"Fragen als eine poetische Idee eines Kunstwerks"

Der Komponist und Dirigent Hans Zender über sein Stück "Adónde?", das beim musikfest berlin uraufgeführt wird.
Jürgen Liebing: Herr Zender, Sie sind ein bedeutender Dirigent und ein bedeutender Komponist. In beiden Metiers vielfach geehrt. Es ist eine - gebe ich zu - eine etwas unfreundliche Frage: Wenn Sie vor die Alternative gestellt wären, sich für eines von beiden entscheiden zu müssen, was würden Sie wählen?

Hans Zender: Ich habe immer darauf hingewiesen, dass ein Komponist nicht nur ein Komponist ist, sondern auch ein Interpret, weil er nämlich die Vergangenheit interpretiert. Er muss sich ja zu unserer kulturellen Vergangenheit irgendwie verhalten. Positiv oder negativ oder weiterführend oder kritisch. Insofern ist er nicht nur der große Schöpfer, sondern er ist auch Interpret. Und ein guter Dirigent wiederum muss auch etwas Schöpferisches haben. Er darf nicht nur den Buchstaben der Partitur vermitteln, sondern er muss auch das Werk wieder neu lebendig machen. Also, ich verstehe bis heute nicht, wo der Unterschied zwischen Komponist und Dirigent liegt.

Liebing: Allerdings gibt es nur wenig Künstlerpersönlichkeiten wie Sie. Sie sind beim musikfest berlin sowohl als Dirigent wie auch als Komponist vertreten. Das Klangforum Wien feiert seinen 25. Geburtstag und hat bei 15 Komponisten Werke in Auftrag gegeben. Ihr Werk ist ein Konzert für Violine, Sopran und Instrumenalensemble. "Adónde?" - Wohin? - Welche Bedeutung hat dieser Titel und wie verbindet sich die Violine und der Gesang?

Zender: Der Titel will ein bisschen den Fragecharakter von Kunstwerken akzentuieren. Also wenn wir ein klassisches Werk hören, dann betrachten wir das weniger als eine Frage als eine Art von Antwort. Wenn wir aber aktuelle Musik hören, müssen wir das zunächst einmal als Frage bezeichnen, weil wir sie noch nicht kennen. Wir wollen das Stück erst einmal hören. Dann gibt es einen Hörprozess, es gibt auch einen vom Komponisten angelegten Formprozess und wenn dieser Formprozess selber in eine Wildnis von Form führt, wie das in meinen Stück ist, also in einen nicht sehr leicht zu überschauenden architektonischen Bau von Kunstwerk, sondern eher in eine Art von Dschungel, dann wird man sagen, dass die Frage selber zum Stück gehört. Also das Fragen als eine poetische Idee eines Kunstwerks. Und diese Zeile des Gedichtes von Juan de la Cruz, das meinem Stück zugrunde liegt, das beginnt mit dem Wort " Adónde" - Wohin geht die Reise sozusagen. Und das frage ich auch als Komponist ganz allgemein. Die poetische Idee wird damit geschildert.


Das Gespräch mit Hans Zender können Sie mindestens bis zum 15. Februar 2010 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio