiterhaufen freilich kommt sie – im Gegensatz zur historischen Johanna - weder bei Schiller noch bei Verdi.

Als im Mai 2000 Johannes Felsenstein in Dessau Johanna d´Arc ausgrub, wollte er Schiller von den Verballhornungen des Librettos retten, er ließ er auf Deutsch singen und unterlegte Verdis Musik, wo es nur irgendwo möglich war, den ursprünglichen Schillertext, ein gewaltsames Zurück-Verschillern. Überzeugend war das nicht.

Einen großen, kennzeichnenden Unterschied gibt es. Es ist die Aufwertung von Giovannas Vater, Giacomo bei Verdi, Thibaut bei Schiller. Väter und Töchter sind ja die großen Liebespaare der italienischen Oper, alleinerziehende Väter und ihre Töchter. Rigoletto und Gilda, Amonasro und Aida. Auch bei Verdis "Kabale und Liebe"-Oper Luise Millerin fehlt im Gegensatz zu Schiller die Mutter. Väter, die Angst um ihre Tochter haben, die sie abgöttisch lieben und sie gerade dadurch in den Tod bringen. Und so sind auch Jeanne d’Arc und ihr Vater Vorläufer von Gilda und ihrem Vater Rigoletto, Verdis Erfolgsoper, sechs Jahre später uraufgeführt. Schiller und die italienische Oper. Ein Missverständnis zwar, aber ein produktives.