Fragile Kostbarkeiten

Von Ulrike Gondorf |
Die Keramiksammlung ist eines der Aushängeschilder des renommierten Victoria&Albert-Museums in London. Ursprünglich war sie als Modellsammlung europäischer Erzeugnisse des 19. Jahrhunderts gedacht. Bald erreichte sie einen Umfang, der die weltweite Geschichte der Keramik von den steinzeitlichen Anfängen bis heute dokumentiert. Eine Auswahl der fragilen Kostbarkeiten ist zurzeit in Düsseldorf zu sehen.
Die Ohren hat er aufgestellt, den Blick erwartungsvoll gehoben. Der gedrungene Körper steht fest auf den vier kurzen Beinchen, das Schwänzchen ringelt sich freudig in die Höhe, und im halb geöffneten Maul blitzen die Schneidezähne. Keine Frage, der Hund freut sich auf den Spaziergang mit seinem Herrchen. Er trägt auch schon ein leichtes Geschirr um Bauch und Brust, die Leine muss nur noch durch die große Schlaufe auf seinem Rücken gezogen werden.

Der Vierbeiner wartet aber schon seit 2000 Jahren. Und der Spaziergang kann auch nicht mehr auf dieser Welt stattfinden. Der lebensecht gestaltete kleine Hund ist aus Keramik und hat seinen Herrn ins Jenseits begleitet. Im Grab eines vornehmen Chinesen aus der Zeit der Han Dynastie wurde er gefunden.

Damals wurde ein solcher Kult mit Grabbeigaben getrieben, dass nicht wenige sich im Diesseits ruinierten, um für die Reise ins Jenseits mit allem Luxus ausgestattet zu sein - nicht nur Kleider, Möbel und Geschirr, sondern auch die Modelle ihrer Häuser und die Abbilder ihrer Tiere, Dienstboten und Soldaten wollten sie mitnehmen, um in einer andern Welt standesgemäß weiterzuleben.

Keramiken wie der kleine chinesische Hund erzählen Kulturgeschichte. Das wird dem Besucher im Düsseldorfer Hetjensmuseum schon vor den ersten Vitrinen klar. Direktorin Dr. Sally Schöne freut sich über die konzentrierte und exquisite Auswahl aus dem Victoria&Albert-Musuem, die bis Ende Oktober in ihrem Haus zu sehen ist.

"Man hat von dem ältesten Gefäß 2500 vor Christus bis zur Gegenwart einen wunderbaren Überblick über die Keramikwaren, die in Ostasien, im Nahen Osten, in Europa entstanden sind. Und wie die Kulturkreise sich gegenseitig befruchten, das zeigt die Ausstellung."

Dabei sind Exponate, die wegen ihrer Qualität, Seltenheit, Bedeutung und Größe sonst eigentlich niemals auf Reisen gehen. Das über zwei Meter hohe Zepter einer Statue aus einem ägyptischen Tempel etwa: von einem Tierkopf bekrönt, mit Hieroglyphen bedeckt, die den Wissenschaftlern Hinweise auf das Alter und den symbolischen Sinn gaben.

"Das ist das Highlight - 1400 vor Christus - vermutlich hat es eine Gottheit in der Hand gehalten als Machtinsignie. Nebenbei ist es eine der frühesten glasierten Keramiken. Glasuren sind erst seit 1600 vor Christus überhaupt bekannt. Das ist eine Quarzkeramik mit einer leuchtend türkisblauen Farbe, die vermutlich auf Anregung von natürlichem Gestein wie Lapislazuli produziert wurde."

Eine Vitrine mit auffällig schlichten, in klaren Formen und mit sparsamen Dekorationen und leuchtenden Glasuren gestalteten Vasen, Krügen und Schalen ist der nächste Blickfang. Bestechendes Design von heute? Nein, 1000 Jahre alte Gefäße aus China, Korea und Kambodscha. Das Geheimnis der Porzellanherstellung beherrschte man dort bereits in solcher Vollendung, dass die dünnen Kelche der Trinkgefäße fast durchsichtig gestaltet werden konnten.

Erst am Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Rezeptur in der Manufaktur in Meißen ebenfalls entdeckt. Bis dahin gab es zwei Möglichkeiten: Die fragilen Kostbarkeiten auf weiten und gefährlichen Wegen zu importieren und damit fast unerschwinglich zu machen - oder sie zu kopieren. Und damit zugleich einen Dialog der Kulturen zu eröffnen, der im Zentrum der Ausstellung in einigen spannenden Beispielen dokumentiert ist.

"Das weiße Porzellan mit kobaltblauer Bemalung erfreute sich in Europa enormer Beliebtheit. Da die Rezeptur des Porzellans nicht bekannt war, musste man versuchen, mit eigenen regionalen Materialien zumindest das Erscheinungsbild zu treffen. Im islamischen Kulturkreis hat man das mit der Fayence gemacht, das ist eine irdene Ware mit einer weiß deckenden Glasur. Diese Fayencetechnik wanderte vom islamischen Raum über Spanien bis hin nach Mitteleuropa. Sie kennen sicher die Delfter Fayence, das ist das klassische Bild, was wir von der Fayence-Technik haben."

Interessanterweise nahm aber auch das technisch so weit überlegene China europäische Einflüsse auf: Mit den Aufträgen und Bestellungen kamen Bildvorlagen in den fernen Osten, die europäische Trends in chinesische Porzellanmaler-Werkstätten brachten. Die verspielten Muschelformen des Rokoko wurden ebenso kopiert wie die Kleidermode.

Um 1735 entstand in China eine kleine Statuette. Sie zeigt eine Dame, die einen weiten Rock und eine geschnürte Korsage, einen Spitzenkragen, mit Bändern aufgebauschte Ärmel und eine kleine Pelerine trägt. Nur ihre mandelförmigen Augen verraten, dass sie sich wahrscheinlich ein bisschen fremd fühlt in dieser Tracht.

Über Figurengruppen und bemalte Prunkgefäße, die die Blütezeit des europäischen Porzellans im 18. Jahrhundert mit Spitzenstücken aus den Manufakturen Meißen, Nymphenburg und Sèvres dokumentieren, findet die Ausstellung ihren letzten Glanzpunkt in der Zeit des Jugendstils, dessen vegetative Linien und naturnahe Dekors noch einmal westliche Traditionen und fernöstliche Vorbilder zu einer ganz eigenen Ausdrucksform verschmelzen.