Frauen in der rechtsextremen Szene

Unterm Radar

29:30 Minuten
Gemälde in Garagenwand in Jamel
Im Mittelpunkt die deutsche Frau und Mutter: So wie auf dieser Garagenwand stellt man sich in Jamel offenbar die heile deutsche Familie vor. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 28.06.2020
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Rechtsextreme Frauen sind unauffällig, aber keineswegs untätig: Sie planen und unterstützen Anschläge, mischen in Kindergärten und Schulen aktiv mit und erziehen den Nachwuchs im völkisch-nationalen Geist. Nur wenige reden über ihre Rolle.
Jamel bei Wismar an der Ostsee ist ein 40-Seelen-Dorf. Mit einer ausgedehnten Wiese in der Mitte, die Weite schafft. Das glattgefahrene Kopfsteinpflaster auf der Dorfstraße verschwindet fast im mecklenburgischen Sandboden. Zwischen den Häusern führen schmale Pfade zu einem See, der tiefblau schimmert. Die reine Idylle.

Die Reichsflagge als Erkennungszeichen

Auf Dächern und in Vorgärten wehen Flaggen, die wohl nur deuten kann, wer sich mit Nazi-Symbolen befasst hat. Eine riesige schwarz-weiß-rote Fahne flattert über dem größten Gehöft, dem Wohnhaus von Sven Krüger, einem mehrfach wegen Hehlerei und illegalem Waffenbesitz verurteilten Rechtsradikalen, der seit der Kommunalwahl 2019 im Gemeinderat sitzt. Zusammen mit seinen Nachbarn Tino Streif und Steffen Meinecke kandidierte er für die "Wählergemeinschaft Heimat". Früher ist er für die NPD angetreten. Eine Reichsflagge wie bei Krüger ist – ohne zusätzliche Symbole – nicht in jedem Fall strafbar, in der Szene dient sie als Erkennungszeichen. Den anderen als Warnung, denn Jamel ist eine No-Go-Area.
Auf der Straße spielen zwei Jungen, sie grüßen fröhlich. Ich spreche sie an.:
"Ist deine Mama da?" - "Warum?" - "Weil ich deine Mama gern sprechen möchte." - "Die wohnt da vorne."
Und dann sagt einer der Jungen plötzlich: "Da ist er."
Mit "er" ist ein junger Mann vor dem Krüger-Haus gemeint. Während die Frau auf der Veranda bleibt, kommt er näher. Große Schritte, gesenkter Kopf. Ein Hüne, über 1,90 Meter groß, breitschultrig, schlank, blond, kahlgeschoren. Seine blauen Augen schicken böse Blicke, seine Lippen leuchten auffallend rot. Ich gehe auf ihn zu.

"Verpissen Sie sich!"

"Hallo, guten Tag. Ich würde gern Ihre Frau oder eine Frau von hier sprechen. Ich bin Journalistin vom Deutschlandfunk." - "Wir reden nicht mit Journalisten. Tschüß." - "Und Ihre Frau?" - "Verpissen Sie sich und hören Sie auf, die Kinder vollzuquatschen. Bewegen Sie sich!" - "Das ist hier eine öffentliche Straße. Hier darf ich sein." - "Ist mir scheißegal, verpissen Sie sich jetzt."
An einem Container ist das Schild "Abriß Krüger" angebracht, davor steht Sperrmüll und Gerümpel.
Abriss-Unternehmer Krüger kandidierte früher für NPD und sitzt jetzt für die "Wählergemeinschaft Heimat" im Gemeinderat.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Das Gesicht des vielleicht 18-Jährigen war zuletzt keine 30 Zentimeter mehr von meinem entfernt. Schließlich legt er den Rückwärtsgang ein, behält weiter alles im Blick. Die kleinen Dorfjungen rennen an der Scheune vorbei, die laut Firmenschild zum Abrissunternehmen Sven Krüger gehört, stürmen durch eine Pforte im Haus dahinter. Im Vorgarten weht eine zerfetzte, schwarz-weiße Flagge. Als der Wind den Stoff bläht, wird eine Elchschaufel sichtbar, das Symbol für Ostpreußen. Die Kleinen winken mich heran. Ich versuche es noch einmal:
"Wohnt deine Mama hier?" - "Den Franzen seine Mutti. Der Papa von der Mutti arbeitet bei Abriss-Krüger. Was wollen Sie denn fragen?" - "Ich wollte mal mit deiner Mama sprechen. Fragst du bitte mal deine Mama, ob ich sie mal sprechen darf?" - "Sind Sie böse oder lieb?" - "Also, ich bin natürlich lieb."

Nur vier Hunde reagieren auf das Klingeln

Sie flitzen um die Wette ins Haus. Eine Frau mittleren Alters in schwarzer Bluse tritt aus der Tür.
"Worum geht’s denn?" - "Ich möchte gern mit Müttern sprechen, die in diesem Dorf leben." - "Ich möchte aber nicht. Tut mir leid." - "Könnten wir uns ganz kurz unterhalten?" - "Tut mir leid. Da muss ich Ihnen eine Absage erteilen, ich möchte nicht mit der Presse sprechen." - "Gibt es vielleicht jemanden, der mit uns reden würde?" - "Sie können Ihr Glück versuchen. Ich würde mal sagen: nein." - "Okay. Schade. Danke."
An den Häusern ist erkennbar, dass die Neonazi-Männer mit Abrissarbeiten, Hüpfburgen- und Drohnenverleih keine Vermögen verdienen. Die Mutter des Kleinen hatte Recht, am nächsten Haus reagieren nur vier Hunde auf die Klingel. Erneut steuert der Hüne aus dem Krüger-Haus mit der Reichsflagge auf mich zu. Er trägt ein weißes T-Shirt, kurze Hosen, Arme und Beine tätowiert. Als er mich eingeholt hat, zischt er von der Seite: "Lügenpresse und viel Spaß noch beim Rumlügen". Ich frage, warum er so aggressiv auf mich reagiert.
"Ich kann ja mal aggressiv werden. Du kannst mich ja mal kennenlernen."
Die Rechtsextremen von Jamel stellen ihre Gesinnung offen zur Schau. So an einer Garagenwand. In Nazi-Propaganda-Art ist eine fünfköpfige Familie in die Schwingen eines überdimensionierten Adlers gebettet. Mitten im Dorf gibt ein geschnitzter Wegweiser die Entfernungen nach Breslau und Königsberg an. In einem Schaukasten mit einer Wandzeitung wie zu DDR-Zeiten hängt ein Foto des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, mit der Huldigung "Unvergessen".

Frauen laufen "unterm Radar"

In einem einzigen Haus in Jamel, in der Forststraße, sind Besucher willkommen. Hier wohnen Birgit und Horst Lohmeyer. Als die beiden 2004 nach Jamel zogen, war der einzige Neonazi im Dorf Sven Krüger, der Vater war schon zu DDR-Zeiten als Rechtsradikaler bekannt. Mit den Krügers glaubten die Lohmeyers es aufnehmen zu können. Doch inzwischen haben die allermeisten im Ort eine braune Gesinnung, was die Männer nicht verbergen. Und die Frauen? Immerhin hat die angesprochene Mutter das Interview höflich abgelehnt. Birgit Lohmeyer schüttelt den Kopf.
Schaukasten, in dem ein Foto des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß hängt mit der Bildunterschrift "Unvergessen".
Wegweiser nach Breslau und Königsberg und ein Porträt von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß im Schaukasten: In Jamel sind die Bezüge zur nationalsozialistischen Zeit offen sichtbar.© Deutschlandradio / Sabine Adler
"Von den Beobachtungen her, die wir machen können, ist es tatsächlich so, dass die Frauen hier für die Haushalte inklusive der Kinder zuständig sind, und sie sind sehr zurückgezogen. Das heißt aber überhaupt nicht, dass sie weniger gefährlich sind als ihre Männer, wir wissen es ja von Frau Zschäpe. Die hatte ja einen tragenden Anteil an den Verbrechen des sogenannten NSU", sagt sie.
"Und solche Funktionen gibt es hier im Dorf auch. Die Schwester des Anführers, die war auch mal im Ring Nationaler Frauen die Schatzmeisterin, die hatte auf jeden Fall eine Funktion in dieser Nazi-Gesellschaft. Frauen sind nicht untätig. Ich glaube, dass die Frauen einfach wirklich unterm Radar laufen. Oftmals. Das heißt aber nicht, dass nicht hinter jedem Nazi eine starke Frau steht. Sie sind involviert in die Ideologie, und ich denke, sie geben das auch an ihre Kinder weiter."

Permanente Attacken von Nachbarn

Schon mehrfach erhielten die Lohmeyers Angebote der Neonazis für ihr Haus. Jedes Mal lehnten sie ab, Geschäfte mit Rechtsextremen gehören sich nicht, finden sie. Ihr Grundstück liegt etwas abseits und ist kaum einsehbar, trotzdem werden sie permanent attackiert. Denn sie sind die einzigen bekennenden Nicht-Nazis in Jamel, erzählt Birgit Lohmeyer:
"Nach wie vor ist es so, dass wir ja mimisch-gestisch entweder beleidigt werden oder mehr oder weniger freundlich unsere Anwesenheit kommentiert wird. Das fängt bei den ganz kleinen Kindern an. Denen werden die Augen zugehalten. Die sollen uns nicht ansehen. Das geht soweit, dass ein kleiner Sohn von dem Anführer uns seinen nackten Hintern zeigt. Zieht einfach seine Hose runter, dreht sich um."
Vielleicht ein Kinderstreich, vielleicht einfach unfreundliche Nachbarinnen? Ich will wissen, woran die Lohmeyers festmachen, dass die Frauen zur rechten Szene gehören.

"Zum Beispiel, dass sie natürlich während der großen Nazi-Partys hier die Rituale mitmachen: Fackellaufen, Eheleiten feiern, Sonnwendfeiern begehen am Lagerfeuer mit den Männern zusammen, also ich glaube schon, dass das ein eindeutiges Indiz dafür ist, dass sie integraler Bestandteil der Szene sind, schlicht und ergreifend", sagt Birgit Lohmeyer.
"Die separieren sich nicht, wenn die Nazi-Kerle hier feiern, sondern die sind natürlich dabei. Und die Frauen nehmen auch durchaus kein Blatt vor den Mund. Als wir zwei Minuten zu lange mit unserem Auto am Dorfeingang gestanden sind, kommen plötzlich zwei der Muttis hier auf unserer Einfahrt und fangen an, uns anzuschreien. Wir würden die Kinder des Dorfes fotografieren. Wir haben Dashcams in den Autos zur Eigensicherung, und daraus haben sie gedreht, wir würden irgendwie ihre Familien, ihre Häuser, ihre Kinder fotografieren. Und deswegen kamen denn die beiden Muttis hierher gerannt und haben uns angepöbelt."

Was wird aus den Kindern von Neonazis?

Vor einigen Wochen trat ihnen ein Jugendlicher den Zaun ein. Anders als den Männern mit ihren geschorenen Schädeln und Tätowierungen ist den Frauen die Gesinnung nicht anzusehen, meint Birgit Lohmeyer.
"Nö, wenn man sie nicht kennt und wenn man nicht die Kennzeichen zu deuten weiß, die sie an ihren Autos haben, da mit den entsprechenden Kennzeichen 18 oder 88. Das kann man zumindest, wenn man ein wenig geschult ist, deuten."
Horst und Birgit Lohmeyer vor dem Pyramiden-Denkmal, das aus den Kanthölzern ihrer Scheune errichtet wurde, die einer Brandstiftung zum Opfer fiel.
Als einzige bekennende Nicht-Nazis in Jamel werden Birgit und Horst Lohmeyer oft angefeindet.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Seit 16 Jahren wohnen die Lohmeyers in Jamel. Sie haben Kinder heranwachsen sehen. Was wird aus denen?
"Nazis. Die sind ja schon von kleinen Kindesbeinen an völlig indoktriniert. Man hatte am Anfang ja noch ein, zwei Begegnungen mit kleinen Kindern, die noch nicht von uns ferngehalten wurden. Und wo zum Beispiel ein Fünf-, Sechs- oder Siebenjähriger anfing zu diskutieren, dass es um Deutschland doch so schlecht bestellt ist wegen der vielen Arbeitslosen und dass es doch ganz fürchterlich ist hier in Deutschland. Der älteste Sohn des Anführers ist jetzt erwachsen und ist auch schon einschlägig unterwegs."
Horst Lohmeyer – mit langem weißen Zopf, Baseball-Kappe und kariertem Hemd – ist Musiker von Beruf. Birgit Lohmeyer ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie lernten in ihren Jahren in Hamburg-St. Pauli, mit schwierigen Nachbarn auszukommen.

Frauen grenzen aus

Als sie nach Jamel umzogen, übernahmen sie das Forsthaus samt einem Bewohner, der auf ihrem Hof in seinen drei alten Bau- und Zirkuswagen lebte. Schon bald exerzierten die Frauen im Dorf an ihm, was später auch ihnen widerfahren sollte.
"Er war der erste, der konfrontiert wurde mit Anfeindungen. So nach dem Motto: Was willst du hier? Verpiss dich und so weiter. Und das waren interessanterweise Frauen, die auf ihn losgingen, verbal. Er hat das wirklich ernst genommen. Zu Recht. Es kam zu Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Beleidigungen. Wir haben dann 2007 überlegt, wir müssen das Dorf hier öffnen für die Öffentlichkeit, weil ungefähr ab 2006 dann die anderen Nazifamilien geballt hierher zogen."
Sie gingen in die Offensive, organisierten Kunst- und Gartenausstellungen und dann ab 2007 das inzwischen bundesweit bekannte Musikfestival "Jamel rockt den Förster".
Anders als die Lohmeyers, die sich nie zu Fuß, sondern nur mit dem Rad oder Auto durch Jamel bewegen, gehe ich vor der Abreise ein letztes Mal durch das Dorf und versuche, eine auskunftsbereite Bewohnerin zu finden. Noch bevor ich klingeln kann, schlagen zwei Schäferhunde Alarm. Sie stürzen auf den Zaun zu, der so niedrig ist, dass ich zügig ins Auto steige.

Endlich eine rechte Frau, die spricht

Anders als die Frauen in Jamel ist Sigrid Schüßler bereit zu einem Interview. Schüßler ist in der rechtsextremen Szene bestens bekannt. Die schmale, große Frau mit flammend rotem langen Haar, hellem Teint und blauen Augen wurde zwei Mal wegen Volksverhetzung verurteilt. Weil sie das Bußgeld zunächst nicht zahlen konnte, ließ sie die Hüllen fallen und stand Modell für einen Aktfoto-Kalender.
Um die ehemalige NPD-Politikerin zu treffen, muss ich aus dem Norden über 600 Kilometer hinunter in den Süden, nach Aschaffenburg.
In Leggings und langem T-Shirt öffnet sie mit einem strahlenden Lächeln die Tür ihres Einfamilienhauses, dem 5-Mädel-Haus wie sie sagt. Ein Hund springt immer wieder an mir hoch, auch die zweitjüngste Tochter Lissi eilt neugierig herbei.
Dass Sigrid Schüßler mindestens zwei Gesichter hat wird schnell klar: Hier die herzliche Gastgeberin, entspannte Mutter, die der Tochter Eis zum Frühstück erlaubt, kunstsinnig und kreativ. Dort die rechtsextreme Politikerin, die es in der NPD bis zur Landesvorsitzenden und im Ring Nationaler Frauen zur Bundesvorsitzenden gebracht hat, bis sie sich mit allen überwarf und ausschied.

Verachtung für die Kanzlerin

Mit der Emanzipation von Frauen in der Politik hat Sigrid Schüßler allerdings nichts am Hut:
"Das interessiert mich nicht. Es ist eher umgekehrt. Ich sehe eher, dass die Frauen, also diese Politik-Marionetten, die vorne sind in den etablierten Parteien, dass diese Frauen oftmals überhaupt nicht weiblich sind, sondern dass man diese Frauen oftmals als Mannweiber bezeichnen kann. Wenn ich mir die "Grökaz" anschaue, also die größte Kanzlerin aller Zeiten, dann sehe ich zwar, dass sie bestimmt Körbchen-Größe F hat. Aber ich empfinde da keine Frau. Ja, ich empfinde bei ihr sogar kein Mensch."
Sigrid Schüßler ist wütend. Ich will wissen, woher ihr Ärger rührt.
"Das ist kein Ärger. Ich bin jetzt 50 Jahre alt, und ich erlebe, dass ich ein Leben mehr oder weniger in Verstellung führen muss, damit sich Leute nicht vor mir zurückziehen. Nicht, weil ich irgendwelche extremistischen Äußerungen tätige, sondern weil ich klar und offen denke und in der Lage bin, mich zu artikulieren und auch komplexe Sätze zu sprechen."
Ich komme zurück auf die Kanzlerin, die sie so verachtet.
"Sie macht das ja mit einer Hingabe. Und wenn man sieht, wie sie mittlerweile bei der Nationalhymne zittert, da fängt es schon an, wir leben hier mit einer Feind-Regierung", sagt Sigrid Schüßler.
"Wir haben noch nicht mal eine Verfassung. Wir sind kein souveräner Staat. Und es gibt eben keinen Friedensvertrag mit Deutschland. Und deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland Feindstaat und unsere Regierung ist von den Alliierten eingesetzt. Und diese Entscheidungen, die von dieser sogenannten Politik kommen, die sind alle absolut zersetzend, vernichtend und zerstörerisch."

Beim Elternabend gegen Sexualkunde

Ein anderes Reizthema für die vierfache Mutter: Schwangerschaftsabbrüche. Eine ihrer Töchter ist mit Trisomie 21*) zur Welt gekommen. Unablässig behauptet Schüßler, dass jeden Tag in Deutschland 1000 Kinder abgetrieben werden. Tatsächlich sind es seit Jahren keine 300 pro Tag.
Auch der Sexualkundeunterricht in der Schule ist für sie ein rotes Tuch.
"Was da mittlerweile wirklich stattfindet, ist ekelhaft. Es gibt Gott sei Dank Elternabende vor diesen Sexualkunde-Sessions und ich habe von allen Lehrern nur Dankbarkeit bekommen."
Porträtaufnahme von Sigrid Schüßler.
Herzliche Gastgeberin, entspannte Mutter, aber auch stramm rechte Politikerin - Sigrid Schüßler hat mehrere Gesichter.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Sigrid Schüßler widerspricht dem Sexualkundeunterricht und findet Gehör. Sie ist mit ihrem Widerspruch also nicht gescheitert, trotzdem stellt sie die Situation so dar, also gäbe es keinen Pluraliusmus im Land:
"Den gibt es nicht. Wir leben in einer Meinungsdiktatur. Du darfst deine Meinung haben, solange du die Meinung hast, die dir im Mainstream, in den Marionetten-Medien offenbart wird, die dir eingetrichtert wird."
Ich mache sie darauf aufmerksam, dass sie gerade mit einem sogenannten "Marionetten-Medium" spricht. Und wohl davon ausgeht, dass dieses Interview auch gesendet wird. Und vermutlich trotzdem weiter von Lügenpresse reden wird. Warum gibt sie dann überhaupt das Interview?

"Weil ich ein freundlicher Mensch bin. Ich weiß nicht, was Sie daraus machen, aus dem Interview. Das liegt dann in Ihrer Verantwortung. Es ist für Sie ja auch mutig, sich mit mir zu unterhalten. So rum wird ein Schuh draus."
Ich finde das überhaupt nicht mutig und hätte gerne viel mehr Gesprächspartnerinnen aus der rechten Szene interviewt. Aber sie lehnen das ab und vermeiden genau diese Begegnung. Sigrid Schüßler ist da anders: "Diese Haltung vertrete ich halt überhaupt nicht."

Kindertheater muss schließen

Mit der politischen Arbeit in rechtsextremen Organisationen begann Sigrid Schüßlers zweites Leben. Nach dem Literatur-, Kunst- und Theaterstudium sowie ihrer Schauspiel- und Regieausbildung spielte sie zunächst am Schauspielhaus Düsseldorf, in Graz und Heilbronn. Vom Theaterbetrieb wandte sie sich jedoch bald ab, weil neue Stücke immer schon nach sechs Wochen Proben aufgeführt wurden, egal ob sie bereits bühnenreif waren oder nicht, so ihre Meinung. Sie gründete ihr eigenes Kinder-Theater "Hollerbusch", mit dem sie aber nicht nur in Schulen oder Kindergärten auftrat, sondern auch bei der "Deutschen Stimme", der NPD-Parteizeitung, zu deren Pressefest Tausende Besucher kamen. Worauf die Behörden hellhörig wurden.
"Also mir wurde durch antifaschistische, asoziale Propaganda, an der auch das Rathaus mit beteiligt war und das Landratsamt hier, wo ich lebe, mein Ruf dermaßen zunichte gemacht, dass ich meine berufliche Selbständigkeit zunächst mal komplett runterfahren musste. Mein ganzes Leben hat sich dadurch komplett verändert."
Niemand lud ihr Theater "Hollerbusch" mehr ein, ohne Buchungen musste sich die Truppe auflösen. Sigrid Schüßler wurde ihre Nähe zu den Rechtsextremen zum Verhängnis. Dass sie noch nie Berührungsängste mit ihnen kannte, zeigte sich auch an ihrer Verbindung mit dem Neonazi Falko Schüßler, Vater ihrer Kinder, der Mitglied in der verbotenen Wiking-Jugend und Freiheitlichen Arbeiterpartei war. Sie verteidigt sich und ihn.
"Was bedeutet Nazi? Ein Nazi ist ein National-Zionist. Und was Sie meinen, ist ein National-Sozialist, ein Naso. Und die Nazis sitzen bei uns in der angeblichen Regierung. Ich lasse mich nicht mit irgendwelchen asozialen Farbklecksen beschmieren. Mein Ex-Mann ist kein Nazi. Das sind Etiketten, die vergeben werden durch die Marionetten-Medien, um Propaganda zu betreiben. Das ist die Nazikeule, die Sie gerade auspacken."

"Medien sind Marionetten"

Ich erwidere: "Wir haben natürlich in einer Sprache Begriffe. Und diese Begriffe sind besetzt. Ich sage nicht, Ihr Mann ist Nazi oder Ihr Ex-Mann ist Nazi, sondern Ihr Ex-Mann ist Neonazi. Ich darf das sagen, weil beide Organisationen, in denen er war, als neonazistische Organisationen eingestuft worden sind. Das können Sie jetzt gelten lassen oder nicht. Aber wir können alle Begriffe nehmen, wir können den Tisch Stuhl nennen, und wir können die Sonne Mond nennen und dann versuchen weiterzureden. Es gibt ein sehr schönes Stück darüber übrigens. Und wir werden uns nicht mehr verständigen können."
Nun entspinnt sich ein Dialog.
"Gut, dann stellen Sie mir die Frage zu meinem Ex-Mann."
"Wussten Sie damals, welche Weltanschauung er vertritt? Und konnten Sie da guten Gewissens mitgehen?
"Also, ich habe meinen Ex-Mann kennengelernt auf einer Veranstaltung von der DVU in Passau in der Nibelungenhalle, genau."
"Das heißt, das politische Interesse kam durchaus nicht erst mit Ihrem Mann?"
"Nein, Quatsch. Es war eine ganz tolle Veranstaltung vom Doktor Frey in der Nibelungenhalle. Da hat jedes Mal die Bude gebrannt. Also, die war voll bis zum Gehtnichtmehr. Es waren total viele junge Leute da. Und das war für die jungen Leute mehr oder weniger auch ein Heiratsmarkt."

Behörden blicken auf Männer

Sigrid Schüßler ist zwar aus der NPD ausgetreten, doch der rechtsextremen Szene hat sie damit längst nicht den Rücken zugekehrt. Andere sind ausgestiegen. Etliche Männer und auch Frauen haben dabei Hilfe bekommen. Doch leider ist keine Aussteigerin bereit, über ihren Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft zu sprechen. Meine Bitte bei mehreren regionalen Organisationen und schließlich beim Bundesverband der Ausstiegshilfen, einen Kontakt zu einer Betroffenen herzustellen, blieb erfolglos. So habe ich diejenige gefragt, die die größte Erfahrung mit Aussteigerinnen hat: NINA, die Aussteiger-Initiative Nordrhein-Westfalen.
Hier arbeitet die Sozialpädagogin Petra Franetzki seit 11 Jahren ausschließlich mit rechtsextremen Frauen. Die 51-Jährige mit dem asymmetrischen Kurzhaarschnitt wartet vor dem Bahnhof von Recklinghausen. In der Altstadt nahe am großen Kino liegen das Büro und die Schulungsräume, die bis vor der Coronakrise rege genutzt wurden.
"Hier können auch Veranstaltungen stattfinden, z.B. zu Themen wie 'Frauen in der rechten Szene' oder 'Ist Rechtsextremismus ein Grund für § 8a SGB VIII, also für Kindeswohlgefährdung."
Ausstiegshelferin Petra Franetzki zeigt mit dem Finger auf einen Laptop, auf dem Videos von Naziaufmärschen laufen.
Frauen machen in der rechtsextremen Szene zwischen 10 und 30 Prozent aus, schätzt die Ausstiegshelferin Petra Franetzki.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Ich will wissen, wer zu den Veranstaltungen kommt.
"Erstaunlich viele Besucher, wir haben meist 70 bis 80 Leute, Schule, Justiz, Polizei, Verfassungsschutz, Sozialarbeiter aus allen möglichen Bereichen."
Die meisten Teilnehmerinnen, so werden die ausstiegswilligen Frauen genannt, kommen auf den Rat von Lehrern, SchulsozialarbeiterInnen, GerichtshelferInnen, manchmal auch auf gerichtlichen Beschluss. Die Wachsamkeit der Behörden rechtsextremen Männern gegenüber sei aber weit größer, stellt Petra Franetzki immer wieder fest.
"Ich glaube, dass das Auge nicht so scharf ist und dass sie nicht so sensibel sind bei Frauen, dass Frauen vielleicht auch tatsächlich nicht so auffällig auftreten. Die laufen nicht unbedingt mit einem Reichsadler auf dem T-Shirt zu einem Termin auf."

Frauen exponieren sich nicht

Um zu wissen, wer gerade in der Szene aktiv ist, studiert Petra Franetzki die Videos von rechten Aufmärschen. Und auch jetzt von den sogenannten Hygiene-Demonstrationen.
"Es sind eindeutig mehr Männer als Frauen. Frauen in der Szene, sagt man, sind vielleicht 10 bis 30 Prozent. Ich gucke die Videos an um herauszufinden, wer sich eigentlich in der Szene bewegt. Wer ist da und was wird gesprochen? Wie wird aufgetreten? Was sind vielleicht die neuesten Klamotten? Was ist gerde in?"
Bei ihren Recherchen konzentriert sich Petra Franetzki besonders auf Frauen. In dem Video, das sie gerade guckt, sieht man auf den ersten Blick keine.
"Hier sind jetzt mal nicht in der ersten Reihe die Frauen. Was ja sonst schon mal ganz gern gemacht wird, auch mal ein schönes Gesicht herzuzeigen. Das ist schon der Abspann gewesen. Denn es macht ja natürlich etwas aus, wenn Mädchen und Frauen in der ersten Reihe sind."
Über die Musik, Konzerte, Feten und schließlich Partner geraten Frauen in die rechte Szene, treten dort aber kaum in Erscheinung. Wenn sie nicht gerade rechte Liedermacherinnen sind wie eine der Frauen, die jetzt im Video auftaucht, bleiben sie oft unsichtbar. Sie schicken Solidaritätsbriefe in Gefängnisse, kutschieren Kameraden von A nach B, arbeiten als Anwältinnen für die Szene, fotografieren Gegendemonstranten von der sogenannten Antifa. Erst mit Kindern fallen sie dann wieder mehr auf.
"Dann gibt es halt diese engagierten Mütter, die in Schule, Kita oder sonst irgendwo vielleicht im Elternbeirat dabei sind und sich als die nette Frau von nebenan darstellen. Wo man erst nach und nach mitkriegt, was da auch dahintersteckt. Die Message ist: 'Guck mal, wir Rechten, wir sind gar nicht so böse Leute, sondern wir sind ganz nette Menschen von nebenan, die sich kümmern'."

Die Szene lässt keine einfach gehen

Entschließt sich eine zum Ausstieg, muss ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept greifen. Neuer Wohn- und Arbeitsort, andere Freunde. Denn die Frauen werden bedroht, weil sie zu viel wissen. Manche haben sich auch selbst strafbar gemacht.
"Sie berichten schon auch von Gewalt, die sie selber ausgeübt haben: gegen die Ausländer, Gewalt gegen Homosexuelle oder andere sogenannte Randgruppen. Es gibt Frauen, die selbst geprügelt haben. Es gibt Frauen, die die Männer in einer Runde dazu aufgestachelt haben und dabei vielleicht auch Schmiere gestanden haben. Aber es gibt eben auch eigene Gewalterfahrung innerhalb der Gruppe und innerhalb der Beziehung."
Wer all das hinter sich lassen will, was oft Jahre dauert, bekommt Petra Franetzkis volle Unterstützung.
"Ich habe zuerst gedacht, nee, mit Nazis möchte ich nicht arbeiten und habe dann aber überlegt: Moment mal, das ist eine Ausstiegsberatung! Das heißt, diese Leute wollen raus. Das heißt, diese Leute wollen Hilfe. Und Hilfe haben sie definitiv verdient. Eigentlich habe ich zwei Tage überlegt und dann gedacht, ich mache das!"
Die Szene lässt keine einfach gehen. Auch aus Angst vor Verrat.
"Also ich hatte tatsächlich Menschen hier, die eine Waffe an den Kopf gehalten bekommen haben, die ein Messer in den Rücken bekommen haben. Und viele wissen davon, was mit ehemaligen Kameradinnen passiert. Teilweise haben sie schon mitgemacht, Leute zu bedrohen, die ausgestiegen sind oder aussteigen wollten. Da reicht es, wenn plötzlich drei Leute mit einem Kapuzenpulli vor meiner Haustür stehen. Oder man hat plötzlich einen zerstochenen Reifen. Man sagt ja so gerne: Auto, Hund, Familie werden bedroht. Die Angst ist schon ganz schön groß."
Will nur die Frau und nicht auch der Partner raus aus der rechtsradikalen Gemeinschaft, bleibt der Ausstieg meist nur ein Wunsch.
So offen die rechtsextreme Szene mit ihrem geschlossenen Weltbild für neue Mitglieder ist, so sehr schottet sie sich gegen Andersdenkende ab. In immer mehr bevölkerungsarmen Landstrichen entstehen neue No-Go-Areas.
Dörfer wie Jamel gibt es mittlerweile vielerorts in Deutschland.

*) Wir haben hier eine Information korrigiert.
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