Frank Castorf inszeniert Dostojewski

Eifersucht und Nihilismus im Züricher Schiffbau

Der Theaterregisseur Frank Castorf.
Frank Castorf nach der Volksbühne: Neue Stringenz am neuen Spielort © imago/Lichtgut
Von Christian Gampert · 01.10.2017
Frank Castorf inszeniert zwei Dostojewski-Erzählungen im Züricher "Schiffbau": Der Verlust der Volksbühnen-Intendanz bewirkt offenbar eine neue Stringenz und ein virtuoses Spiel zwischen Boulevard und russischer Verzweiflung.
Frank Castorf hat im Züricher Schiffbau zwei Dostojewski-Erzählungen ziemlich geschickt ineinander geschraubt: "Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett" führt auf – für Dostojewski – recht boulevardeske Weise den Dämon der Eifersucht vor.

Versteckspiel unterm Bett

Der (möglicherweise) betrogene Ehemann stößt vor dem Haus, in dem er seine Frau mit ihrem Liebhaber vermutet, auf einen jungen Mann, der eben dort auf seine Geliebte wartet. Es ist anzunehmen, dass sich da die Richtigen treffen… Am Ende verstecken sich die beiden – irrtümlich – unter dem Bett einer weiteren untreuen Ehefrau, deren greiser Ehemann seinem "Herzchen" von seinen Gebrechen berichtet. Und erwürgen den Schoßhund der Gattin, weil der unter dem Bett schnüffelt und anschlägt.
Die zweite Erzählung ist der Monolog eines "lächerlichen Menschen", eines potentiellen Selbstmörders, der sich durch alle Stadien des Nihilismus wühlt und dabei doch seinen Gott und das richtige Leben sucht. Seine Begegnung mit einem kleinen, von der Mutter verlassenen Mädchen bewirkt eine Art innere Umkehr, eine neue Reflexion. Aber besonders die Phasen der (moralischen) Verlassenheit werden in Zürich von dem großartigen Gottfried Breitfuss mit tiefer Verzweiflung begreiflich gemacht.

Wahnwitzige Kathrin Angerer

Diese beiden Ebenen sind schön ineinander geblendet, und Castorf inszeniert das in einem muffigen, sehr russischen Bühnenbild von Aleksandar Denic, in einem heruntergekommenen Gasthof aus dem 19. Jahrhundert mit Dachkammer. Wie üblich mit Live-Kamera in den Innenräumen, anfangs eher hysterisch, mit zunehmender Spieldauer aber immer ernsthafter um die Figuren bemüht, die wie immer ständig die Rollen wechseln.
Die wahnwitzige Kathrin Angerer spielt kokett das kleine Mädchen, das den Selbstmörder trifft, und wird dann zur sexualisierten Ehefrau, der alle hinterherlaufen – ein teenagerhafter Vamp mit Schmollmund.
Robert Hunger-Bühler ist als eifersüchtiger Ehemann im Pelzmantel quasi die Spiegelung des "lächerlichen Menschen" aus dem Selbstmörder-Monolog – ein brüllender, schwitzender, von seinen Projektionen gepeinigter Mensch.
Siggi Schwientek macht aus dem greisen Gatten, unter dessen Ehebett Hunger-Bühler versehentlich enden wird, eine ungeheuer komische Nummer – selten so gelacht bei Castorf.

Castorf macht sich ein neues Feld auf

Der Regisseur lässt am Ende zwei Schwarze, schwarz eingefärbte weiße Schauspieler, eine Art rituellen Tanz im russischen Schnee aufführen. Die Migranten kommen – während die Europäer noch mit Eifersucht und Nihilismus beschäftigt sind, mit ihren Projektionen. Aber Castorf sympathisiert ersichtlich auch (und immer noch!) mit der russischen Depression, mit dem Alten und Kaputten.
Mag die Volksbühne, dieser Panzerkreuzer des Ostens mitten in Berlin, vorläufig auch verloren sein: es gibt andere Spielorte, sogar in der Schweiz. Und es scheint, als sei Castorf aus all den Querelen um das Ende seiner Intendanz sogar gestärkt hervorgegangen: Selten war ein Castorf-Abend über lange Strecken so konzentriert, und mit dem dominanten Einsatz von Musik (von Modest Mussorgski über harten Rock bis zu Bob Dylan) macht sich Castorf noch mal ein neues Feld auf.
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