Fotoreporter Sebastian Backhaus

Der Blick hinter die Frontlinie in Syrien

09:00 Minuten
An der Front in Baghouz: Sebastian Backhaus ist als Kriegsfotograf oft ganz dicht dran.
An der Front in Baghouz: Sebastian Backhaus ist als Kriegsfotograf oft ganz dicht dran. © Copyright: Sebastian Backhaus
Sebastian Backhaus im Gespräch mit Axel Rahmlow · 25.02.2019
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Der Fotograf Sebastian Backhaus ist oft in Krisengebieten unterwegs. Gerade ist er aus Syrien zurückgekommen. Ein Gespräch über die letzte IS-Enklave, Angst und die Frage, ob man als Bildjournalist wirklich alles zeigen darf und soll.
Axel Rahmlow: In Syrien wird weiter gekämpft, auch im neunten Jahr des Bürgerkrieges. Im Osten des Landes geht es gerade gegen die letzte Enklave des sogenannten Islamischen Staates, und mein Gast Sebastian Backhaus, der Fotograf, der sitzt mir jetzt gegenüber. Er ist jetzt gerade am Wochenende zurückgekommen aus Syrien. Herr Backhaus, schön, dass Sie da sind!
Sebastian Backhaus: Schönen guten Morgen!
Rahmlow: Sie sind jetzt seit ein paar Tagen wieder da, Sie sind aus diesem umkämpften Gebiet gekommen. Sind die eigentlich schon wieder akklimatisiert?
Backhaus: Nein, noch nicht wirklich.
Rahmlow: Wie lange dauert das?
Backhaus: Das hängt immer davon ab, wie stark die Eindrücke vor Ort waren, was der Einsatz vor Ort war. Das kann vielleicht drei Tage oder auch mal eine Woche dauern.
Rahmlow: Und wenn Sie sagen, sie sind jetzt noch nicht akklimatisiert, dann war das eher ein Einsatz, wo Sie sagen, da ist noch viel im Kopf hängengeblieben?

Suche nach Sprengstoff

Backhaus: Ja, sicherlich. Also es waren vier Wochen am Stück dort vor Ort, und das zehrt natürlich schon an den Kräften, aber es war nicht so heftig wie zum Beispiel die Befreiung von Mossul oder Rakka. Von daher wird es diesmal auch schneller gehen. Morgen bin ich vielleicht wieder wirklich da.
Rahmlow: Okay! Wir wollen jetzt reden über einige der Fotos, die man schon sehen kann. In der "Welt am Sonntag" gibt es ein Foto, da ist eine Kämpferin, die eine Gruppe von Zivilisten untersucht auf Waffen. Was war das für eine Situation?
Backhaus: Das war eine Situation in der Nähe von Baghus, dort wo die letzte IS-Enklave zu finden ist, geflüchtete Frauen und Kinder, die aus diesem Gebiet herausgekommen sind und dann dort in der Wüste, in der Nähe dieser letzten Enklave von Kämpferinnen der syrisch-demokratischen Kräfte in Empfang genommen worden sind und dort durchsucht worden sind nach Sprengstoff, nach Waffen oder nach Indizien, die nachweisen, dass sie Teil des IS waren.
Rahmlow: Und wie nehmen Sie diese Situation dann wahr? Das sieht auf dem Foto schon angespannt aus auf jeden Fall.
Backhaus: Ist es, total angespannt. Also man hat ja auch immer wieder das Problem, dass solche Menschen, die dann aus dieser letzten Enklave flüchten, vielleicht als Selbstmordattentäter oder Selbstmordattentäterinnen dort eingesetzt werden. Deswegen sind es sehr, sehr intensive Momente, wo man nicht genau weiß, was jetzt in diesem Moment passieren kann.
Natürlich werden die Leute, die dann dem Feind entgegentreten, so tun, als hätten sie niemals wirklich mit dem IS kooperiert, sondern seien da hineingeschlittert, aber wirklich weiß man das in diesen ersten Momenten nie, sondern erst dann nach den Verhören.
Rahmlow: Aber Sie haben gerade gesagt, dass die Situation nicht so angespannt ist wie bei der Befreiung von Mossul. Das heißt, es ist alles übersichtlicher?

Der IS steht mit dem Rücken zur Wand

Backhaus: Ganz genau. Der IS steht dort mit dem Rücken zur Wand, und die Weite der Gebiete dort durch die Wüste und die irakische Grenze, dort lässt sich das alles besser überblicken als in Mossul, wo zum Beispiel schreckliche Kämpfe in der sehr, sehr engen verwinkelten Altstadt stattgefunden haben und wo der IS wesentlich größere Möglichkeiten hatte, seine terroristischen Attacken auszutragen.
Ein ehemaliger, junger IS-Kämpfer zeigt eine Narbe.
Ein ehemaliger, junger IS-Kämpfer zeigt eine Narbe.© Copyright: Sebastian Backhaus
Rahmlow: Jetzt haben wir dieses eine Bild, diese eine Situation besprochen. Was gibt es noch für eine Situation, die Ihnen jetzt in den Kopf kommt, wo Sie sagen, das bleibt von dieser Reise?
Backhaus: Ich denke, auch gerade Männer, die sich als Flüchtlinge getarnt haben, die direkt aus dieser letzten Enklave gekommen sind, die vom äußeren Erscheinungsbild wirklich genauso aussehen wie man die Bilder von wirklich harten IS-Dschihadisten kennt, die einem dann dort in der Wüste entgegentreten und vollbärtig, völlig verwahrlost. Ich weiß gar nicht, diesen IS-Blick würde ich fast sagen, einen damit anstarren und einen versuchen zu erzählen, dass sie nie mit dem IS kooperiert haben, aber dann wirklich aus der letzten Enklave kommen.
Wahrscheinlich hat man dort schon mit sehr, sehr harten Dschihadisten zu tun. Dem Erzfeind schlechthin steht man dann gegenüber, und diese Personen rauchen eine Zigarette nach der anderen, um zu zeigen, nein, nein, ich bin keiner von denen. Das ist dann sehr schwierig, wirklich herauszufinden, was für jemanden hat man da eigentlich gegenüber stehen.
Rahmlow: Und wie geht es Ihnen dann in solchen Situationen? Verspüren Sie da Anspannung, Angst?

Keine Zeit und Energie für Angst

Backhaus: Meistens bin ich in solchen Situationen sehr, sehr konzentriert und habe dann nicht so viel Zeit, Energie, Fokus für Angst. Gerade bei solchen Begegnungen, wie ich sie gerade beschrieben habe, sondern mache da meinen Job möglichst gut und komme nicht dazu, über andere Sachen dann in dem Moment nachzudenken. Wenn Sie das Thema Angst ansprechen, habe ich so etwas für mich immer im Vorfeld dann eruiert und geguckt, wie weit kann ich rangehen, welches Gefahrenpotenzial gibt es, wie schütze ich mich. Aber wenn es dann zu diesem Moment kommt, dass ich dann Fotos machen kann, dann ist das nicht maßgebend.
Rahmlow: In dem Moment sozusagen sind Sie so auf die Situation konzentriert.
Backhaus: Genau.
Rahmlow: Syrien heißt ja für uns, jetzt nach acht Jahren Bürgerkrieg, Gewalt, Anarchie – das sind die Assoziationen, die man damit hat. Erleben Sie auch etwas anderes in all diesem Chaos dort?
Backhaus: Ja, total, absolut, und ich finde es auch so schade, dass genau das, was Sie gerade ansprechen, immer die Schlagzeilen, die Überschriften dominiert. Es gibt kaum Platz in den Medien, um über all die anderen Sachen, die hinter der Frontlinie passieren, zu berichten.
Da sind wunderbare Initiativen und Projekte, die stattfinden in der Zivilgesellschaft, aber ich habe immer den Eindruck, dass die Konsumenten im Grunde genommen nur diese Schlagzeilen haben möchten, die Krieg, Terror, Sterben, Tod und Blut bedeuten.
Deswegen ist es mir persönlich immer ein großes Anliegen, auch hinter die Frontlinie zu gucken und das zu zeigen, was eigentlich einen Großteil Syriens ausmacht.
Rahmlow: Zum Beispiel? Haben Sie ein Beispiel?
Backhaus: Ja, ich habe jetzt gerade in den letzten Wochen in Syrien großartige Projekte auch fotografieren können, zum Beispiel ein Rehabilitierungszentrum für ehemalige IS-Kindersoldaten. Es ist eine Art Gefängnis für Kinder, für Jungs zwischen 11 und 18 Jahren, die beim IS mitgekämpft haben oder dort als Handlanger aktiv waren und wo sich die Leute dort vor Ort mit einem wunderbaren sozialen Programm, mit großem Engagement darum kümmern, diese IS-Ideologie aus den Kinderköpfen herauszubekommen, ihnen die Vergangenheit mehr oder weniger zu nehmen, um sie dann wieder mit neuen Impulsen in die Gesellschaft zu integrieren.
Im Frauendorf Jin War: Sebastian Backhaus fotografiert nicht nur den Krieg in Syrien, sondern auch den Alltag.
Im Frauendorf Jin War: Sebastian Backhaus fotografiert nicht nur den Krieg in Syrien, sondern auch den Alltag.© Copyright: Sebastian Backhaus
Das ist eine Sache, die dort stattfindet. Es gibt darüber hinaus feministische Projekte, die ich besucht habe. Ein Frauendorf für Frauen, die traumatisiert sind, von Gewalterfahrungen, teilweise vom IS entführt waren, jesidische Frauen, arabische, aber auch kurdische, also übergreifend religiös und ethnisch übergreifend und dort feministisch und selbstorganisiert ihr Leben in die Hand nehmen und an ihrer Vergangenheit, an ihren Traumata zu arbeiten. Das sind Dinge, die auch passieren, aber die kaum Erwähnung finden, weil ich das Gefühl habe, Syrien, da erwarten die Konsumenten genau das, was Sie vorhin ansprachen.
Rahmlow: Es sind aber natürlich auch die prägenden Bilder aus dem Land. Der Bürgerkrieg geht ja weiter, auch trotz dieser Initiativen, die Sie da erwähnen. Die Situation, die Sie ja beschreiben, die sind ja auch leider keinesfalls in Stein gemeißelt. Die Situation ist ja dort immer noch fließend.
Backhaus: Ja, absolut, klar. Deswegen muss auch von beiden berichtet werden und nicht nur von dem einen.
Rahmlow: Auf Ihrer Webseite, da sind auch eindrückliche Fotos zu sehen, auch aus anderen Konfliktgebieten, und da schreiben Sie aber auch über diese beiden großen Emotionen, diese beiden großen Extreme der menschlichen Existenz. Sie schreiben: "Mein Ziel ist, Momente zu dokumentieren, die uns in unseren brutalsten oder hilfsbereitesten Momenten zeigen." Wenn Sie jetzt in Syrien sind, dann erleben Sie ja beides, schätze ich mal, unmittelbar nebeneinander. Wie gehen Sie damit um, mit diesen Extremen?

Alles muss gezeigt werden

Backhaus: Ich glaube, dass das eine Extrem mich dazu befähigt und mich motiviert, das andere Extrem zu fotografieren. Also diese Solidarität, die Gastfreundschaft, die ich dort immer wieder erfahre, gerade Leute, die alles verloren haben, die kaum noch was haben, mit wesentlich größerem Herzen mir gegenübertreten, und das Wenige, was sie noch haben, auch dann, wenn ich dort unterwegs bin und vielleicht selber nicht so viel habe, was weiß ich, Essen, Wasser oder was auch immer, so großherzig das mit mir teilen, motiviert mich das natürlich dann auch, das stärkt mich dann natürlich auch, die schwierigen Situationen einzufangen.
Rahmlow: Aber es gibt auch Bilder, die Sie geschossen haben, die Sie nie veröffentlichen würden?
Backhaus: Nein.
Rahmlow: Nein?
Backhaus: Ich denke nicht, nein. Also ich glaube, ich bin davon überzeugt, dass einfach alles gezeigt werden muss, komplett. Meine Aufgabe ist, das zu transportieren, was ich vor Ort sehe, und zwar eins zu eins und nicht zu filtern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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