Frankreich

Die Angst vor den Bulldozern

Zwei junge Roma basteln eine Tür für ihre Behelfshütte in einem Lager östlich von Paris im Oktober 2012.
Zwei junge Roma basteln eine Tür für ihre Behelfshütte in einem Lager östlich von Paris. © picture alliance / dpa / Yoan Valat
Von Bettina Kaps · 03.09.2014
Roma-Familien aus Rumänien und Bulgarien dürfen sich seit Anfang des Jahres legal in der EU aufhalten und sich - unter Bedingungen - auch niederlassen. Aber sie stoßen überall auf Ablehnung. In Frankreich werden Hüttenlager von ihnen geräumt.
Acht Uhr früh in Champs-sur-Marne, 20 Kilometer östlich von Paris: Studenten strömen aus der Schnellbahn, gehen achtlos an der hohen Lorbeerhecke vorbei, verschwinden in modernen Universitätsgebäuden. Die Hecke ist akkurat gestutzt. Sie wirkt wie eine riesige grüne Mauer. Aber im Geäst ist ein Loch, da hindurch führt ein Trampelpfad in ein Wäldchen. Zwischen Buchen und Eichen sind etwa 45 Hütten zu sehen, zusammengeschustert aus Holzplatten, Pappkartons, Plastikplanen.
Christian Bumbai steht im Regen. Er kontrolliert seine Hütte, es hat heftig gewittert und gehagelt in der Nacht.
"Wir hatten eine Überschwemmung, zwei Stunden lang haben meine Frau und ich Wasser geschöpft."
Der Roma zeigt auf seine Knöchel: So hoch stand das Wasser. Jetzt will er einen Graben ziehen und ein Vordach bauen.
Bumbai, 37 Jahre alt, kommt aus Rumänien. Bei einem Hochwasser hat er dort sein ganzes Hab und Gut verloren. Jobs fand er zuhause auch nicht, deshalb ging er 2006 nach Frankreich. Inzwischen ist auch seine Frau mit den zwei Kindern nachgezogen.
"Wir wollen hier in Frankreich reguläre Arbeit finden, damit es unsere Kinder einmal besser haben. Einige von uns sind jetzt beim Arbeitsamt gemeldet und hoffen auf Angebote. Reinigung, Müllabfuhr, Arbeit auf dem Bau, wir sind zu allem bereit."
Familie Lucan vor ihrer Hütte im Lager in Champs-sur-Marne 20 Kilometer östlich von Paris.
Familie Lucan im Hüttenlager in Champs-sur-Marne 20 Kilometer östlich von Paris.© Bettina Kaps
Seit Januar dürfen Staatsbürger aus Rumänien und Bulgarien ohne Einschränkungen in allen Ländern der Europäischen Union arbeiten. Christian Bumbai hat sich schon beim Jobcenter und bei Zeitarbeitsfirmen eingeschrieben. Bis jetzt musste er fast immer schwarz arbeiten. Zum Leben hat es gerade gereicht, aber eine billige Wohnung hat er in Frankreich nie gefunden. Seit acht Jahren wohnt er nun schon mit seiner Familie in Slums. Das wird nicht geduldet.
"Immer wieder sind unsere Baracken zerstört worden, zuletzt vor zwei Jahren. Damals haben wir mit den Kindern vor dem Rathaus protestiert, um Hilfe zu verlangen. Nach einem Tag und einer Nacht im Freien wurden die Kinder krank und das Rathaus wollte immer noch nicht helfen. So sind wir in dieses Wäldchen gezogen und haben wieder eine Hütte gebaut."
Die Tür geht auf. Christians Tochter kommt heraus. Malina sieht verschlafen aus. Sie verschwindet im Gebüsch, kommt zurück. Im Hüttenlager gibt es kein Wasser, keine Toiletten, keine Müllabfuhr. Malina setzt einen rosa Rucksack auf. Die Elfjährige muss zur Schule. Auf dem Rücken trägt sie einen rosa Rucksack und in der Hand ein Paar Sandalen.
"Ich bin in der fünften Klasse, bald komme ich in die Mittelschule. Mathe und Französisch habe ich gerne."
Schulanmeldung ist problematisch
Der Weg ist matschig. An zwei Stellen saugen alte Teppiche die Pfützen auf. Auf dem Bürgersteig angekommen, zieht Malina ihre schmutzigen Turnschuhe aus, wirft sie ins Gebüsch zu anderen Latschen, schlüpft in die sauberen Sandalen. Sie sind zwei Nummern zu groß und haben Absatz. Stolz stöckelt sie davon.
Obwohl in Frankreich Schulpflicht herrscht, wurde Malina erst mit neun in der Grundschule aufgenommen, sagt ihr Vater. Und auch das war nur möglich, weil seine Familie von Franzosen - Mitgliedern eines Hilfsvereins – beherbergt wurde, nur auf dem Papier natürlich.
"Nicht wir haben diese Schule gefunden, das haben wir Madame Brigitte und Monsieur Gérard zu verdanken. Ich hatte zuvor schon ein paar Mal versucht, Malina anzumelden, aber das Rathaus hat es immer abgelehnt. Ich weiß nicht, warum sie Roma-Kinder nicht haben wollen."
Familie Lucan in der Siedlung im Wald.
Die andere Tochter in der Siedlung im Wald.© Bettina Kaps
Ein großer Mann mit dichtem grauen Haar, randloser Brille und Rund-um-den-Mund-Bart kommt ins Lager. Einzelne Frauen und Männer aus dem Lager begrüßen ihn herzlich und überhäufen ihn mit Fragen. Wie Madame Brigitte und Monsieur Gérard ist auch Francois Loret Mitglied des Kollektivs Romeurope und setzt sich für die Rechte der Roma ein.
Ein großer Mann mit dichtem grauen Haar, randloser Brille und Rund-um-den-Mund-Bart kommt ins Lager. Einzelne Frauen und Männer aus dem Lager begrüßen ihn herzlich und überhäufen ihn mit Fragen. Wie Madame Brigitte und Monsieur Gérard ist auch Francois Loret Mitglied des Kollektivs Romeurope und setzt sich für die Rechte der Roma ein.
"Wenn wir sie nicht begleiten, ist das Leben für die Roma sehr kompliziert. Ich habe unzählige Male erlebt, dass man sie abweist: im Krankenhaus, bei der Bank, in der Post … Sobald sie ihren Pass vorzeigen und klar wird, dass sie Rumänen sind, ist es für sie aus. Dann haben sie keine Existenzberechtigung mehr."
Auch den Familien im Hüttenlager von Champs-sur-Marne droht die Vertreibung. Das Wäldchen gehört dem Pariser Finanzministerium. Die Behörde hat geklagt und das Gerichtsurteil ist gefallen: Ab September kann jederzeit die Polizei kommen und das Lager platt machen. Christian Bumbai macht sich Sorgen.
"Wir möchten hier bleiben. Wenn sie das Lager zerstören, wissen wir nicht, wohin es uns verschlägt. Wenn es zu weit weg ist, können die Kinder hier nicht mehr zur Schule gehen. Malina will aber nicht wechseln."
Christian weiß: Dann muss er wieder bei Null anfangen: ein neues Gelände suchen, eine neue Hütte bauen, eine neue Schule finden. Bis zum nächsten Mal.
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