Frédéric Chopins "Trauermarsch-Sonate"

Annäherungen an ein Werk zwischen Poesie und Logik

Der Komponist Frédéric Chopin (1810-1849) auf einem Porträt, das seine Verlobte Maria Wodzińska um das Jahr 1835 herum anfertigte
Der Komponist Frédéric Chopin (1810-1849) auf einem Porträt, das seine Verlobte Maria Wodzińska malte. © imago / United Archives International
Moderation: Joachim Kaiser · 05.08.2018
Joachim Kaiser war der renommierteste deutsche Musikkritiker seiner Zeit. Und der 2017 verstorbene Publizist war der erste Moderator der "Interpretationen". In dieser Sendung aus dem Jahr 2008 widmete er sich Chopins "Trauermarsch-Sonate".
Man ist geneigt, sie als Spätwerk einzuordnen, doch tatsächlich war Frédéric Chopin keine dreißig Jahre alt, als er seine Sonate für Klavier Nr. 2 b-Moll op. 35 vollendete, die als "Trauermarsch-Sonate" zur Legende virtuoser Klaviermusik wurde. Wenn man bedenkt, dass Chopin jahrelang an Tuberkulose litt und 1849 im Alter von 39 Jahren starb, ist die Bezeichnung "Spätwerk" wiederum nicht so abwegig.
Der Kritiker Joachim Kaiser lächelt vor neutralem Hintergrund in die Kamera
Der erste Moderator der "Interpretationen": Joachim Kaiser in einer Aufnahme von 2008© dpa/Alina Novopashina
In dieser Sendung aus dem Jahr 2008 zeigte Joachim Kaiser anhand unterschiedlichster Einspielungen, wie der tragische, von herber Gewalt erfüllte Kopfsatz, das dämonisch anmutende Scherzo und der berühmte Trauermarsch gespielt werden können.

Hier geht es zur Playlist der Sendung.

Panik als Struktur

Zwischen 1837 und 1839, zwölf Jahre nach der frühen Klaviersonate c-Moll, entsteht die "Trauermarsch-Sonate". Deren Kopfsatz wird von vier langsamen, donnernden Akkord-Takten eingeleitet, dann folgt das Hauptthema: Hier demonstriert Kaiser, wie sich die kleinen, wohlkalkulierten Einheiten zu einem Organismus zusammensetzen; wie es kommt, dass sich die innere Logik als geradezu panische Struktur notwendig und zwingend einstellt.

Logik und Poesie im Gleichgewicht

Die Einspielung von Sergej Rachmaninow aus dem Jahre 1930 dürfte die erste dokumentierte Interpretation dieses Werkes gewesen sein, die Maßstäbe gesetzt hat. Auch diejenigen Pianisten, die gute Gründe hatten, Chopins Werk ganz anders zu spielen, als Rachmaninow es einst dargeboten hatte, kannten und respektierten dessen gleichsam klassisch gewordene Deutung.
Rachmaninow artikulierte in der zweiten Hälfte der Seitensatz-Melodie, immer behutsamer und inniger, er artikuliere besonders feinsinnig, um Chopins Mischung aus Poesie und Logik gerecht werden zu können. Im Vergleich dazu sind die Aufnahmen von Arthur Rubinstein, Vladimir Horowitz, Alfred Cortot und Arturo Benedetti Michelangeli zu hören.
Mehr zum Thema