Frankreich

Streit über Hausarrest im neuen Notstandsgesetz

Sicherheitsbeamte in Paris
Ein Sicherheitsbeamte am 18. Dezember in Paris. Nach den Anschlägen am 13. November gilt der nationale Notstand in Frankreich. © picture alliance / dpa / Foto: Olivier Boitet
Von Ursula Welter · 23.12.2015
Direkt nach den Terroranschlägen Mitte November stand die Grande Nation zusammen. Jetzt hat die französische Regierung von Präsident Hollande ein modernisiertes Notstandsgesetz vorgelegt und von nationaler Einheit und Einigkeit kann keine Rede mehr sein.
Die Attentatsgefahr besteht weiter, wir brauchen Notstandsgesetze – mit diesen Worten stimmte Innenminister Bernard Cazeneuve die Franzosen auf die Kabinettssitzung ein. Auf dieser letzten Kabinettssitzung vor Weihnachten soll es um die Anpassung der Notstandsregeln aus dem Jahr 1955 an die neue Bedrohungslage gehen. Maßnahmen, die den bis Ende Februar beschlossenen Ausnahmezustand ablösen sollen. Dass die Gefahr nicht vorüber ist, schärfte der Innenminister der Bevölkerung also ein und gab bekannt: In der vergangenen Woche erst wurde in Orléans ein Anschlag vereitelt:
"Attentatspläne, die sich in der Region Orléans gegen öffentliche Sicherheitskräfte richteten… Zwei Franzosen, 20 und 24 Jahre , wurden festgenommen."
Die Männer seien der Polizei bekannt gewesen, es gebe eine Verbindung nach Syrien, unterstrich Bernard Cazeneuve. Noch in der Nacht des 13. November hatte Staatspräsident Hollande den nationalen Notstand ausgerufen. Grenzkontrollen, Versammlungs- und Ausgangsverbote, Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss – diese polizeilichen Befugnisse wurden knapp eine Woche nach den Attentaten um drei Monate verlängert, das Parlament stimmte mit breiter und parteiübergreifender Mehrheit zu.
Die Notstandsregeln stellten nicht per se eine Gefahr dar, sagte der unabhängige "Verteidiger der Rechte", Ex-Minister Jacques Toubon:
"Vorausgesetzt, dass das Regelwerk im Rahmen der Gesetze bleibt."
Sieben Umweltaktivisten hatten daran Zweifel. Denn sie wurden während Weltklimakonferenz unter Hausarrest gestellt. Und zogen vor den französischen Verfassungsrat. Ein Passus im Notstandsgesetz ermächtigt die Behörden, Personen unter Hausarrest zu stellen, die: "Im dringenden Verdacht stehen, eine Gefahr für die Sicherheit oder öffentliche Ordnung darzustellen".
360 Mal wurde diese Regel seit November angewandt, aber es traf nicht nur Terrorverdächtige. Rund um die Klimakonferenz verhängte das Innenministerium Auflagen auch gegen Personen, die es als militant eingestuft hatte. Die Kläger hatten kritisiert, die Begründungen für den Hausarrest seien jeweils sehr vage gehalten worden, teils ohne Datum und Unterschrift. Für die "Liga der Menschenrechte", die sich dem Verfahren vor dem Verfassungsrat angeschlossen hatte, sagte deren Anwalt Patrice Spinosi, wenn Notstandsgesetze zu vage gehalten würden, bestehe die Gefahr des Missbrauchs:
"Dass es Auswüchse gibt, dass zum Beispiel in Streiksituationen die Gewerkschafter unter Hausarrest gestellt werden mit der Begründung: Gefahr für die öffentliche Ordnung, nur um die Streiks zu verhindern."
Gehen die Notstandsgesetze zu weit?
Der französische Verfassungsrat ist jedoch nicht der Meinung, dass der Staat die Notstandsgesetze zu weit ausgelegt hat. Die Regelungen seien verfassungskonform, entschieden die sogenannten "Weisen".
Vor diesem Hintergrund legt Staatspräsident Hollande nun in der in der letzten Kabinetts-Sitzung vor Weihnachten einen Entwurf für Notstandsgesetze vor, die der verschärften Bedrohungslage Rechnung tragen sollen. Vor dem Kongress in Versailles, drei Tage nach den Anschlägen, hatte der Sozialist unter anderem feierlich erklärt, dass er auch Vorschläge der Rechten prüfe, darunter die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für in Frankreich geborene Straftäter.
Hollande hatte den Staatsrat mit diesem Vorschlag befasst, der hatte im Prinzip zugestimmt, mit wenigen Abstrichen, und den Ball zurück ins Feld der Politik gespielt. Dass Frankreichs Sozialisten aber tatsächlich am "Prinzip des Geburtsortes" im Staatsbürgerschaftsrecht rütteln, ist unwahrscheinlich. Noch bevor der Text auf dem Kabinettstisch lag, sagte Justizministerin Christiane Taubira:
"Franzosen, die dies von Geburt an sind, die Staatsbürgerschaft abzuerkennen , hieße, an einem fundamentalen Recht, dem 'Bodenrecht' zu rütteln, und ich bin eine Anhängerin dieses Prinzips."
Die Ministerin spricht für die französische Linke. Für die Konservativen wiederum ärgert sich nun Jacques Myard:
"Das ist fast eine Beleidigung, dass er unter dem Vorwand zurückzieht, er habe die Mehrheit im eigenen Lager nicht... entweder man ist ein Präsident, der tut, was er sagt, oder man ist nur noch eine Wetterfahne."
Von nationaler Einheit und Einigkeit, die noch herrschte, als die Notstandsregeln für drei Monate verlängert wurden, ist jetzt also nicht mehr viel zu spüren, jetzt, da die Regierung ein modernisiertes Notstandsgesetz vorlegt, für das sie – je nach Ausgestaltung – die Verfassungsmehrheit benötigen würde.
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