Fragen, aber keine Antworten

Rezensiert von Andreas Baum |
Wie war es möglich? Warum hat niemand Hitlers Machtergreifung verhindert? Wieso hat Hitler so begeistert? Wer in dem Buch "Dämon, Diktator, Demagoge - Fragen und Antworten zu Adolf Hitler" Aufschluss erwartet, wird enttäuscht. Das wäre Anna Maria Sigmund nicht vorzuwerfen, würde sie nicht genau dies im Untertitel ihres Buches versprechen.
Schon der Titel legt nahe, dass in diesem Buch endlich eines der quälenden Rätsel des 20. Jahrhunderts gelöst werden soll.

"Wie war es möglich?"

Dass ein Parvenü, ungebildet, grobschlächtig und seelisch krank ein ganzes Volk berauschen, einen Staat beherrschen und Europa in die größte Katastrophe seiner Geschichte stürzen konnte? Die Frage bereitet Unbehagen. Seit mehr als sechzig Jahren ist sie unbeantwortet. So gut wie alle Historiker und Autoren, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hitlers ungewöhnlicher Biographie beschäftigt haben, haben sich an ihr versucht, von Sebastian Haffner und Joachim Fest, deren Bücher zur Pflichtlektüre geworden sind, bis zu den teilweise belanglosen Arbeiten der Gegenwart, die Hitlers Beziehung zu seinem Schäferhund oder zu seinen Freunden in England erforschen. Anna Maria Sigmund hat ihr vorliegendes Buch nach Teilfragen gegliedert:

"Wieso begeisterte Hitler so viele Deutsche?
Wieso hat niemand Hitlers Machtergreifung verhindert?
Kam Hitler nicht aus verworrenen, dubiosen und ärmlichen Verhältnissen?
Warum hat niemand Hitler umgebracht?"

Die Antworten, die im Titel versprochen werden, bleibt die Autorin in den meisten Fällen schuldig. Wäre dies nicht so, wäre dieses Buch eine Sensation. So aber ist es nur eine weitere, wenn auch akribische Recherche zu biographischen Daten des Diktators, die nur teilweise zu neuen Erkenntnissen führt. Es ist der Autorin allerdings anzurechnen, dass sie versucht, den Mensch Hitler zu entmythifizieren und darzulegen, dass wir es hier mit einem durchaus vergleichbaren, keineswegs ungewöhnlichen Lebenslauf des 19. und 20. Jahrhunderts zu tun haben.

Zu einer Ausnahmeerscheinung wurde Hitler erst durch die, die ihn beschrieben haben: Seine Anhänger vergötterten ihn, seine Gegner dämonisierten ihn. Keines der beiden Extreme, so der Schluss der Autorin, wird der Wirklichkeit gerecht. Ganz im Gegenteil: Erst der Versuch, Hitler möglichst viele abnormale, wahlweise übermenschliche wie abstoßende Eigenschaften zuzuschreiben, macht ihn für uns heute so rätselhaft und hindert uns daran, das Phänomen des Faschismus zu verstehen.

"Eine Absurdität überbot die andere: der fast blödsinnige Hitler als beschäftigungslose Maler und Tapezierer; Hitler, beinahe ein Analphabet; Hitler unartikuliert und ohne Tischmanieren; Hitler, linkisch im Umgang mit gehobenen Schichten; Hitler als zielloser Bohemien. Die Frage, wie ein derart beschaffener asozialer Außenseiter Anhänger zu gewinnen und zu begeistern vermochte, blieb dabei ein ungelöstes Rätsel."

Bedauerlicherweise ist auch die Autorin des vorliegenden Buches nicht in der Lage, dieses Rätsel zu lösen, was ihr nicht vorzuwerfen wäre, würde genau dies nicht im Untertitel und im Klappentext versprochen. Stattdessen begibt sie sich forschend weiter in Hitlers Familiengeschichte, weist nach, dass er keinesfalls, wie oft behauptet, einen jüdischen Großvater hatte und auch nicht einer Schicht analphabetischer und besitzloser Tagelöhner entstammte.

"Der Wahrheitsgehalt der Hitler-Saga ist gering. In der Überlegung, dass nur ein außergewöhnliches Milieu den größten Diktator des 20. Jahrhunderts hervorbringen konnte, haben viele Autoren geheimnisvolle Legenden um die Familiengeschichte des "Führers" gewoben. Sie deckten damit einen Bedarf: je sensationeller die Enthüllung, desto größer der Erfolg. Die einmal zur Befriedigung der Sensationslust in Umlauf gebrachten Behauptungen erwiesen sich als zählebig und durch nüchterne Forschungsergebnisse kaum mehr zu eliminieren."

Wer eine Antwort auf die Frage erwartet, warum Hitler die Macht in Deutschland ergreifen konnte, wird enttäuscht. Einmal mehr wird die hinlänglich bekannte Geschichte der Weimarer Republik nacherzählt, vom Terror der braunen Horden bis zum schicksalhaften "Tag von Potsdam", als es den Nazis gelang, die bürgerlichen Parteien zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zu bewegen.

Warum aber wurde Hitler nicht ermordet? In diesem Punkt gelingt es der Autorin, wenig bekannte Details auszuleuchten. Nach ihrer Darstellung hat es nicht nur die zwei bekannten, sondern Dutzende von Versuchen des Tyrannenmordes gegeben, die allesamt vereitelt wurden oder misslangen.

"Nach dem 20. Juli 1944 ging Hitler kein Risiko mehr ein. Er zeigte sich kaum mehr in der Öffentlichkeit. Die meiste Zeit verbrachte er in seinen abgeschirmten, schwer zugänglichen, durch mehrfache Sperrbezirke geschützten Führerhauptquartiere, im Kreis weniger, ergebener Gefolgsleute. Bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten wurde die Sicherheitsschraube derart angezogen, dass die SS-Wachen selbst hohen Militärs in den Arm fielen, wenn diese in Hitler Nähe nur ein Taschentuch aus der Hose ziehen wollten."

Letztendlich hat Anna Maria Sigmund nur weiteres Buch über Hitler geschrieben: Es enthält wenig Überraschendes und vermag das Rätsel im Werdegang des Diktators nicht zu lösen. Vielleicht wäre es hilfreicher, sich mit der psychischen Verfassung der Deutschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu befassen, anstatt mit unausgeleuchteten Ecken von Hitlers Biographie, um das Unbegreifliche zu verstehen.

Anna Maria Sigmund: Dämon, Diktator, Demagoge
Fragen und Antworten zu Adolf Hitler
Deutscher Taschenbuch Verlag
260 Seiten, 12,90 Euro
Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler in die Luft zu sprengen. Der Versuch schlug fehl und von Stauffenberg wurde zusammen mit anderen Widerstandskämpfern hingerichtet.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler in die Luft zu sprengen. Der Versuch schlug fehl und von Stauffenberg wurde zusammen mit anderen Widerstandskämpfern hingerichtet.© AP