Frankreichs Umgang mit Flüchtlingen

Mit Gummiknüppel und Tränengas

Die italienische Polizei beendet eine Sitzblockade von Flüchtlingen am Grenzübergang zwischen der italienschen Stadt Ventimiglia und dem französischen Menton.
Die italienische Polizei beendet eine Sitzblockade von Flüchtlingen am Grenzübergang zwischen der italienschen Stadt Ventimiglia und dem französischen Menton. © AFP / JEAN-CHRISTOPHE MAGNENET
Von Margit Hillmann · 10.07.2015
Mit "Strenge und Menschlichkeit" werde in Frankreich mit Flüchtlingen umgegangen, beteuerte der französische Innenminister. Doch ein Sprecher des UNO-Flüchtlingskommissariat rügte: Frankreich müsse dringend die Situation der Flüchtlinge im Land verbessern. Viele leben in Paris auf der Straße.
Milde Abendsonne durchflutet den kleinen Park an der Rue d'Aubervilliers, in dem seit einigen Tagen über 200 Flüchtlinge leben, die meisten aus Sudan und Eritrea. Gleich hinter dem Eingangstor, auf einem kleinen Sandplatz, haben sie ihr Lager aufgeschlagen.
Sie sitzen Schulter an Schulter auf langen Holzbänken oder hocken am Boden. In einer Ecke steht ein aus blauen Plastikplanen improvisiertes Zelt. Darin liegen Menschen in Schlafsäcken oder eingerollt in bunte Decken.
Eine junge Französin - große Augen, blasses Gesicht - steigt vorsichtig über die Schlafenden, reicht einer Afrikanerin eine dicke Wolldecke für das kleine Kind, das neben ihr liegt. Gwenn gehört zu den zahlreichen Leuten aus den umliegenden Vierteln, die die Flüchtlinge unterstützen. Sie kommt seit einer Woche jeden Tag in den Park.
"Weil ich empört bin, mich dafür schäme, wie diese Menschen in Frankreich empfangen werden. Vor allem wenn man einen Flüchtling sagen hört, dass er bei seiner Ankunft in Paris schlimmste Polizeigewalt erlebt hat."
Gwenn schaut auf ihre Uhr. In einer Stunde soll es Essen geben, vielleicht wird in der Küche noch Hilfe gebraucht. Die befindet sich gleich neben dem Zelt: eine Reihe zusammengerückter Tische. Ein Team aus Flüchtlingen und Franzosen steht dahinter, schmiert hunderte Baguette-Sandwiche(s) und putzt Berge von Gemüse. Aus einem riesigen Alutopf steigt heißer Dampf. Gwenn macht sich ans Zweibelschneiden.
Ein junger Afrikaner kommt aus dem Zelt herüber. Sein Gang ist unsicher, er hält sich den Magen. Ousmane - 20 Jahre alt und aus Dafur – ist seit heute Morgen im Lager und seit zehn Tagen in Frankreich. Er hat es mit dem Boot übers Mittelmeer geschafft.
Bürgerinitiative kümmert sich um die Flüchtlinge
Unterwegs hat ihn ein Virus erwischt, seither kann er nichts mehr im Magen behalten. Ist er dennoch froh, dass er jetzt in Frankreich ist? Er schüttelt den Kopf.
"Nicht froh. Seit ich hier bin, weiß ich nicht, wo ich die nächste Nacht schlafen soll. Die Leute ignorieren uns, wollen nichts von uns wissen. Niemand fragt, warum wir hier sind."
Mohammed, der das Essen vorbereiten hilft, nickt. Er ist einer der rund 400 Flüchtlingen, die monatelang unter der Metrobrücke neben der Station "La Chapelle" gelebt haben. Anfang Juni wurde das Lager in der Nähe des touristischen Montmartre-Viertels von der Polizei zwangsgeräumt– offiziell wegen Seuchengefahr. Dabei hat Mohammed seine letzte Habe verloren. Sie haben alles in den Müll geworfen, sagt der 43-jährige Sudanese, der schon vor acht Monaten einen Asylantrag gestellt hat.
"Sie sagen mir, ich muss warten. Okay, warten. Aber wo soll ich so lange schlafen?! Soll ich bei den Franzosen Betteln gehen: Bitte, lass mich auf deine Toilette, bitte gib mir zu trinken, bitte ein Dach über den Kopf!? Das ist unsere Situation, verstehen Sie."
Sam – Ende zwanzig, dunkler Lockenkopf – saust vorbei.
Er sucht Gwenn. In einer Viertelstunde beginnt die Versammlung. Die Flüchtlinge und ihre Unterstützer wollen diskutieren, wie es weiter gehen soll. Sam ist Sprecher der Bürgerinitiative, die sich nach der Räumung des La-Chapelle-Lagers gegründet hat, um die Rechte der Flüchtlinge durchzusetzen. Er zupft hektisch an seinem durchschwitzten Tshirt herum.
"Angefangen hat es mit La Chapelle. Danach haben die Flüchtlinge an verschiedenen anderen Orten im 18 Arrondissement Unterschlupf gesucht, von denen die Polizei sie jedes Mal wieder verjagt hat: aus einem Vereinsgarten, aus einer leerstehenden Kaserne, aus der Kirche Saint Bernard und so weiter... Sechs Räumungen in zehn Tagen! Einige davon mit extremer Polizeigewalt. Jetzt sind wir hier gelandet."
Flüchtlinge werden auf Obdachlosenheime verteilt
Statt Flüchtlinge mit Gummiknüppeln und Tränengas vertreiben zu lassen, schimpft der Pariser, täte die Regierung besser daran, sich an geltendes Recht zu halten.
"Wer ihre Rechte verletzt, verletzt damit auch unsere. Wir verlangen, dass die Gesetze eingehalten werden - und vor allem eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge."
Die Presse, haben sie im Lager beschlossen, soll bei der Besprechung nicht dabei sein. Sie wollen über neue Strategien reden, rechtfertigen sie sich, hätten mit französischen Journalisten schlechte Erfahrungen gemacht.
Kommen Sie morgen wieder, schlägt Sam vor, schreibt seine Telefonnummer auf.
Doch am nächsten Tag ist das Lager verschwunden. Der kleine Park ist abgesperrt, Polizisten halten Wache.
Der Besitzer des kleinen Lebensmittelladen direkt gegenüber, hat gesehen, wie die Polizei das Lager geräumt hat.
Eine "softe" Räumung, sagt er, keine Gewalt. Sie haben die Flüchtlinge in Bussen abtransportiert, um sie auf Obdachlosenheime zu verteilen. Aber in ein paar Tagen, davon ist er überzeugt, stehen sie wieder auf der Straße.
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