Frankfurt am Main

Erster Spatenstich für Deutsches Romantik-Museum

Besucher betrachten das Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" von Caspar David Friedrich während der Ausstellung "Die Erfindung der Romantik" im Museum Folkwang in Essen.
"Kreidefelsen auf Rügen" von Caspar David Friedrich: Brauchen wir einen neuen Blick auf die Romantik? © Imago/Marco Stepniak
Dieter Borchmeyer im Gespräch mit Nana Brink |
Heute starten die Bauarbeiten für das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt am Main. Was werden Besucher in Zukunft dort vorfinden? Wer nur den Kitsch suche, sei dort falsch, warnt der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer.
Heute beginnen in Frankfurt am Main die Bauarbeiten für das Deutsche Romantik-Museum. Es wird schon jetzt spekuliert, ob das Museum ein Besuchermagnet wird, schließlich ist die deutsche Romantik weltberühmt. Der Theater- und Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer, ehemaliger Präsident der Bayerischen Akademie der schönen Künste, warnt allerdings davor, dass die Touristen nicht das vorfinden könnten, was sie erwarten. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur rückte er den Romantik-Begriff zurecht: So seien die Frühromantiker Kosmopoliten und Europäer gewesen, und so "schrecklich deutsch", wie allgemein angenommen werde, sei die Romantik auch nicht.

Das Gespräch im Wortlaut:

Nana Brink: Bestimmt ist sie Ihnen im Deutschunterricht begegnet, "Die blaue Blume", Joseph von Eichendorff, den großen Dichter der deutschen Romantik, den hat sie ja sehr fasziniert. 1818 schrieb er ganz sehnsüchtig: "Ich wandre schon seit lange / Hab lang gehofft, vertraut / Doch ach, noch nirgends hab ich / Die blaue Blum geschaut."
Sehnsucht, Innerlichkeit, Weltabgewandtheit – das sind ja so die Klischees, die wir mit der Romantik verbinden, einer Epoche, die übrigens vom Ende des 18. bis weit ins 19. Jahrhundert reichte und nicht nur die Literatur, sondern auch die Musik und die Kunst umfasst hat. Ich sage da nur Richard Wagners "fliegender Holländer" oder "der Wanderer im Nebelmeer" von Caspar David Friedrich oder auch so etwas wie Neuschwanstein, das Märchenschloss des bayrischen König Ludwigs.
Wer mehr wissen möchte über die deutsche Romantik, der ist in Frankfurt gut aufgehoben demnächst. Dort fällt nämlich heute endlich der Spatenstich für das erste deutsche Museum zur Epoche der Romantik. Was uns an der Romantik so fasziniert, das beschäftigt auch den Literaturwissenschaftler Professor Dietmar Borchmeyer, lange Jahre Präsident der bayrischen Akademie der schönen Künste. Ich grüße Sie!
Dieter Borchmeyer: Grüß Gott!
Brink: Haben wir eine romantische Vorstellung von der Romantik?

Keine romantische Vorstellung von der Romantik

Borchmeyer: Nein, ich habe überhaupt keine romantische Vorstellung von der Romantik. Mich wurmt es immer, dass die genuine Romantik mit ihren trivialen Auswirkungen in Eins gesetzt wird und auch mit diesem völlig vagen Romantikbegriff, der die Romantik bis weit ins 19., um nicht zu sagen ins 20. Jahrhundert zieht, in einen Topf wirft, denn eigentlich ist die Romantik etwas ganz anderes, als man gemeinhin sich unter ihr vorstellt.
Brink: Was ist sie denn für Sie?
Borchmeyer: Für mich ist es ganz uninteressant, was war sie für sich selbst. Die Romantiker haben von Romantizismus gesprochen. Das ist eine Bewegung, die eigentlich in den 90er-Jahren des 18. Jahrhunderts gegründet wurde, wobei der Begriff zurückgeht einmal auf die romanischen Länder und Sprachen, andererseits aber eben auch auf die Gattung des Romans.
Das zeigt, dass die Romantiker gewissermaßen den traditionellen Literaturkanon durchstoßen haben, ihre Gattung schlechthin war der Roman, während für die klassizistische Poetik der Roman eigentlich keine ganz seriöse Gattung war, nicht einmal für Goethe, der ja nun eine Reihe von Romanen geschrieben hat, oder für Schiller. Wie kam es zu diesem merkwürdigen Tendenzwandel der Romantik …
Brink: Das wollte ich gerade fragen, gerade weil Sie am Anfang auch gesagt haben, wir haben ja diesen kitschigen Begriff auch von Romantik, also wie Neuschwanstein zum Beispiel als Inbegriff. Das war ja nicht immer so. Wie kam es dazu?
Borchmeyer: Ja, aber da sollte man den Begriff Romantik eigentlich auch ganz fernhalten. Ich glaube, eine ganz wesentliche Wende trat ein 1806, als nämlich das Heilige Römische Reich deutscher Nation in die Brüche ging, die napoleonischen Kriege plötzlich Deutschland in den Bereich der französischen Kultur hineinzwangen. Es gab die Freiheitskriege dann. Es entwickelte sich eine Nationalidee, die man vorher nicht in dieser Weise gedacht hatte.

Die Frühromantiker waren Kosmopoliten

Die Frühromantiker waren eigentlich Kosmopoliten, Europäer. Schon, dass der Begriff Romantik eben vom Romanischen her kommt, zeigt das ja, aber jetzt kam eben die französische Fremdherrschaft, und es setzte dieser nostalgische Zug ein, dass man eben sich an der Vergangenheit orientierte. Alles Dinge, die mit der ursprünglichen Romantik nichts zu tun haben.
Brink: Darf ich da mal einhaken. Ich glaube, dann sind wir nämlich auch schon fast beim Heute, wenn Sie sagen, also Romantik war ja auch eine Antwort auf die Aufklärung, verkürzt gesagt, also auf den Rationalismus.
Borchmeyer: Ja, natürlich.
Brink: Auch auf die Industrialisierung. Die Sehnsucht nach Antworten jenseits der realen Welt, das ist doch etwas sehr Heutiges eigentlich, oder, finden Sie das auch?
Borchmeyer: Ja, das stimmt schon, aber man sollte vorsichtig sein, da die Romantiker immer verantwortlich zu machen. Natürlich, was auch schon bei der Frühromantik der Fall war, die verstand sich als eine Bewegung, die die totale Rationalisierung der Welt infrage stellte. "Die blaue Blume", die Sie angesprochen haben ist gewissermaßen das Symbol für eine Poesie der Welt, die hinter unserer Normalwelt steht. Das ist ja auch berechtigt. Man kann nicht nur die zweckmäßige, die industrielle Welt sehen. Man muss sehen, dass es hinter dieser profanen Welt auch eine andere Sinnschicht der Welt gibt.
Brink: Zum Beispiel "Die blaue Blume", die ja das Symbol ist, die ich so besonders schön finde und die ja auch sehr deutsch ist, zumindest viele finden das ja so deutsch, und die deutsche …
Borchmeyer: Ja …

Deutsche Romantik als Verkaufsschlager

Brink: Ja, doch, und die deutsche Romantik ist ja eigentlich auch ein Verkaufsschlager, also gerade für Ausländer. Ich finde es immer ganz bezeichnend …
Borchmeyer: Ja, das ist das Schlimme.
Brink: Was finden Sie daran so schlimm?
Borchmeyer: Die Spätromantiker haben die Romantik schon zum Verkaufsschlager gemacht. Damit setzt auch diese Klischeewirkung ein, denn so deutsch ist die Romantik ja gar nicht. Die hat ja ihre bedeutende Wirkung gehabt gerade in Frankreich – der französische Symbolismus und so weiter, das sind ja alles Bewegungen, die in eine ähnliche Richtung gehen wie die Romantik. Also so schrecklich deutsch ist die Bewegung gar nicht.
Schloss Neuschwanstein mit Forggensee und Bannwaldsee in Bayern
Schloss Neuschwanstein: Verkaufsschlager und Inbegriff der deutschen Kitsch-Romantik© imago
Brink: Aber die Leute sehen es so. Wenn Sie fragen, Ausländer sagen Neuschwanstein, romantische Rheintour, Loreley, die romantische Straße, also das fasziniert ja die Menschen im Ausland.
Borchmeyer: Ja, das macht man da, aber das ist trotzdem ein Irrweg. Ludwig II. war doch ein ungeheurer Kitschié, und das, was er aus der Romantik gemacht hat, sollte man nicht mit der eigentlichen Romantik, die …
Brink: Och, das nehmen die Bayern Ihnen aber jetzt übel …
Borchmeyer: … doch eine bedeutende Literaturbewegung war, in Eins setzen, und dann ist dieses Romantikmuseum, das sicher manche Leute enttäuschen wird, wenn das mal steht mit seinen Beständen, dann sagen die Leute, das, was ich da mir unter Romantik vorgestellt habe, das finde ich ja gar nicht.
Brink: Der Literaturwissenschaftler Professor Dieter Borchmeyer. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet, und Kulturstaatsministerin Monika Grütters kommt heute zum Spatenstich für das 16-Millionen-Gemeinschaftsprojekt von Bund-Land Hessen und der Stadt Frankfurt, und wie wichtig den Frankfurtern dieses Museum ist, das sieht man an deren Beitrag: Allein sechs Millionen stiftete die Bürgerschaft für das neue Museum.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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