Der Erfolg des Front National
Zwischen 1946 und 1958 war Frankreich ein instabiles politisches Gebilde - mit 25 Regierungen. Erst General De Gaulle machte diesem Treiben durch eine neue Verfassung ein Ende, meint der Historiker Klaus Manfrass. Aber wie stabil ist die Republik noch, nachdem der Front National so starken Aufwind erfährt?
Die Wahl zum EU-Parlament hat in Frankreich den Verfall der bisherigen politischen Landschaft offenkundig werden lassen. Auf der Rechten hat sich die UMP von Nicolas Sarkozy durch Affären quasi selbst abgeschafft. Präsident Hollande, dessen Zustimmungswerte rasant abfallen, scheint der Lage nicht mehr Herr zu sein.
Die einzige politische Kraft, die laufend an Zustimmung gewinnt, ist der Front National von Marine Le Pen. Die Partei gilt als Hoffnungsschimmer für die von den Sozialisten enttäuschte Mittelschicht und ist aus demselben Grund die erste französische Arbeiterpartei geworden. Selbst wenn es den Franzosen im Vergleich zu den Krisenstaaten Südeuropas nicht wirklich schlecht geht, dominiert ein Gefühl der Ausweglosigkeit, und eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit unterminiert nicht nur die Glaubwürdigkeit des Staatspräsidenten; die von Affären erschütterte Opposition schneidet nicht besser ab. Vor diesem Hintergrund erscheint vielen der Front National als die einzige Kraft, die "die Karre aus dem Dreck ziehen" kann.
Vielleicht noch stärker als die krisenbedingten Zukunftsängste beunruhigt das mit einer zunehmenden Zuwanderung verbundene Vordringen eines besonders in den großstädtischen Ballungszentren ("Banlieues") als fordernd und zum Teil auch gewalttätig wahrgenommenen Islams. Eine durch den Laizismus geprägte französische Gesellschaft kommt damit schwer zurecht. Aus dem daraus resultierenden Gefühl der Ohnmacht wird den etablierten Parteien ein Versagen attestiert. Dass Marine Le Pen beinahe als einzige den Laizismus ausdrücklich thematisiert, verschafft dem Front National den entscheidenden Zulauf.
Dazu kommt das sich aus steigender Kleinkriminalität nährende Gefühl einer permanenten Unsicherheit, wofür auch Schengen, die Armutszuwanderung aus dem Osten, überhaupt die Freizügigkeit in der EU verantwortlich gemacht werden. Marine Le Pen trifft mit ihrer Forderung: "Raus aus Schengen und aus der EU" den Nerv vieler.
Ist der Front National faschistisch?
Ist der Front National nun eine "faschistische" Partei, wie ein deutscher Bundesminister unglücklich formulierte? Er ist zweifellos eine rechte Partei, in gewisser Hinsicht auch nationalistisch.Die Merkmale traditioneller faschistischer Parteien, wie die Gleichschaltung politischer Parteien oder die Unterordnung der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle, sind nicht im Parteiprogramm enthalten.
Dass Frankreich nie von überwältigendem Enthusiasmus für die europäische Konstruktion erfasst war, ist eigentlich auch nicht ganz neu. Die Vorstellung eines europäischen Bundesstaates erscheint vielen Franzosen schrecklich. So zeugt es eher von Kontinuität als von Bruch, dass eine eurokritische Partei Zustimmung gewinnt. Indes wäre es sträflich, das latente Unbehagen bei unserem westlichen Nachbarn zu ignorieren.
Dass Frankreich in Folge der Globalisierung und der Durchsetzung des ultraliberalen angelsächsischen Wirtschaftsmodells langsam aber sicher den Anschluss an Länder wie Deutschland verliert, ist natürlich nicht allein der EU zuzuschreiben. Aber die EU erscheint als eine Art Beschleuniger für Entwicklungen, die ohne sie nicht so schnell und bedrohlich wahrgenommen worden wären.
Die Ergebnisse der Europawahl zeigen aber auch, wie dekonstruiert die politische Landschaft ist. Die Erben des von De Gaulle gewollten Zweiparteiensystems sind weder die korrumpierten und zerstrittenen Rechten, noch die Vetternwirtschaft praktizierenden und nicht minder zerstrittenen Sozialisten. Nein, die Erben sind die Nicht-Wähler und die Wähler des Front National, beide fast gleich große Gruppen - nur einig in der Ablehnung des als "verdorben" empfundenen Systems. Und das erinnert fatal an die Lage von 1958 kurz vor der Rückkehr General de Gaulle's an die Macht, als schon einmal eine Republik in der allgemeinen Gleichgültigkeit unterging.
Klaus Manfrass hat seit Anfang der 1960er-Jahre in Paris gelebt und mehr als 30 Jahre am Deutschen Historischen Institut Paris im Bereich Zeitgeschichte gearbeitet. Später arbeitete Klaus Manfrass für die DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Ende 2006 verließ er Paris und lebt jetzt im Ruhestand in Oberbayern.