Francis Fukuyama: "Der Liberalismus und seine Feinde"

Wider die aggressive Weinerlichkeit

06:11 Minuten
Das Cover zeigt den Namen des Autors und den Buchtitel in großen gelben, beziehungsweise weißen Lettern auf schwarzem Grund.
© Hoffmann und Campe

Francis Fukuyama

Übersetzt von Karlheinz Dürr

Der Liberalismus und seine FeindeHoffmann und Campe, Hamburg 2022

220 Seiten

25,00 Euro

Von Marko Martin · 17.10.2022
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Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama seziert in seinem Buch „Der Liberalismus und seine Feinde“ die Wechselwirkungen zwischen linkem und rechtem Illiberalismus.
Dem amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama wird wohl auf ewig seine Fehleinschätzung aus dem Jahr 1992 nachhängen, als er in seinem gleichnamigen Bestseller „Das Ende der Geschichte“ ausgerufen hatte. Nach dem Siegeszug des liberalen Westens nach 1989, so die damals von vielen geteilte These, hätten Ideologien abgedankt und gekommen wäre die Zeit eines quasi unheroischen Pragmatismus.
Die darauf folgenden Ereignisse haben den 1952 in Chicago geborenen Fukuyama eines besseren belehrt, und so sind seine seither erschienenen Bücher auch längst keine Prophezeiungen mehr, sondern auf Fakten basierende Analysen und bedenkenswerte Überlegungen. Der heute an der Stanford-Universität lehrende public intellectual hat sich zum Beispiel schon frühzeitig mit den Wurzeln des Trumpismus beschäftigt.

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Auch sein neues Buch thematisiert die Gefahren im Inneren der amerikanischen Demokratie: „Der Liberalismus und seine Feinde“ ist dabei jedoch kein hehres Hohelied auf die Tugenden des Individualismus, sondern befragt auch liberale Irrwege, so etwa den unbedingten Glauben an den Regulierungscharakter des freien Marktes.

Vertrauen in den Sozialstaat ist nicht naiv

Vieles, was Fukuyama hier gegen die lange Ton angebende Ideologie des Neoliberalismus und dessen sträfliche Unterschätzung eines funktionierenden, ausgleichenden Staates vorträgt, liest sich wie eine amerikanische Version der ordoliberalen „Freiburger Thesen“ von 1971, in denen damals auch die FDP den Sozialstaat für sich entdeckte.
Alteuropäischer Spott über solch vermeintlich verzögerte Wahrnehmung wäre indessen wohlfeil und fatal, denn Francis Fukuyama beschreibt gleichzeitig illiberale Massenbewegungen von rechts und links, die längst auch innerhalb der EU an Einfluss gewinnen.
Was er über neorechte Staatsverachtung und über den Wahn, „unser Leben“ werde von „abgehobenen Eliten manipuliert“ schreibt, betrifft nämlich zumindest in den USA schon längst den konservativen Mainstream. Könnte derlei nicht auch in Deutschland drohen? (Der Autor, dem Spekulieren längst abhold, stellt indessen diese Frage nicht und überlässt sie der hiesigen Leserschaft seines in denkbar transparentem Stil und ruhiger Tonlage geschriebenen Buchs.)
Die traditionalistische Gefühlslage, dass ringsherum Altbekanntes verschwindet, wird beschrieben anstatt denunziert – und gleichzeitig ein Ausweg gewiesen. Hatten die britischen Konservativen im 19. Jahrhundert, so fragt der versierte Historiker, nicht ebenfalls zuerst mit den Mentalitäts- und Strukturveränderungen in Folge der Industrialisierung gefremdelt, ehe sie sich dann Dank ihres Reform-Premiers Benjamin Disraeli aus der Starre des Ressentiments zu lösen vermochten?
So gelesen, ist Fukuyamas Buch eine Absage an ein bequemes Untergangsdenken, das sich in den jeweiligen Meinungsblasen suhlt und dort sukzessive aggressiver wird. Vieles ist dabei auch an die Adresse seiner linksliberalen Leserschaft gerichtet, die - und zwar auf beiden Seiten des Atlantik - angesichts alt- oder neorechter Dumpfheit ein wenig zu schnell zur Schlussfolgerung gelangt, das eigene Lager wäre stattdessen die Inkarnation der höheren Moral.

Linke Wurzeln manch rechter Ressentiments

Doch sind die Ressentiments nicht auch gewandert, trägt – mit der gewichtigen Ausnahme des Rassismus und der Xenophobie, die nun tatsächlich genuin „rechts“ sind – nicht auch scheinbar progressives Denken eine Mitverantwortung? Francis Fukuyama geht hier bis zum einstigen Studenten-Guru Herbert Marcuse und den gewollt rätselhaft schreibenden Lacan und Derrida und zu Michel Foucaults „Bio-Macht“, um daran zu erinnern, von wo die Denunziation des fehlerhaften Liberalismus als perfekte Diktatur, ja sogar Faschismus eben auch stammt, wie eine Kultur des raunenden Unter-Verdacht-Setzens selbst vor Sprache und Wissenschaft nicht Halt gemacht hatte:
„Die postmoderne Kritik des Liberalismus und der mit ihm verbundenen Erkenntnismethoden verlagert sich nun zur Rechten. Weiße nationalistische Gruppen sehen sich heute selbst als belagerte Identitätsgruppe.“
Gerade deshalb ist dieses Buch ein unverzichtbares Antidot zur Selbst-Viktimisierung weiter Teile unserer Gesellschaft – und die Aufforderung, (wieder) zu rational und human handelnden Bürgern zu werden.
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