Franz Schubert

"Tiefer Sehnsucht heil’ges Bangen"

Franz Schubert
Franz Schubert (1797−1828), undatierte zeitgenössische Darstellung © dpa / picture alliance /
Gast: Peter Gülke, Moderation: Michael Dasche · 21.04.2014
Mit der harmonischen Öffnung bis hin zur Preisgabe tonaler Stabilität schlägt Schubert in seinem Streichquartett Nr. 15 G-Dur einen zukunftsweisen Weg musikalischer Zeitgestaltung ein.
"Das Riesenwerk sprengt aus innerer Notwendigkeit die Bande des Quartetts (...) Ich musste zuweilen an die neunte Sinfonie (Beethovens) denken, und fühlte mich angezogen von der Meinung, dass wie diese – nach Wagners treffendem Worte – die ‚letzte' überhaupt, dies Quartett auch ein letztes sei, über das hinaus wesentlich Neues in dieser Kunstform nicht mehr geschaffen sei oder werde."
So äußerte sich ein Rezensent 1853 in der Neuen Zeitschrift für Musik über eine Aufführung des Streichquartetts in G-Dur von Franz Schubert, das erst zwei Jahre zuvor als postumes op. 161 erschienen war. Mithin galt das Werk diesem Kritiker (und nicht nur ihm allein) noch fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung als ausgesprochen kühne Novität.
Auch wenn man das Werk zu den drei Quartetten zählen muss, mit denen Schubert den Weg zur großen Sinfonie einschlug – die um zwei Jahre nach Bekundung dieser Absicht "verspätete" Fertigstellung (1826) stellt das Quartett in einen neuen Schaffenskontext. Der sinfonische Durchbruch war Schubert nämlich inzwischen gelungen – in Gestalt der Großen C-Dur-Sinfonie.
Von daher handelt es sich beim G-Dur-Quartett weniger um eine Sinfonie-"Anbahnung" als um eine Sinfonie-"Lösung", freilich im kammermusikalischen Metier.
Schon seiner äußeren Dimensionen, aber auch seines orchestralen Kolorits (etwa der häufigen Tremoli) wegen, eigenen dem Quartett unüberhörbar sinfonische Züge. Die gleichsam sinfonische Gebärde verbindet sich in diesem Quartett aber, und das ist das Wesentliche, mit einer jähen Moll-Dur-Opposition. Sie schafft die Spannung, welche über die vier Sätze des Zyklus hinweg waltet, deren Ausgleich jedoch wenn nicht versagt, so doch in einem wahren Labyrinth der Tonarten verborgen bleibt. Dies wiederum ist – aus heutiger Sicht – ein avantgardistisches Moment. Denn mit der harmonischen Öffnung bis hin zur Preisgabe tonaler Stabilität schlägt Schubert einen zukunftsweisen Weg musikalischer Zeitgestaltung ein.
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