Fraunhofer-Gesellschaft trotzt der Wirtschaftskrise

Hans-Jörg Bullinger im Gespräch mit Ulrike Timm |
Die Fraunhofer-Gesellschaft leidet bislang nicht unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Die Nachfrage nach Forschungsleistungen sei groß, sagte der Präsident der Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger. Die Unternehmen hätten verstanden, dass der Weg aus der Krise nur durch neue, bessere Lösungen und Produkte geebnet werden könne. Der Wissenschaftler machte aber deutlich, dass Firmen derzeit stärker an kurzfristigen Aufträgen interessiert seien als an langfristigen Forschungsvorhaben.
Ulrike Timm: Geht doch! Ein Motto, mit dem die 58 deutschen Fraunhofer Institute auf ihre Arbeit aufmerksam machen. Angewandte Forschung im Verbund von Wissenschaft und Industrie, das ist die Aufgabe. Was uns morgen nützen könnte, versucht man dort, heute schon anzuschieben. Dabei steuert der Staat lediglich ein gutes Drittel der Mittel bei, das restliche Geld kommt von Unternehmen oder aus den Ergebnissen der Arbeit. Im Idealfall gehen also Forschung, Innovation und das Unternehmerische eine Allianz ein und: Solarzellen werden viel effizienter als bisher. Daran bastelt man zurzeit zum Beispiel am Fraunhofer Institut in Halle an der Saale.

Und in der Krise scheinen die Fraunhofer Institute bemerkenswert krisenresistent. Noch im Januar wurde gemeldet: Wir planen unseren Etat mit 170 Millionen mehr als 2008, und wir brauchen dringend 1.100 neue Mitarbeiter. Präsident der Fraunhofer Gesellschaft ist Hans-Jörg Bullinger. Ich grüße Sie!

Hans-Jörg Bullinger: Guten Tag!

Timm: Sie haben das Jahr so optimistisch begonnen, jetzt warnen Sie plötzlich, an der Forschung zu sparen. Was ist denn da passiert, hat die Finanzkrise Sie so blitzschnell erreicht?

Bullinger: Nein, die Finanzkrise hat uns eigentlich nicht blitzschnell erreicht, sie hat uns thematisch erreicht. Was die Auftragslage anbetrifft, können wir eigentlich nach wie vor nicht richtig klagen. Wir waren zu Beginn dieses Jahres im ersten Quartal durchaus besser als im letzten Jahr, was den schieren Ertrag aus den Aufträgen anbetrifft.

Was sich bei uns sehr verändert hat, ist, dass die Firmen jetzt natürlich eher kurzfristig Ziele sehen wollen. Es gibt uns kaum mehr jemand einen Auftrag, eine Roadmap für Nanotechnologie im Jahre 2030 zu entwickeln, sondern man möchte eher Lösungen haben, wo man im halben oder in einem Jahr dann entsprechende Ergebnisse sieht. Das ist die Hauptveränderung, aber wir haben nach wie vor eine intensive Nachfrage aus der Wirtschaft, was ich positiv bewerten würde, denn das zeigt, dass man eben auch dort begriffen hat, dass der Weg aus der Krise durch neue, bessere Lösungen und Produkte nur geebnet werden kann.

Timm: Also man will das kleine Gerät, das in Leipzig gerade entwickelt wird, um aus einem Blutstropfen herauszufinden, welches Antibiotikum ein Mensch braucht, möglichst in drei Monaten?

Bullinger: Das möchte man möglichst in drei Monaten, also einen Prototyp sehen, um dann endgültig entscheiden zu können, ob man mit dem umgeht. So, und jetzt muss man natürlich Forschung sehen. Ich denke, die Forscher müssen sich gefallen lassen, nicht nur wir, aber auch wir, dass die Wirtschaft jetzt den Beleg möchte, dass das Geld, das man da investiert hat, auch helfen kann. Aber das ist natürlich kein langfristiges Ziel. Langfristig muss natürlich auch genügend in die Vorlaufforschung investiert werden.

Timm: Sie hatten schon mal so eine Geschichte, dass sie die Technik des MP3-Players gefunden haben und jemand anders sie dann verbreitete und vertrieb. Haben wir denn aus Ihrer Sicht den Anschluss in der Forschung derzeit schon verpasst?

Bullinger: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass wir insgesamt in Deutschland - ich meine jetzt weiß Gott nicht nur Fraunhofer - eigentlich noch eine gute Situation im Bereich der Forschungsergebnisse haben. Das wird uns vom Ausland auch immer wieder bescheinigt. Aber es geht jetzt eben drum, nicht nur aus Geld Wissen zu machen, was die Forschung immer tut, sondern aus diesem Wissen auch wieder Geld zu machen. Und das ist natürlich in Fragen der Krisen besonders geplant und besonders notwendig.

Wenn man die Situation analysiert, ich glaube, dann wäre es einfach gut, wenn wir irgendwann mal begreifen, es wird nicht mehr, wie es war. Und nach der Krise werden viele Produkte und viele Geschäftsmodelle anders aussehen als vorher. Und was jetzt passieren muss, ist, dass wir im Land alle Ressourcen zusammenziehen, die schnell helfen können, da rauszukommen.

Und da ist eben diese Frage der Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Wissenschaft ein Punkt. Nicht der alleinige, aber ein Punkt, der intensiviert werden muss, wenn das stimmt, wovon wir überzeugt sind, dass wir dringend Innovationen brauchen, um eben aus dieser Situation der Krise dann vielleicht doch sogar teilweise eine Chance machen zu können für manche Betriebe.

Timm: Reden wir mal drüber, wie man darauf kommen könnte. Bundesforschungsministerin Schavan will eine steuerliche Förderung von Forschung auf den Weg bringen, kommt da aber nicht so recht in die Strümpfe. Warum wäre denn das aus Ihrer Sicht so wichtig?

Bullinger: Ich habe den Eindruck, dass die Forschungsministerin sehr klar weiß, was sie will. Ich kenne die Vorschläge, weil die ja auch von verschiedenen Gremien beraten worden sind …

Timm: Aber sie sind noch nicht durch!

Bullinger: Ich glaube, man müsste mehr den Finanzminister fragen, warum man denn nicht bereit ist, das zu finanzieren, nachdem man ja allenthalben immer hört von der Politik - nicht nur von ihm, auch von anderen -, es sei so wichtig, dass man die Innovation macht. Ich glaube, dass das ein Punkt ist, an den wir ran müssten.

Nehmen Sie mal ein mittelständisches Unternehmen, das heute ja sowieso häufig genug jetzt eine enge Liquidität hat. Jetzt wäre der Unternehmer vielleicht auch noch bereit, zusätzliche Risiken einzugehen, um die Projekte zu machen. Ja, dann kann er noch nicht einmal seine Zinsen voll absetzen - gut, das möchte man ja jetzt möglicherweise ändern in der Gesetzgebung -, aber es wäre doch mehr als fair, ihm zu sagen, du kannst dann halt nicht 100 Prozent, sondern vielleicht sogar 10 Prozent mehr von diesem Produkt abschreiben. Also ich glaube, eine steuerliche Förderung wäre gerade für den Mittelstand eine äußerst interessante Lösung. Da kann man eigentlich den Vorschlag der Forschungsministerin nur unterstützen.

Timm: Und sonst hat man eben das Problem, dass irgendeiner genialer Mittelständler mit Ihnen zusammen das Patent für einen noch besseren MP3-Player der übernächsten Stufe entwickelt und es trotzdem nicht umsetzt?

Bullinger: Das wäre eine große Gefahr, die sonst entsteht, dass dann die Risikobereitschaft zu stark zurückgeht. Und wir haben heute Neuentwicklungen, wir konnten auf der Hannover Messe jetzt kleine handliche erste Brennstoffzellen zeigen, wo Sie Herstellkosten so unter 100 Euro haben, aber durchaus mal eine Woche lang Ihren PC versorgen konnten. Es ist ja nicht so, dass nichts passiert im Forschungsumfeld. Ich bin da auch nicht ohne Hoffnung.

Ich glaube, dass wir verhältnismäßig gut gerüstet in die Krise hineingegangen sind, aber wir müssen jetzt auch das Beste draus machen. Das heißt, jeder muss zu den Sprüchen, die er gemacht hat, dann auch stehen. Und da hat man, wenn man in der Szene drin steht, manchmal das Gefühl, es geht zu langsam und nicht intensiv genug.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit Hans-Jörg Bullinger, dem Präsidenten der Fraunhofer Gesellschaft. Herr Bullinger, Sie denken also jetzt schon für den nächsten Boom, sage ich mal. In welche Richtung, welche besonderen Entwicklungen hat die Fraunhofer Gesellschaft denn derzeit vor allem in der Pipeline, die uns nützen könnten für die Zeit nach der Krise?

Bullinger: Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Ansatzpunkten gibt. Natürlich setzen wir wie andere auch stark auf regenerative Energien, es geht nicht nur um Solar, es geht auch um Wind, es geht um Biomasse, es geht um die Frage neuer Werkstoffe. Wenn ich die Verbünde anschaue innerhalb Fraunhofer, ist deren schnellst wachsende der Lifescience-Bereich, wo ja ganz neue Produkte und Ansatzpunkte entstehen. Ich glaube, dass wir begreifen müssen, dass die Lösung nicht nur sein kann, dass das, was wir im Grunde immer schon gemacht haben und was andere in Asien, in Südamerika und sonst wo nachahmen, bei uns ein bisschen schneller und billiger gemacht wird. Wir müssen auch auf neue Lösungen gehen, die die anderen noch nicht haben. Und gerade dafür ist die intensive Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft wichtig.

Timm: Sie wollen in diesem Jahr eben 1.100 Stellen besetzen und haben trotzdem Nachwuchssorgen, weil die Naturwissenschaftler, die Sie brauchen, nicht so unbedingt zu Ihnen wollen. Woran liegt das?

Bullinger: An und für sich wollen die sehr gerne zu uns. Wenn ich den Untersuchungen glauben darf, gehören wir immer noch zu den Wunscharbeitgebern der Absolventen. Wir haben schlicht zu wenig. Wir haben immerhin letztes Jahr 850 einstellen können und haben die auch gefunden. Ich bin dieses Jahr auch zuversichtlich, dass wir das zumindest in der Größenordnung finden werden.

Das ist die größte Sorge, die ich jetzt aus meiner Perspektive in dieser Krise habe: Wenn jetzt passiert, dass die Firmen - was ja schon bei früheren Krisen passiert ist - die Absolventinnen und Absolventen von den Hochschulen gar nicht mehr einstellen, gerade auch die Techniker und Naturwissenschaftlerinnen, Naturwissenschaftler, dann wird das natürlich zu dem, was wir umgangssprachlich den Schweinezyklus nennen, führen an den Universitäten. Die jungen Menschen werden sagen: Das studiere ich lieber nicht, da hat man dann ja doch keine Chance, so wie es ein bisschen abwärts geht mit der Wirtschaft. Also wir müssen aufpassen, dass das mühsam bearbeitete Pflänzchen, das wir hochgezogen haben, für mehr Verständnis dafür zu sorgen, dass mehr junge Menschen sich dieser Thematik zuwenden, das darf jetzt nicht untergehen.

Timm: Ich hätte eher gedacht, Sie würden drauf abheben, dass Sie eben nicht ganz so gut zahlen können wie die reinen Industrieunternehmen und wollte die Frage anschließen: Die Fraunhofer-Institute sind ja Stätten der angewandten Forschung, daher das große Interesse der Industrie. Meinen Sie, dass Sie erfolgreicher wären, wenn der Staat alles zahlte und Sie auf die Industrie nicht so achten und damit auch so eingehen müssten?

Bullinger: Nein, das würde ich überhaupt nicht glauben, weil das ja eine wechselseitige Beziehung ist. Wir brauchen die Industrie ja auch, um zu sehen, wo denn Problemlagen sind, um darauf reagieren zu können mit Forschungsansätzen, um die entsprechend zu schließen. Also mit dieser Situation sind wir eigentlich ganz glücklich.

Was das Bezahlungssystem anbetrifft, bei Fraunhofer würden wir uns natürlich wünschen, dass das Wissenschaftsfreiheitsgesetz endlich durchkommt, das man ja versucht hat durchzusetzen, das den Forschungsorganisationen nicht unbedingt mehr Geld gibt, aber mehr Freiheit zu entscheiden, auch in der Bezahlung zu entscheiden, für was dann wie viel bezahlt wird, wobei durchaus die Gesamtsumme gleich bleiben kann.

Für die Fraunhofer Forscher ist das trotz alledem nicht die allein entscheidende Frage, denn die Forscherinnen und Forscher bei uns kommen üblicherweise nicht, um bei uns pensioniert zu werden, sondern sie sind so das Gros der Wissenschaftler. Man kann bei uns auch pensioniert werden, aber das Gros der Wissenschaftler ist bei uns für einen Zeitraum zwischen fünf und zehn Jahren, und dann gehen die jungen Menschen entweder selber an die Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen an anderer Stelle oder in die Wirtschaft.