Fracking in Tunesien

Von Alexander Göbel · 20.03.2013
Nicht nur in Deutschland gibt es eine Debatte über die Förderung von Schiefergas. Auch in Tunesien sorgt die chemisch unterstützte Gasgewinnung aus tiefen Gesteinsschichten für Streit. Kritiker der Methode sagen nun: Der Energiekonzern Shell will dort die derzeit unklare politische Situation des Landes nutzen und "Fracking-Fakten" schaffen.
Ist Fracking die Rettung für den tunesischen Energiemarkt - oder der sichere Weg in die ökologische Krise? Für Nadia Chaabane, Abgeordnete des linken Bündnisses Al Massar, ist die Antwort klar:

"Wenn das bedeuten würde, dass das halbe Land zur Wüste, das Wasser verseucht und die Luft verdreckt wird, was haben wir dann davon? Dass wir heizen können, aber nichts mehr zu Essen haben werden? Nein, so kann man das nicht angehen."

Nadia Chaabane ist eine der schärfsten Kritikerinnen des Projekts, mit dem der Energiekonzern Shell Gas aus der Tiefe des südtunesischen Bodens fördern will. Um an das Gas zu kommen, sollen Chemikalien mit hohem Druck zusammen mit Wasser und Sand in bis zu 4.000 Meter tiefe Gesteinsschichten gepresst, um sie aufzubrechen.

Die Flüssigkeit erzeugt Risse, so genannte Fracs, dadurch kann das Erdgas an die Oberfläche strömen. Die Risiken für Umwelt und Landwirtschaft sind bekannt, die Methode ist giftig, außerdem verbraucht sie extrem viel Wasser. Und davon hat Tunesien so wenig, dass ohnehin schon Meerwasser entsalzt werden muss. Doch beim Fracking in Tunesien geht es nicht nur um die Umwelt, sondern auch um Politik. Hamed El Matri ist Ingenieur und Vorstandsmitglied des Tunesischen Vereins für Transparenz im Energie- und Bergbausektor.

"Tunesien ist für Fracking noch nicht bereit, weder juristisch gesehen noch im Infrastrukturbereich oder im wissenschaftlich-technischen. Haben wir denn wirklich die Möglichkeiten, eine Gefahrenanalyse durchzuführen? Das würde mich doch sehr wundern."

El Matri kritisiert, dass die tunesische Regierung Shell die Führung überlässt. Der Energieriese wolle mehr als zehn Milliarden Euro in das Fracking-Projekt investieren und bald mit den Bohrungen anfangen. "Die Verhandlungen laufen, weitere Auskünfte geben wir nicht", teilt Shell lapidar per Email mit.

In den Ministerien für Umwelt und für Industrie wiegelt man ab und betont, es gebe zu Fracking wenig Alternativen. Tunesiens Bevölkerung wachse immer weiter, Ölimporte seien teuer, das Erdgas sei ein Segen für die schwache Wirtschaft und werde den Energiebedarf auf Jahrzehnte sichern. Die Fracking-Gegner wiederum werfen der Regierung vor, das Projekt um jeden Preis durchsetzen zu wollen, um politischen Freunden einen Gefallen zu tun. Denn der größte Einzelaktionär bei Shell ist der staatliche Investitionsfonds aus dem Emirat Katar. Und mit Katar hat Tunesien seit der Regierungszeit der islamistischen Ennahdha immer wieder Geschäfte gemacht. Für Nadia Chaabane ist klar: Unternehmen und Investoren nutzen derzeit das politische Vakuum in Tunesien. Und so dürfe es nicht weitergehen:

"Es kann einfach nicht sein, dass Shell und die Regierung hier allein und über alle Köpfe hinweg entscheiden. Wir stecken mitten in einem politischen Übergang, Tunesien ist noch immer ein Provisorium. Wir bauen noch immer an unserer Verfassung, an unserem Rechtsstaat. Noch haben wir keine wirklich demokratische Teilhabe der Bevölkerung. Und dies wäre in der Tat eine politische und wirtschaftlichen Entscheidung, die das ganze Volk betrifft.""

Nadia Chaabane würde es deshalb lieber sehen, dass die tunesische Regierung noch mehr und noch entschlossener in Wind- und Solarenergie investiert. Schon heute haben viele Tunesier Sonnenkollektoren für die Warmwassergewinnung auf ihren Dächern, und auch die Desertec-Initiative hat Tunesien im Blick. Doch vor Kurzem tauchten auch Pläne aus dem Jahr 2009 wieder auf, in Tunesien mit französischer Unterstützung ein Atomkraftwerk zu bauen - ein Projekt, von dem die meisten Tunesier eigentlich gehofft hatten, dass es mit der Revolution endgültig begraben sei.
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