Franziska Seyboldt: "Rattatatam, mein Herz"

Im Klammergriff der Angst

Franziska Seyboldt: "Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst"
Sie wolle lernen, sich mit der Angst zu befreunden, mit dieser Botschaft beendet Franziska Seyboldt ihr Buch. © Kiepenheuer & Witsch; imago/Mint Images
Von Susanne Billig · 31.01.2018
Horror in geschlossenen Räumen, U-Bahnen oder in Arztpraxen: Franziska Seyboldt erkrankt als Kind an einer Angst-Panik-Störung. In "Rattatatam, mein Herz" erzählt sie, wie sich die Angst im Nacken anfühlt. Ganz losgeworden ist sie diese trotz Therapie noch immer nicht.
Als Kind fiel Franziska Seyboldt während eines Arztbesuchs in Ohnmacht. Einfach so. Was niemand ahnt - mit dieser Ohnmacht beginnt ein Leidensweg, den die Autorin in ihrem autobiografischen Report "Rattatatam, mein Herz" ergreifend, tieftraurig, schnodderig und witzig beschreibt. Die junge Frau sieht sich mit einer wuchernden Angst-Panik-Störung konfrontiert, die ihr die Luft zum Atmen nimmt, oft im wörtlichen Sinne. Eindringlich schildert sie den Horror in geschlossenen Räumen, U-Bahnen, Flugzeugen, bei Arztbesuchen, in Menschengruppen, bei heiklen Gesprächsthemen. Ihrem sozialen Umfeld präsentiert sie aus Scham lächerliche Erklärungen für ihre Ausfälle, rennt aus Räumen, schließt sich in Badezimmern ein.* Nach einigen Jahren greift das überforderte Innenleben zum völligen Shutdown: Depressionen.
Doch in diesem Buch gibt es auch viel Licht, denn ebenso eindringlich wie über die Angst selbst erzählt Franziska Seyboldt davon, wie sie mit Hilfe einer Therapie wieder Land gewinnt. Die Autorin begreift, wie sehr sie darauf gepolt ist, für andere bequem und leistungsbereit zu sein und welchen inneren Druck das erzeugt. Sie sucht nach dem, was ihr gut tut im Leben, liest Selbstfindungsbücher, über die sie früher nur die Nase gerümpft hätte, und wagt sogar eine Woche Auszeit in einem Kloster.

Angst als schlaksige, überhebliche Gestalt

Die Angst, von Franziska Seyboldt ganz wunderbar personifiziert – als schlaksige, überhebliche Gestalt, die ihr auf Schritt und Tritt folgt und sie mit fiesen Kommentaren in den Klammergriff nimmt – schätzt solche Emanzipationsschritte überhaupt nicht. Aber je beharrlicher die Autorin ihren Befreiungsweg verfolgt, umso mehr muss die Angst weichen. Ganz verschwindet sie nicht.
Sie wolle lernen, sich mit der Angst zu befreunden, mit dieser Botschaft beendet Franziska Seyboldt ihr Buch – das ist bedauerlich. Denn mit einer Angststörung muss niemand leben. In ihren Zwanzigern hat Franziska Seyboldt eine kognitive Verhaltenstherapie aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. Der mechanische Ansatz befremdete die junge Frau, die sich erst einmal tiefer verstehen und im Leben orientieren wollte. Dennoch: Man kann ihr und allen betroffenen Leserinnen und Lesern nur raten, sich mit Angst-Panik-Attacken nicht abzufinden oder gar zu denken, es sei notwendig, sich mit solchen Schreckensgefühlen "zu befreunden".

Alternative Denk- und Fühlangebote

Panik ist dazu gemacht, grauenhaft zu sein, darin besteht ihr evolutionärer Sinn – und eine verselbständigte Panik bleibt grauenhaft, egal wie geistreich man über sie in ruhigeren Zeiten reflektiert. Umgekehrt bleibt Angst aus, wenn man keine angsterfüllten Gedanken produziert, auch nicht subtil und unbewusst – so simpel ist das.
Wer es darum hinbekommt, die leisen Gedankenketten aufzudecken, die von guter Laune jetzt zu Horror in einer Minute führen, und sie durch individuell passende, alternative Denk- und Fühlangebote zu unterbrechen und in andere Richtungen zu lenken, kann erleben, dass sich selbst eine Jahrzehnte währende Angst-Panik-Störung vollständig auflöst. Insofern sind Autorin und Buch eine gute Fortsetzung zu wünschen.
* An dieser Stelle haben wir eine inhaltliche Korrektur vorgenommen

Franziska Seyboldt: "Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018
256 Seiten, 18 Euro

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