Franzobel über den Opernball in Wien

Österreich tanzt rechts herum

06:55 Minuten
Mitglieder des Jungdamen- und Jungherren-Komitees posieren während der Generalprobe für den Opernball am 27. Februar 2019, in der Wiener Staatsoper für ein Foto.
Sehnsucht nach alter Größe: das Jungdamen- und -herren-Komitee bei der Generalprobe für den Wiener Opernball 2019. © picture alliance / Hans Punz / APA / picturedesk
Franzobel im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.02.2019
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In Wien ist heute wieder Opernball. Der spielt auch in dem Roman "Rechtswalzer" des Schriftstellers Franzobel eine besondere Rolle. Im Interview spricht Franzobel von einem massiven Rechtsruck und "faschistischen Tendenzen" in Österreich.
Liane von Billerbeck: Es ist wieder soweit: Heute Abend ist Opernball in Wien, und wie immer hat der Baulöwe Richard Mörtel Lugner ein ehemaliges Model an seiner Seite. Aber das nur nebenbei.
Uns interessiert heute, was der Wiener Opernball eigentlich über Österreich aussagt, und wir wollen das wissen von dem österreichischen Schriftsteller Franzobel, ausgezeichnet mit vielen Preisen, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis.
Er hat in den 80er-Jahren gegen den Opernball demonstriert, war ihm zu dekadent, die soziale Schieflage größer. Inzwischen war er aber selber auch ein paar Mal dort, und 2010 wollte er sogar ein Flüchtlingsmädchen mit zum Ball nehmen, über deren Abschiebung in Österreich damals diskutiert wurde. Daraus wurde aber nichts.
Franzobel hat auch immer wieder über den Opernball geschrieben, auch einen Krimi, einen düsteren dazu, der ist im Januar mit dem Titel "Rechtswalzer" erschienen. Wofür steht er denn heute noch, der Wiener Opernball? Ist das noch Tradition oder nur noch Simulation?

Der Opernball ist das Dschungelcamp der Österreicher

Franzobel: In meinem Buch habe ich gesagt, der Opernball ist so etwas wie das Dschungelcamp der Österreicher. Es ist schon eine sehr groteske, skurrile Veranstaltung, gleichzeitig aber ist es auch diese Sehnsucht der Österreicher nach einer verloren gegangenen großen, glamourösen k. und k. Vergangenheit, aber natürlich als normaler Mensch kann man das wahrscheinlich nur satirisch betrachten.
Aber gleichzeitig feiert sich natürlich auch die Politik selber, präsentiert sich dort, zeigt sich dem internationalen Publikum, also es ist schon eine vielschichtige Veranstaltung.
Der Schriftsteller Franzobel
Der Schriftsteller Franzobel attestiert den Österreichern eine Abschiedskultur: Abschied von der Menschlichkeit und den alten bürgerlichen Tugenden.© dpa/Arno Dedert
von Billerbeck: Welche Tradition, welche Vergangenheit wird da eigentlich dargestellt – die berühmte gute alte Zeit, hat’s die eigentlich jemals gegeben?
Franzobel: Ja, das ist die Frage. Laut Karl Kraus oder solchen Literaten hat es diese gute alte Zeit wahrscheinlich nie gegeben oder die ist immer sehr mit Vorsicht zu genießen, aber die Sehnsucht nach so einem vorgeblich guten alten Wien und einem halb senilen, Würstel essenden Kaiser, die gibt’s natürlich nach wie vor.
Die vergangene angebliche Größe, dieses Phantasma, das man als Österreicher eingeimpft bekommt, die spielt im kollektiven Unterbewusstsein wahrscheinlich schon noch eine Rolle.
von Billerbeck: Und wie viel hat der Ball heute zu tun mit der Selbstbestätigung einer weißen, tatsächlich mächtigen Elite des Landes?

Faschistische Tendenzen

Franzobel: Sehr viel, weil sich einfach die ganze doch sehr ins Rechte abgerutschte Politik dort feiern lässt mittlerweile. Wir haben ja einen Innenminister, der vor zwei Wochen gesagt hat, das Recht hat sich nach der Politik zu orientieren. Vor zwei, drei Tagen hat er gesagt, wir müssen eine Schutzhaft wieder einführen.
Also wir haben schon Politiker, die sehr in eine faschistische Tendenz gehen und die natürlich schon den Ball ausnützen, um sich zu feiern, um sich auf diesem roten Teppich zu präsentieren und irgendwie stolz herumzuflanieren und zu zeigen, dass es auch mit so einer Regierung funktioniert. Insofern ist das schon ein Staatsball. Es ist ein Abiturientenball, würde man in Deutschland sagen, nur halt der Republik Österreich.
von Billerbeck: Ende Januar ist ja Ihr dystopischer Krimi "Rechtswalzer" erschienen, in dem ist der Opernball Folie für politisches Handeln, für die Selbstpräsentation der rechtsextremen Regierung einer fiktiven Partei namens Limes im Jahr 2024. Wie politisch ist der Opernball denn in Wirklichkeit, also inwieweit haben Politiker den schon immer für ihre Zwecke genutzt?

Showdown mit Plastikdildos und Bombendrohungen

Franzobel: Es ist auf jeden Fall so, dass immer gewisse Dinge verabredet worden sind, und das ist vielleicht auch das Schöne für einen Privatbesucher: Man sieht halt die ganze österreichische Staatsprominenz auf diesem Ball, kommt denen auch sehr nahe, und da werden natürlich schon, wie auf allen diesen Bällen, Geschäfte gemacht.
Ob es deswegen eine großartige politische Veranstaltung ist, weiß ich nicht, ob es über dieses Repräsentieren hinausgeht. Bei mir beim "Rechtswalzer" ist es ja so, dass das dann zum großen Showdown führt bei diesem Opernball, wo alle Krimistränge eskalieren, eine feministische Gruppe namens Hysteria auftritt und dort nicht Säbel, sondern Plastikdildos in die Luft hält und Bomben-Attentate werden angekündigt und es total drunter und drüber geht.
So weit ist es dann in der Realität noch nicht gekommen, aber das andere, dieses dystopische Moment in dem Krimi, das wird leider von der Politik laufend eingeholt oder teilweise sogar überholt. Da passieren wirklich Dinge, die ich mir kaum vorstellen konnte, was diesen Rechtsruck anlangt.
Das ist für einen neutralen Beobachter schon sehr frustrierend eigentlich, weil wir haben jetzt keine Willkommenskultur mehr in Österreich, sondern wir haben eine Abschiedskultur, und diese Politiker feiern sich auch noch dafür, dass sie Abschied genommen haben von Werten wie Humanität oder Toleranz oder Menschlichkeit oder aufgeklärtem Bürgertum. Das spielt ja in Österreich alles leider keine sehr, sehr große Rolle mehr, weil wir wirklich einen sehr massiven Rechtsruck gemacht haben.
von Billerbeck: Der aktuelle rechtspopulistische Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP, der hatte ja letztes Jahr sozusagen selbst debütiert beim Ball, da war er gerade ziemlich frisch im Amt. Was meinen Sie, wie viele der Ballteilnehmer hatten ihn denn in dieses Amt gewählt? Ist das genau die Klientel dort beim Opernball?
Susanne Thier, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Autorin Waris Dirie auf dem Wiener Opernball 2018.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf dem Wiener Opernball 2018: "Eigentlich könnte er auch noch bei den Debütanten tanzen."© picture alliance/APA/picturedesk.com
Franzobel: Nein, das würde ich nicht sagen. Das Klientel ist schon eine bunte Mischung aus der Gesamtbevölkerung. Es gibt dabei Künstler, die hingehen, es gibt den Politiker, es gibt auch Unternehmer, Leute, die sich da feiern.
Meiner Frau zum Beispiel hat das immer wahnsinnig gut gefallen, weil sie sich herrichten konnte, es war wie so ein zweiter Hochzeitstag für sie. Man macht sich schöne Frisuren, schmeißt sich in ein schönes Kleid rein, solche völlig unpolitischen Motive wird es wahrscheinlich auch geben.
Aber natürlich ist der Sebastian Kurz von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt worden, das ist auch zu akzeptieren. Und laut aktuellen Umfragen hat ja seine Popularität enorm zugenommen, obwohl er eigentlich von seiner Optik her und auch von manchen Dingen, die er sagt oder beharrlich wiederholt, ja durchaus noch tatsächlich als Debütant dort tanzen könnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Franzobel: Rechtswalzer
Hanser Literaturverlage, München 2019
416 Seiten, 19,00 Euro

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