"Fragments Of Him”

Computerspiel als Trauerarbeit

Ein junger Mann sitzt vor seinem Computer und spielt ein Computerspiel.
Ein junger Mann sitzt vor seinem Computer und spielt ein Computerspiel. © dpa / picture alliance / Peter Steffen
Marcus Richter im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 26.05.2016
Die Hauptfigur im Computerspiel "Fragments Of Him” stirbt - nicht etwa am Ende, es ist der Anfang der Geschichte. Ob und wie das als Stilmittel funktioniert, weiß unser Kollege Marcus Richter. Er hat "Fragments Of Him” gespielt.
Stephan Karkowsky: Wovon handelt denn die Geschichte, wenn der Protagonist tot ist?
Marcus Richter: Von denen, die Will, die Hauptfigur, hinterlässt. Seine Großmutter, seine Ex-Partnerin und sein aktueller Partner erzählen in Rückblenden von Will - einem jungen, aber bereits voll im normalen Erwachsenenleben angekommener Mann. Zum Beispiel hier die Großmutter, die schildert wie sie herausfindet, dass Will einen Freund hat.
Sie sieht, wie sich die beiden Küssen und ist von der Homosexualität ihres Enkels zurückgeschreckt und erzählt aber auch wie sich die Beziehung zwischen denen weiterentwickelt. So ähnlich ist es bei den anderen beiden auch, man lauscht quasi Erinnerungen und ist dabei, wie die Hinterbliebenen sich erarbeiten, welche Erinnerungsfragmente Will in ihrem Leben hinterlassen hat. Daher der Name des Spiels.
Will selber spielt tatsächlich auch noch eine Rolle. In einer Rückblende erleben wir als Rahmenhandlung den letzten Morgen, den Will erlebt, bevor er auf dem Weg zur Arbeit den Autounfall hat.
Karkowsky: Das könnte bis jetzt aber auch ein Film sein - die Macher haben sich aber entschieden ein Spiel daraus zu machen, war das eine gute Entscheidung?
Richter: Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz sicher: Das Spiel findet in der Ego-Perspektive statt, man bewegt sich meistens als unsichtbarer dritter Beobachter durch die dreidimensionale Welt. Um das Spiel voran zu treiben, muss man auf Elemente in der Spielwelt klicken - aber das ist sehr linear, man sehr selten die Wahl. Eine der wenigen Ausnahmen ist diese Szene in der Ex-Freundin Sarah, ihr Zimmer einrichtet. Man hat hier für jeden Einrichtungsgegenstand die Auswahl: Soll das Plüschtier aufs Regal oder auf den Schreibtisch? Der Kerzenständer ans Fenster oder neben den Fernseher?
Aber: Wenn man sich entschieden hat, sagt sie: "Die kleinen Entscheidungen sind wichtig, ich will mich wohlfühlen, wenn Will zu mir kommt.” Und die Gegenstände werden auf den jeweils anderen Platz gestellt. Das soll die Unentschlossenheit des Charakters illustrieren - entwertet aber gleichzeitig einen der wenigen Momente, in dem ich als Spieler das Gefühl hatte eine Rolle zu spielen.
Und so fühlt sich das ganze Spiel eigentlich an, als hätte ich keine Wahl. Als würde ich bei einem Video immer wieder die Playtaste drücken müssen, weil das Abspielgerät sonst stecken bleibt.
Karkowsky: Entlohnt das Spiel dann wenigstens mit einem würdigen Abschluss - einer Katharsis, wenn man sich geduldig hindurchgearbeitet hat?
Richter: Am Ende treffen sich die drei Charaktere und in dem Moment wo sich die Perspektive aus der Erinnerung, dem Früher, in die Gegenwart verschiebt, wirkt es lebendiger und zumindest für mich auch empathisch nachvollziehbarer. Im Nachhinein könnte man auch interpretieren: Die Spielmechanik ist ein Symbol für die Trauerarbeit der Hinterbliebenen: Langsam, etwas zäh, eigentlich alternativlos linear, aber es geht nicht anders, weil es weitergehen muss.
Aber auch wenn die Metapher schön ist, baut es eine Distanz zwischen dem Thema und den Spielenden auf, die nie recht überwunden wird. "Fragments Of Him” ist ein mutiges Experiment sich dem Thema Trauer und Tod eines nahestenden Menschen im Medium Spiel zu nähern - aber ist meiner Meinung nach nicht richtig zu Ende gedacht.
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