Frauenpower durch Boxen

Von Günter Herkel |
Für ihre Lehre, Forschung und ihr soziales Engagement wird die Philosophie- und Politikwissenschaftlerin Heather Cameron als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet. Daneben hat die gebürtige Kanadierin in Berlin die Boxschule "Boxgirls" gegründet.
Boxen macht stark, selbstständig, fördert die ganze Persönlichkeit – das ist das Credo, unter dem die Kanadierin Heather Cameron in ihrem vor zehn Jahren gegründeten Boxverein mit jungen Mädchen und Frauen arbeitet. Für ihr soziales Engagement wird die Juniorprofessorin der Freien Universität Berlin am 22. März in Hamburg vom Deutschen Hochschulverband als "Hochschullehrerin des Jahres" ausgezeichnet.

Eine etwas heruntergekommene Sporthalle in Berlin-Kreuzberg. In der Mitte des Boxrings steht Heather Cameron, umgeben von acht jungen Frauen. Die Trainerin trägt an den Händen Boxkissen, sogenannte Pratzen, auf die die Frauen der Reihe nach rhythmisch und wuchtig einschlagen. Eine Gemeinschaftsübung zur Schulung der Hand-Augen-Koordination, mit der Cameron das Training mit ihren Elevinnen gern abschließt.

"Ich liebe das Boxen. Und ich liebe es vielleicht auch deswegen, weil es nicht eine feminine Sportart ist. Ich finde, dass einfach die lustigen Dinge im Leben viel mit Mut und mit Selbsteinschätzung und ein bisschen mit Aggression zu tun – es ist einfach zu sagen, es ist nicht für Mädchen, aber ich denke, es ist tatsächlich sehr gut, wenn Frauen und Mädchen diesen heldenhaften Teil von sich entwickeln."

Die Chance dazu bekommen sie bei den "Boxgirls", einer Boxschule, die Cameron vor neun Jahren gründete. Rund 100 Frauen und Mädchen, nicht wenige davon aus schwierigen sozialen Verhältnissen, trainieren hier, zwei-, dreimal in der Woche. Der Kampfsport fördert ihr Selbstbewusstsein und hilft ihnen, sich im rauen Kreuzberger Alltag besser zu behaupten.

Boxschülerinnen:
"Das Tolle am Boxen ist, dass man seine ganze Kraft rauslassen kann und der Körper stärker wird, und das Geistige auf jeden Fall, weil man viel Reflexe übt und die Ausdauer und verschiedene Sachen."
"Ich glaub auch, dass ich fitter geworden bin dadurch, dass ich jetzt boxe, und ich hab auch neue Freunde gefunden, also vielleicht auch sozial verbessert ..."

Körper und Geist entwickeln, soziale Kontakte stärken – damit ist das Lernziel Heather Camerons ganz gut umschrieben. Vor elf Jahren kam die gebürtige Kanadierin im Rahmen eines Forschungsstipendiums nach Berlin. Eine berufliche Etappe, die für ihr weiteres Leben entscheidend werden sollte. Die ersten Berlin-Erfahrungen reichen aber noch weiter zurück.

Cameron: "Ich bin tatsächlich als Touristin erst mal hier gekommen, als ich 18 war und die Mauer noch da war. Und es ist Glück, dass später die Freie Universität mir ein Stipendium angeboten hat, als Austauschstudentin, und so ich bin hier gekommen für zehn Monate, aber war total begeistert von Berlin und alle die Baustellen und alle die coole Leute in der Kunstszene und alles mögliche, und ich habe gedacht, ich bleib noch ein Jahr, und aus diesem einen Jahr wurden elf."

Heute lebt sie im Problembezirk Berlin-Neukölln. Die Frau mit dem schwarzen Kapuzenshirt und kurzem dunklen Haar ist Single. In ihrer Freizeit joggt sie ausgiebig oder unternimmt auf dem Motorrad Ausflüge ins Umland. Mit einiger Leidenschaft widmet sie sich auch dem Tango Argentino.

Promoviert hat die 40-jährige Philosophie- und Politikwissenschaftlerin über Foucault, Freud und die kritischen Intellektuellen. 2008 erhielt sie eine Juniorprofessur für Integrationspädagogik an der Freien Universität Berlin. Bereits im Dezember letzten Jahres wurde sie zur "Hochschullehrerin des Jahres" ernannt. Mit dieser Auszeichnung würdigt der Deutsche Hochschulverband Professoren, "deren außergewöhnliches Engagement in herausragender Weise das Ansehen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit gefördert hat".

Cameron: "Ich bin überhaupt superstolz, einfach für die Freie Universität zu arbeiten, weil ich meine, man hat so viele tolle Kollegen, die auch wunderschöne Projekte haben, aber vielleicht nicht so verrückt wie unbedingt eine Professorin, die auch Boxtrainerin ist."

Lehre, Forschung und soziales Engagement – für Heather Cameron hängen diese Elemente stets unmittelbar zusammen. Ihre Studenten leitet sie an, sich im Rahmen des Studiums am Aufbau sozialer Projekte zu beteiligen. Wie zum Beispiel beim Schulprojekt "Sicher im Kiez".

Cameron: "Wahrscheinlich am wichtigsten, weil viele andere Projekte machen dieses Anti-Gewalt-Training, ist, dass die Mädchen sich darüber äußern, wie sie ihren eigenen Kiez sicherer machen können. Und nicht aus dieser Abwehrperspektive, sondern: Hey, ich bin eine starke Bewohnerin hier, ich will einfach auch sicher leben, ich will, dass meine Oma ohne Probleme hier durch den Kiez gehen kann."

Inzwischen engagiert sich Cameron über die Grenzen von Berlins Problembezirken hinaus. Bereits im Jahr 2007 unterstützte sie daher die Gründung eines Boxgirls-Clubs in Nairobi. Mit großem Erfolg. Vor einem Jahr bekam die "Boxgirls international"-Familie weiteren Zuwachs – im südafrikanischen Kapstadt.

Cameron: "Auch da werden wir versuchen, Mädchen in diesen Townships und informal settlements rund um Kapstadt zu unterstützen."

In der Kreuzberger Sporthalle geht das Training dem Ende entgegen. Heather Cameron macht noch ein paar Konditionsübungen mit dem Sprungseil. Boxen ist ihre Leidenschaft. Vor zwölf Jahren gewann sie sogar die Berliner Meisterschaft im Weltergewicht. Ihre Liebe zu gerade diesem Sport erklärt sie so: Boxen erfordere Stärke, gute Kondition, Reaktion, Koordination, Gefühl für Rhythmus.

Cameron: "Das alles plus: muss man taktisch gut sein, man muss gut konzentrieren können, man muss irgendwie Ruhe behalten, man muss einfach auch gut prognostizieren, was kommt – ein bisschen wie Schach. Und diese Verbindung war einfach für mich wunderschön und hat mich wirklich fasziniert für jetzt schon mehr als 16 Jahre."

Links zum Thema:
Auf dem 60. Tag des Deutschen Hochschulverbandes am 22./23. März 2010 werden in Hamburg verschiedene akademische Preise verliehen, darunter der Titel als Hochschullehrerin des Jahres.