Frauenquote in Norwegen "eher Symbolsache"

Kristina Jullum Hagen im Gespräch mit Frank Meyer · 06.09.2012
In Norwegen gilt seit 2008 eine gesetzlich vorgeschriebene Quote von 40 Prozent Frauenanteil in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen. Doch keineswegs habe dies zu der erhofften Erhöhung des Frauenanteils auf Managerebene geführt, sagt Kristina Jullum Hagen vom Hauptverband der Norwegischen Wirtschaft und Industrie (NHO).
Frank Meyer: Deutschland hat sich noch nicht festgelegt, ob das Land für oder gegen eine Frauenquote auf europäischer Ebene ist. Die Ministerinnen von der Leyen und Schröder sind da ja auch herzlich unterschiedlicher Meinung. Gestern wurde bekannt, dass zehn europäische Länder eine 40-Prozent-Frauenquote für börsennotierte Unternehmen in Europa verhindern wollen.

In Norwegen hat man in den letzten Jahren Erfahrung mit einer solchen Quote gemacht, und darüber reden wir mit Kristina Hagen vom Norwegischen Hauptverband für Wirtschaft und Industrie. Guten Morgen nach Norwegen, Frau Hagen!

Kristina Jullum Hagen: Guten Morgen!

Meyer: Frau Hagen, wie kam denn die Frauenquote in Norwegen überhaupt zustande, wer hat die durchgesetzt?

Hagen: Ja, der Vorschlag kam tatsächlich aus einer konservativen Regierung, 2003 wurde das Gesetz vorgeschlagen. Und das war nach einer starken Debatte hier in Norwegen, wo man sich Sorgen gemacht hat darüber, dass der Frauenanteil so gering war, besonders unter den börsennotierten Unternehmen. Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten lag damals bei sechs Prozent. Und dieses Gesetz wurde dann 2003 verabschiedet von fast allen politischen Parteien in Norwegen und trat ab 2008 richtig in Kraft.

Meyer: Wenn Sie sagen, von fast allen politischen Parteien in Norwegen verabschiedet: Gab es da tatsächlich einen breiten gesellschaftlichen Konsens, war fast niemand gegen diese Frauenquote?

Hagen: In den politischen Parteien gab es Konsens. Aber die Wirtschaft war sehr dagegen, das gilt auch für meine eigene Organisation. Und ich wollte gleich sagen, dass der Arbeitgeberverband immer noch nicht findet, dass die Quote die beste Lösung ist.

Meyer: Aus welchen Gründen denn?

Hagen: Ja, für uns geht es eher dann um Prinzipien. Für uns ist es ein wichtiges Prinzip, dass die Besitzer einer Firma selbst entscheiden dürfen, wer ihre Interessen im Aufsichtsrat vertritt. Und für uns ist deswegen das wichtigste Argument gegen eine Quote, dass sie in die unternehmerische Freiheit eingreift.

Meyer: Die Quotenkritiker sagen ja immer wieder, es gebe gar nicht genug qualifizierte Frauen für solche Positionen. Also würde die Kompetenz der Aufsichtsräte – um die geht es ja jetzt –, die Kompetenz der Aufsichtsräte würde unter einer Frauenquote leiden. Ist das denn in Norwegen passiert?

Hagen: Das ist in Norwegen nicht passiert, das muss man schon sagen. Die Unternehmen, die von dieser Quote betroffen sind, das sind etwa 350 Unternehmen in Norwegen, die hatten keine Probleme, qualifizierte Frauen zu finden. Und wir haben jetzt, zehn Jahre später, Analysen, die etwas darüber sagen, wer diese Frauen sind, die neuen Aufsichtsratsmitglieder. Und wir wissen jetzt, dass diese Frauen genau so qualifiziert sind wie die Männer, sie haben mehr Ausbildung als die männlichen Aufsichtsratsmitglieder, sie sind Manager in ihren Betrieben und sie haben lange Erfahrung. Also, die Befürchtung hat sich, auf jeden Fall in Norwegen sich nicht als wahr erwiesen.

Meyer: In deutschen Zeitungen wird allerdings immer wieder berichtet, dass es ein relativ kleiner Kreis von etwa 70 Managerinnen sein soll, die sich dann die 300 Vorstandsposten teilen in Norwegen. Ist das so?

Hagen: Das stimmt nicht. Die meisten Aufsichtsratsmitglieder unter den Frauen haben nur einen oder zwei Posten. Natürlich kommt es vor, dass einige sehr populäre Mitglieder in mehreren Aufsichtsräten sitzen, aber es gibt immer noch mehr Männer, die mehr Aufsichtsratsposten haben als Frauen. Das ist also kein typisches Phänomen für die Frauen.

Meyer: Der historische Ablauf war ja so, Sie haben es selbst schon gesagt: 2003 trat ein erstes Gesetz in Kraft, das hat noch auf freiwillige Aktionen der Unternehmen gesetzt, das hat nicht funktioniert – wie man das ja in Deutschland immer wieder sieht. 2006 trat dann das Gesetz in Kraft für die Frauenquote in den Aufsichtsräten, und schon 2008 war die Quote dann erreicht. Das ist ja unglaublich schnell, aus unserer Sicht jedenfalls! Warum ging das dann so schnell?

Hagen: Ja, das liegt vielleicht an der Ausformung des Gesetzes. Weil, in Norwegen ist es so: Wenn ein Unternehmen das Gesetz nicht erfüllt, dann kann es aufgelöst werden.

Meyer: Das Unternehmen kann aufgelöst werden?

Hagen: Ja, wenn man diese Quote nicht erfüllt. Und dann ist es klar, dass sie das machen und sich ans Gesetz halten. Das haben alle Unternehmen gemacht.

Meyer: In der Europäischen Union droht die Frauenquote für große Unternehmen in diesen Tagen zu scheitern. Wir reden über die norwegischen Erfahrungen mit einer solchen Quote hier im Deutschlandradio Kultur mit Kristina Hagen vom Norwegischen Hauptverband für Wirtschaft und Industrie. Wenn wir mal auf die positiven Vorurteile über die Quote reden, oder nicht nur Vorurteile, sondern auch Erkenntnisse: Es heißt, dass Unternehmen in den Vorständen und Aufsichtsräten leistungsfähiger werden, sogar mehr Gewinne machen als Unternehmen mit geringerem Frauenanteil. Hat sich das in Norwegen schon gezeigt?

Hagen: Nein, das hat sich in Norwegen nicht gezeigt. Ich sollte erst mal sagen, das ist ja sehr schwierig zu messen, ob nach oder vor Quote eine Firma mehr oder weniger erfolgreich ist. Es passieren ja andere Entwicklungen auch in der Wirtschaft im gleichen Zeitraum. Aber soweit unsere Analysen bewerten können, sehen wir, dass die betroffenen Firmen nach der Quote weder mehr noch weniger erfolgreich sind. Also, die Beteiligung der Frauen hat nicht den Unternehmen ökonomisch geschadet, aber auch nicht erfolgreicher gemacht.

Meyer: Und hat die Frauenquote die Kultur in den Unternehmen verändert? Es heißt ja zum Beispiel, dass Unternehmen mit mehr Frauen in den Aufsichtsräten zum Beispiel risikobewusster handeln, also Risiken eher vermeiden, als wenn dort Männer unter sich handeln würden?

Hagen: Solche Effekte haben wir bis jetzt nicht gesehen. Und ich muss auch sagen: Die richtig positiven Effekte einer Quote, auf die man vielleicht gehofft hatte, die sind in Norwegen nicht gekommen. Also, die Politiker haben ja zum Beispiel gehofft, dass der Frauenanteil auch auf Managerebene steigen würde durch eine Quote, dadurch, dass man mehrere Frauen als Vorbilder bekommt. Das ist aber nicht passiert. Und deswegen muss ich schon sagen: Die norwegische Quote ist vielleicht eher als Symbolsache anzusehen, als dass sie große Veränderungen in der norwegischen Gesellschaft bewirkt hat.

Meyer: Das heißt, in den Aufsichtsräten gibt es jetzt diese Frauenquote, 40 Prozent etwa sind Frauen, aber eine Etage darunter, in den Vorständen, hat sich die alte Verteilung - vor allem Männer, kaum Frauen in den Vorständen –, die hat sich erhalten in Norwegen?

Hagen: Ja, das stimmt. Und deswegen denken wir von Sicht der Wirtschaft, dass es vielleicht sinnvoller wäre, auf eine andere Weise mit dieser Frage umzugehen und zu arbeiten. Wir denken, dass es möglich wäre, mehrere Frauen zu rekrutieren auch ohne Quote. Aber dass diese Bewegung dann von den Unternehmen selbst kommen müsste. Dann könnten wir vielleicht eine nachhaltigere Entwicklung sehen in Fragen von Frauenbeteiligung in der Wirtschaft.

Meyer: Wenn Frauen gefördert werden, dann heißt das ja logischerweise auch, dass die Männer für diesen Zeitraum der besonderen Frauenförderung diskriminiert werden müssen wegen ihres Geschlechts, also zurückgestellt werden auf ihrer Karriereleiter. Wie sehen das die Männer in der norwegischen Wirtschaft, fühlen die sich diskriminiert?

Hagen: Das ist eine gute Frage. Es gibt Forscher in Norwegen, die haben männliche, sowohl männliche als auch weibliche Aufsichtsratsmitglieder gefragt, wie sie sich zu der Quote verhalten und wie sie die Quote bewerten, zehn Jahre nachher. Und jetzt sagen die meisten Männer und Frauen in den Aufsichtsräten, dass sie entweder positiv oder neutral zu der Quote sind. Also scheint es nicht eine große Streitfrage mehr zu sein unter den Männern.

Meyer: Dass jetzt mehr Frauen in den Spitzenjobs arbeiten in Norwegen, welche Auswirkung hatte denn das auf die Diskussion oder auch auf die Realität der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie? Hat das die Diskussion darüber vorangebracht?

Hagen: Ich würde sagen, dass wir in Norwegen gut Familie mit Beruf vereinbaren können, besonders im Vergleich zu Deutschland, wo ich mich ein bisschen auskenne. Aber ob das direkt damit zusammenhängt, mit der Frauenquote, das würde ich vielleicht nicht sagen. Das ist eine langjährige Entwicklung in Norwegen gewesen, die das geschafft hat, dass es jetzt tatsächlich möglich ist in Norwegen, Vollzeit zu arbeiten und Kinder zu haben. Unter anderem, dass wir 13 Monate bezahlte Elternzeit haben, die meisten Kinder haben Recht auf einen Kita-Platz, solche Sachen. Das sind ja eher politische Entscheidungen, und kein Kulturwandel.

Meyer: Sie haben uns ja schon erklärt, Frau Hagen, dass Ihr Verband gegen die Frauenquote ist, gegen die gesetzliche Regelung dafür. Aber Sie selbst jetzt als Norwegerin, sind Sie nicht doch stolz auf die Vorreiterrolle, die Ihr Land hat in dieser Frage in Europa?

Hagen: In Fragen von Gleichberechtigung bin ich schon stolz. In der Frage von der Quote bin ich mir nicht so sicher. Ich finde, man müsste vielleicht grundsätzlicher arbeiten und gucken, was die Frauen davon abhält, Jobs im privaten Sektor zu wählen zum Beispiel, und man müsste gucken, was kann man vonseiten der Unternehmen machen, sodass mehrere Frauen Führungspositionen auf sich nehmen wollen. Und ich finde, es wäre sinnvoller, so zu arbeiten langfristig in den Unternehmen, als dass man einfach so eine einfache Lösung wählt wie eine Quote.

Meyer: Die Erfahrungen mit der Frauenquote in Norwegen haben wir mit Kristina Hagen besprochen. Sie arbeitet bei dem Norwegischen Hauptverband für Wirtschaft und Industrie. Frau Hagen, vielen Dank für dieses Gespräch!

Hagen: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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