"Fragen Sie eine Brücke, auf welcher Seite sie steht?"

Von Moritz Behrendt |
Achmed Khammas ist in Deutschland und in Syrien aufgewachsen. Für viele deutsche und arabische Politiker sowie Kulturschaffende ist der 54-Jährige inzwischen die Brücke zur anderen Seite. Er begleitete unter anderen Günter Grass in den Jemen. Zuletzt hat er für einen Film die Hasspredigten eines Hamburger Imams übersetzt.
"Ja, Achmedchen, wie träumst du denn – Arabisch oder Deutsch?"

Seit seiner Kindheit kennt Achmed Khammas die Fragen, ob er sich als Deutscher oder Araber fühle. Seit seiner Kindheit gehen sie dem heute 54-Jährigen auf die Nerven. Vor einiger Zeit fiel ihm eine gute Antwort ein:

"Fragen Sie eine Brücke, auf welcher Seite sie steht?"

Achmed Khammas ist in Deutschland und in Syrien aufgewachsen. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Iraker. Er ist in der deutschen wie in der arabischen Sprache gleichermaßen zu Hause. Für viele deutsche und arabische Politiker sowie Kulturschaffende ist er die Brücke zur anderen Seite.

Khammas arbeitet als Dolmetscher und Übersetzer. Meist ist er auf Konferenzen unterwegs. Zuletzt hat er – gemeinsam mit einem Kollegen - die Predigten des Hamburger Islamisten Mohammed Fazazi aus dem Jahr 2000 übersetzt für den Dokumentarfilm "Hamburger Lektionen" von Romuald Karmakar, der in diesen Tagen auf dem Filmfest in Nyon zu sehen ist.

Im Zweiten Weltkrieg war Khammas’ Vater Soldat der irakischen Armee. 1942 saß er in einem türkischen Gefangenenlager. Nazi-Deutschland kümmerte sich um die Freilassung der irakischen Gefangenen. Angeblich auf direkten Befehl Hitlers. Die Iraker hatten schließlich gegen die Engländer gekämpft. So kam Achmeds Vater nach Berlin, wo er seine Frau kennen lernte.

1952 wurde ihr Sohn geboren. Damals war so eine deutsch-arabische Ehe noch äußerst ungewöhnlich. Dem Kind gaben sie einen ebenso ungewöhnlichen Namen:

"Achmed Adolf Wolfgang Khammas. Und die Geschichte ist so: Achmed wurde aufgrund einer Umfrage zwischen den deutschen Verwandten ausgewählt. Mein Vater, der hat darauf bestanden, auf den Adolf. Dieser Mann hat mir das Leben gerettet, sagte er, ohne den wäre ich in der Türkei verhungert und meine Mutter hat noch den Wolfgang angehängt, um das ganze mit etwas Kultur zu würzen, wie sie meinte."

Doch scheinbar hat dieser Name im Nachkriegsdeutschland nicht für besonders viel Aufsehen gesorgt:

"Ich habe meine Eltern gefragt. Was hat denn der Standesbeamte gesagt zu dieser Wahl? Meine Mutter lachte und meinte, der hätte nicht mit der Wimper gezuckt."

… sagt Khammas und zwinkert mit seinen großen Augen.

Mit angegrautem Bart und Pferdeschwanz sitzt Achmed Khammas am Computer. Zwei Bildschirme stehen vor ihm – auf dem linken ist ein Mailprogramm in lateinischer Schrift aufgerufen, auf dem rechten eine arabischsprachige Website. Im Hintergrund läuft Musik. Songs, die er mit seiner eigenen Band in Syrien aufgenommen hat.

Nicht immer wollte Khammas Dolmetscher werden. Schon im Jahr seines Schulabschlusses eröffnete er in Syrien einen Plattenladen:

"Den ersten für Rockmusik in Damaskus. Die Platten habe ich aus dem Libanon reingeschmuggelt. Dort gab es sie, in Syrien gab es sie nicht. Eine Situation wie in West- und Ostberlin."

Anfang der 70er kam er zurück nach Berlin. Irgendwann wurde er immer häufiger angesprochen:

"Ey Achmed, was machen denn deine Scheichs für 'nen Scheiß mit dem Öl. Ölkrieg also. Da habe ich mir überlegt, was gibt es denn für Alternativen?"

So baute er dann eine Solarwerkstatt in Syrien auf, die er jahrelang profitabel betrieb. Nebenbei betreute er Studenten in Damaskus, die sich mit Solarenergie beschäftigten.

Seine vielseitigen Interessen pflegt Khammas auch heute noch. Er schreibt Science-Fiction-Geschichten, begeistert sich für alternative Energien und Erfindungen aller Art. Und über Musik spricht er noch immer leidenschaftlich:

"Mein Traum ist eigentlich, ich würde gerne Rockmusik in Verbindung mit Koran hören oder singen oder spielen. Wenn ich den Koran lese, spüre ich diesen Rhythmus und ich finde es unglaublich traurig, dass man das nicht hören kann."

Ende der siebziger Jahre wurde Khammas angeboten, den damaligen Staatschef Hafiz al Assad als Dolmetscher nach Deutschland zu begleiten. Khammas sagte sofort zu:

"Vorher galt ich zwar als ziemlich bunter Hund in Damaskus, aber doch ein bisschen durchgeknallt. Doch nachdem ich in jeder syrischen Zeitung neben dem Präsidenten auf der Titelseite zu sehen war, konnte das keiner mehr so sagen. Durchgeknallt mag er zwar sein, aber aha … Nun ja, dieses Aber hat ja ausgereicht."

Aus dem Gelegenheitsjob von einst ist ein Vollzeitberuf geworden. Der Dialog zwischen Deutschland und den arabischen Ländern hat in den letzten Jahren zugenommen. Und damit auch der Bedarf nach Dolmetschern.

"Wobei ich leider sagen muss, dass durch den Irak-Krieg noch mehr Arbeit gekommen ist. Also, über die Arbeit freue ich mich, über den Anlass natürlich nicht."

Doch seine Arbeit hat auch Höhepunkte. Im Jahr 2004 ist er mit Günter Grass in den Jemen gereist. Begeistert erzählt Khammas von dem Land im Süden der arabischen Halbinsel – und von der Arbeit mit Günther Grass:

"Wenn er seinen Mund aufmacht, dann kommen Sätze heraus, die haben einen Anfang, die haben ein Ende, die sind durchdacht, die haben einen Sinn, die kann man unglaublich schön und leicht dolmetschen."

Da ist Khammas wieder die Brücke zwischen den Deutschen und den Arabern. Doch bei aller Freude an der Vermittlung kann und will er nicht die kulturellen Unterschiede verwischen:

"Ich bin nicht bereit, ein deutsches Buch in ein arabisches zu verwandeln. Es ist ein deutsches Buch, also muss es auch im Arabischen deutsch klingen, auch wenn es in der arabischen Sprache verfasst ist."