Fotos mit Tinder-Bekanntschaften

Auf der Suche nach echter und falscher Intimität

09:19 Minuten
Zwei Frauen auf einem Bett, eine reicht der anderen eine Zigarette an den Mund.
Motiv aus der Serie "Lifeconstruction": Das Projekt habe ihr bewusst gemacht, dass Intimität fast wie ein Treibstoff ist, sagt Marie Hyld. © Marie Hyld
Marie Hyld im Gespräch mit Katja Bigalke · 10.08.2019
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Nackt umschlungen unter der Dusche, gemeinsam im Latexoutfit: Für die Serie "Lifeconstruction" hat Marie Hyld intime Momente mit Unbekannten gesucht und fotografiert – und so erfahren, dass die Menschen sich verbinden wollen, erzählt die Fotografin.
Katja Bigalke: Intimität ist unser Thema heute und wo würde man auf der Suche nach derselben besser fündig als im Netz? Instagram, Facebook und Co sind schließlich voll von intimen Momentaufnahmen. Paare zu Hause oder in der Natur, halbnackt, sich küssend, mit verwuschelten Haaren - und immer sehr glücklich.
Natürlich weiß der medienaffine Mensch, dass diese Bilder nicht unbedingt der Realität entsprechen, dass sie inszeniert sind, wie die Fotos auf Tinder, wo mit möglichst perfekten Profilen nach möglichst perfekten Matches gesucht wird. Aber muss die Sucht nach Perfektion zwangsläufig bedeuten, dass echte Intimität auf der Strecke bleibt?
Das hat sich die 25-jährige Fotografin Marie Hyld gefragt und sich für die Fotoserie "Lifeconstruction" ein Tinder-Profil zugelegt, mit dem sie Unbekannte für ein möglichst intimes Fotodate gewinnen wollte. Was für sie dabei herausgekommen ist, darüber spreche ich jetzt mit ihr.
Die Bilder dieser Fotoserie zeigen Sie ja in sehr vertraut wirkenden Situationen mit Männern und auch mit Frauen, können Sie mal ein paar Bilder beschreiben, was da zu sehen ist?

"Die Szenarios sind ganz unterschiedlich"

Marie Hyld: Die Szenarios sind ganz unterschiedlich, einmal stehe ich zum Beispiel mit einem Mann nackt und eng umschlungen unter der Dusche und einmal sitze ich in einem Latexoutfit neben einem Sado-Maso-Typen.
Bigalke: Was bedeutet denn Intimität für Sie?
Hyld: Bereits vor dem Projekt war mir klar, dass Intimität etwas Wichtiges ist, aber durch das Projekt ist mir bewusst geworden, dass sie fast wie ein Treibstoff ist. Wenn wir sie nicht haben, hat das riesige Auswirkungen auf uns und wir setzen alles in Bewegung, um diese intimen Verbindungen aufzubauen.

"Genug von den oberflächlichen Bildern"

Bigalke: Diese Sehnsucht nach Intimität oder vielleicht auch diese Verschiebung, dass Sie sagen, Intimität ist etwas total Wertvolles und Bedeutendes. Das ist ja schon zu Beginn des Projekts ein wichtiger Motor gewesen, warum Sie das überhaupt gemacht haben. Weil Sie gesagt haben, irgendwie gibt es da so einen Unterschied zwischen echter und künstlicher Intimität, die ja oft im Netz vorgespielt wird. Was hat Sie überhaupt motiviert, die Grenzen zwischen beiden auszutesten?
Hyld: Ich bin schon lange in den sozialen Medien unterwegs und irgendwann hatte ich genug von den oberflächlichen Bildern von Menschen, ich wollte herausfinden, wie schnell man einen intimen Moment mit jemanden kreieren kann. Ich wollte zeigen, wie leicht es istl, Menschen in den sozialen Medien zu täuschen und gleichzeitig, wie leicht es im wirklichen Leben ist, eine Verbindung zu Menschen herzustellen.
Bigalke: Das muss man vielleicht noch mal erklären. Auf den Fotos sind Minutenangaben angegeben. Und das ist die Zeit, die Sie mit den Personen verbracht haben.
Hyld: Ja.
Bigalke: Und das variiert zwischen sehr wenigen Minuten und mehreren.
Hyld: Zwischen 10 und 35 Minuten.
Bigalke: Sie haben sich ja extra ein Tinder-Profil angelegt, um Leute zu finden, mit denen Sie sich fotografieren können. Wie waren denn die ersten Reaktionen von diesen Leuten?
Hyld: Die Leute waren überraschenderweise begeistert, fanden das Projekt toll, so viele Matches hatte ich noch nie. Und das zeigte mir, die Menschen wollen sich verbinden und intim werden. Sie begeisterten sich aber auch für den kreativen Teil, sie wollten mit mir zusammen dieses Kunstprojekt machen.

"Vor Ort war dann doch oft alles ganz anders"

Bigalke: Was haben Sie denn im Voraus mit denen besprochen? Wie viel Planung war da nötig? Wie detailliert musste man mit ihnen besprechen, was da genau passiert?
Hyld: Ich plane nicht groß, aber bevor ich die Leute besuchte, bat ich sie, mir Fotos von ihrem Zuhause zu schicken, um mir Szenarios ausdenken zu können. Aber vor Ort war dann doch oft alles ganz anders und wir haben zusammen überlegt, was wir machen könnten. Da fing der kreative Prozess erst richtig an.
Bigalke: Können Sie ein Beispiel nennen, wo Sie eine einigermaßen vorgefertigte künstlerische Idee hatten, was passieren könnte - und sich das dann entwickelt hat?
Hyld: Ich hatte dieses Treffen mit dem Sado-Maso-Typen. Bevor ich ihn besuchte, hatte ich sein Gesicht noch nicht gesehen. Ich war also ein bisschen ängstlich und nervös. Aber dann war er ein ganz warmherziger Typ, einer der angenehmsten von allen, die mitgemacht haben bei dem Projekt. Mitten im Fotoshooting setzten wir uns hin und sprachen über seinen Fetisch, und er erzählte mir von seiner Scham, seiner Einsamkeit. Das war für mich ein sehr intimer Moment.
Bigalke: Können Sie noch mal beschreiben, wie man denn genau Intimität schafft? Was braucht es, um einen intimen Moment zu kreieren?
Hyld: Das Wichtigste ist, in dieser Begegnung absolut präsent zu sein, ganz da zu sein bei dem Anderen. Das ist das Wichtigste, was ich gelernt habe.

"In einen der Teilnehmer - habe ich mich verliebt"

Bigalke: Was war denn die intensivste Begegnung von all diesen, eine ganz besondere vielleicht?
Hyld: In einen der Teilnehmer - habe ich mich verliebt. Wir haben uns auch nach dem Projekt gesehen. Unser Treffen hat mich umgehauen, es war ganz besonders. Es gab nicht viele Worte zwischen uns, da war eher eine non-verbale Verbindung.
Bigalke: Ist das dann am Ende auch das Foto, das am intimsten aussieht?
Hyld: Ja, das ist es. Ich denke, es ist die ganze Interaktion zwischen uns beiden, meine Körpersprache, meine Offenheit, wie wir uns ansehen, in seiner Anwesenheit wirke ich sehr sicher. Jeder, der sich meine Bilder anschaut, weiß sofort, welches Bild das ist.
Bigalke: Also würden Sie sagen, hat das Gefühl von Sicherheit etwas mit Intimität zu tun?
Hyld: Ja, das würde ich sagen, weil man sich ja wirklich nackt machen muss, und um das tun zu können, muss ich mich sicher fühlen.
Bigalke: Vielleicht eine gegensätzliche Frage, hat das manchmal auch Überwindung gekostet, sich mit Fremden auf so intime Szenen einzulassen?
Hyld: Das ist einmal passiert. Ich traf einen Typen, der stand unter Zeitdruck und war ein bisschen panisch, wir hatten zehn Minuten, dann musste er weg. Ich konnte einfach keine Verbindung zu ihm herstellen, aber irgendwie haben wir es geschafft, dieses intim wirkende Foto zu machen.
Bigalke: Also ist das Bild wirklich komplett Fake eigentlich?
Hyld: Ja, ist es.

"Viele vermissen Intimität schon lange"

Bigalke: Sie haben ja Bilder gemacht, ganz bewusst, die künstliche Intimität darstellen sollten und wollten in diesem Projekt nach Intimität suchen und haben sie offensichtlich auch zum Teil gefunden. Hat das Ihr Verständnis verändert von dem, was künstliche oder wirkliche Intimität ist?
Hyld: Ich habe einen tieferen Einblick in die Welt der sozialen Medien bekommen und mir ist bewusster geworden, dass ich immer kritisch bleiben muss und mich nicht mit dieser Welt vergleichen sollte. Ich habe auch gelernt, dass es einfach ist, intime Momente herzustellen, mit Menschen, die man liebt, aber auch mit Fremden.
Bigalke: Was erzählen denn diese Fake-Intimität-Bilder im Netz, erzählen die etwas über die Sehnsucht dieser Menschen? Sie haben sich ja mit den Menschen darüber unterhalten.
Hyld: Viele suchen intime Beziehungen, vermissen schon lange Intimität in ihrem Leben. Sie machte der Versuch, Intimität zu schaffen, glücklich.
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