Frauen im Hochmoor

Von Tobi Müller · 26.09.2013
Der australische Elektrokünstler Ben Frost hat aus Iain Banks’ Roman "The Wasp Factory" eine Art Oper gemacht. Die schön düstere, aber kunstbesoffene Deutschlandpremiere war im Berliner Theater Hebbel am Ufer zu sehen.
Im Anfang war der Krach. Oder das sehr laute Geräusch: Ben Frost verbrutzelt fast die Boxen zu Beginn seiner ersten Regiearbeit. Es ist eine sonische Barriere, welche die Grenze in eine sehr andere Welt markiert. Der Roman "The Wasp Factory" spielt auf einer abgelegenen schottischen Insel, auf welcher der Wahnsinn herrscht. Frank heißt der kranke 17-jährige Erzähler, der mit seinem Vater zusammen wohnt und der bereits drei Kinder umgebracht hat. Bruder Eric zündet gerne Hunde an, war in einem Heim und ist aktuell auf der Flucht nach Hause, was sich in wiederholten Telefonaten mit Frank ankündigt.

Verkunstung versus Inhalt
Ben Frost, der australische Elektroexperimentator, der avancierte Klangfrickler mit auch herkömmlichen Fähigkeiten wie dem Arrangieren von akustischen Instrumenten, dieser höchst eigenwillige Musiker mit Wohnsitz Island fräst durch diesen berühmten Roman mit großem Kunstwillen. Vom Grundton aus arrangiert er ein Streichquartett plus Kontrabass, die dunklen Bilder sind aus einem Guss. Alles ist ein Bild – das gleiche Bild. Frost übersieht in seiner Verkunstung fast alles, was den Text interessant macht.

Was man sieht: Drei jungen Schauspielerinnen mit ausreichender Gesangskompetenz wälzen sich im trockenen Torf, leicht bekleidet, als wären sie Shakespearehexen in einer etwas angestaubten Macbeth-Inszenierung. Dabei singen und turnen das Libretto von David Pountney, einem arrivierten Texter und Opernregisseur. Pountney schafft es zwar erstaunlicherweise, aus der Prosa einen Gesangstext zu schneiden, der den Sound des Originals aufnimmt und dennoch verdichtet.

Doch Frost ist am Ende eben doch ein elektronischer Musiker, das heißt: er interessiert sich für Klang, für Sounds, für Kollisionen von Stilen und Quellen, natürlich für Rhythmus und Puls. Aber er interessiert sich nicht für Harmonie. So hören wir 75 Minuten lang ein auf Moll eingepegeltes Grundtonleiern. Das friert die Stimmung auf düster fest ein, da gibt es kein Entrinnen vor der Dunkelheit. Huhuh.

Das Schrecken in Moll
In guten Momenten blitzen Alternativen auf. Wenn die drei Frauen die Geschichte der "komischen Todesarten" in der Familie vorsingen und die Streicher fast beschwingt aufspielen zum Beispiel. Die Drastik des gesungenen Wortes hier, die Leichtigkeit der Musik dort. Doch der Grundton bewegt sich nicht. Der Torf scheint zu dampfen. Die Spielebene kippt immer mehr in die Vertikale. Die Schaueroper sucht den Schauer mit ganz großen Augen.

Was man liest: Dem Schotten Iain Banks gelang mit "Wasp Factory" 1984 ein Bestseller, in der englischsprachigen Welt ist das Buch auch heute noch ein bekannter Titel. Irre ist vor allem der Ton des Erzählers: Ein durchgeknallter Autist und Erzähler, der uns gleichzeitig äußerst beredt an seinem Leben teilnehmen lässt und mit dem wir trotz aller Brutalität ein Stück weit folgen können; und ein Autor, der zwar kein monströses Detail scheut, aber dabei einen grotesken Humor entwickelt. "The Wasp Factory" pendelt zwischen Schrecken und Nähe, zwischen Ekel und Verständnis, zwischen Angst und Komik. Wo der Roman virtuos derart mit dem Leser spielt, dominiert bei Frosts Gothic Opera nur der Schrecken in Moll. Technisch steht das alles sauber im dreckigen Moor herum. Und bleibt dort auch stecken.

Mehr Informationen finden Sie auf denSeiten des Hebbel am Ufer und auf der Seite des Stücks
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