Fotokunst

Bilder voller Empathie

Von Volkhard App · 02.12.2013
Zoltan Jokay arbeitete am Rande Münchens als Helfer für Demenzkranke. Die Fotos seiner Patienten, die er jetzt im Sprengel Museum Hannover zeigt, wirken fast ikonenhaft und berühren zutiefst.
Frau Raab, die im Ausstellungstitel erwähnt wird, kehrt uns auf dem Foto den Rücken zu. Im Bademantel steht sie da, schaut im sanitären Raum eines Alten- und Pflegeheims auf ein buntes Fenster - und wirkt heillos verloren.
Zoltan Jokay: "Dieser Satz 'Frau Raab will nach Hause gehen' ist ein zentraler Punkt im Altersheim - und es ist auch ein zentraler Satz für uns. Wir alle wollen ein Zuhause haben. Und wenn wir Glück haben, gibt es für uns ein Zuhause."
Jokay hat als Demenzbetreuer mit diesen Menschen zu tun gehabt. Zuvor schon war er, weil er sich den Lebensunterhalt als Künstler nicht verdienen konnte, in einer Münchner Siedlung für verarmte ältere Frauen und Männer verantwortlich, die in separaten Wohnungen untergebracht waren. Teils besser gekleidet als die Heimbewohner sind diese Zeitgenossen, und die körperliche und geistige Hinfälligkeit zeichnet sich hier nicht ganz so drastisch ab.
Äußerst bewegend ist diese Farbfotoserie im Ganzen. All diese Menschen leben nicht mehr, erzählt Jokay - an den Tod konnte er sich als Pfleger und Fotograf nicht gewöhnen:
"Als eine Frau, mit der ich befreundet war, in der Siedlung starb, war ich sehr betroffen. Und im Altersheim habe ich zu weinen angefangen, als einer meiner ersten Schützlinge unerwartet starb. Meine Kollegen waren sehr bestürzt, weil sie meinten, so könne ich hier nicht arbeiten. Zwischenzeitlich hatte ich eine Phase, in der ich glaubte, dass es mir leichter fiele, wenn ich mich innerlich verabschiede, weil der Tod dieses Menschen mich dann nicht mehr überrascht. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass es für die Menschen, die im Altersheim leben müssen, eigentlich immer eine Erlösung ist, wenn sie sterben."
Eine "Erlösung"? Manche Angehörigen denken darüber womöglich anders:
"Die sind unterschiedlicher Meinung, glaube ich. Manche denken, sie sind erlöst, manche Angehörigen sind froh, dass sie nicht mehr ins Heim müssen, dass sie nicht mehr ihren dementen Eltern zuschauen müssen. Andere sind traurig, und vielleicht ist alles zusammen auch richtig."
Eine angedeutete Lebensgeschichte in einem Foto
Diese Bilder stehen in der besten Tradition der Porträtfotografie - und ergänzen Jokays eigene Zyklen, die seit den späten Achtziger-Jahren entstanden sind, denn hier waren häufig Kinder und Jugendliche der Mittelpunkt.
Die nun gezeigten Fotos von Alter und Einsamkeit haben auch ein konzeptuelles Moment. Denn fast jedem Porträt ist eine gleichgroße Texttafel zugeordnet. Wir erfahren, dass die einzige Tochter der einen Frau schon vor langer Zeit gestorben ist und dass eine andere sehnlich auf den Besuch des Sohnes wartet. Und dass ein Mann nach dem Heimessen immer nach dem Ober mit der Rechnung verlangt.
Hinter einer Tür hat ein Bewohner den Spion zugeklebt, sodass niemand von außen "hineinschauen" kann. Ein Hochzeitsfoto ruft in einem der Zimmer einen Rest von Erinnerung hervor. Wir werden aber auch darüber aufgeklärt, dass die für jeden Patienten vorgesehene Pflegezeit äußerst knapp bemessen ist.
All diese Bilder wecken Gefühle, schaffen Empathie. In einem Fall genügt eine alte, verkrüppelte Hand, die eine Lebensgeschichte erzählt.
Bilder wie Ikonen
Auffällig bei vielen Fotos ist die starke Farbigkeit. Kuratorin Inka Schube:
"Mich haben diese Bilder, als ich sie zum ersten Mal sah, an Ikonen erinnert. Für mich waren das fast alles Goldgründe, auf denen die Personen und Texte stehen, auch wenn sie blau oder rot sind. Sie haben eine extreme Farbkraft, selbst wenn sie in den Farben zurückgenommen sind. Auch ein Hellblau ist ungeheuer intensiv. Für mich liegt darin eine große Lebensfreude oder Sinnlichkeit in diesen Farben. Ich würde in diesem Zusammenhang ungern pathetisch werden, aber für mich gibt es da auch etwas Übergeordnetes, egal welcher Religion man angehört oder ob man Agnostiker ist. Sie transportieren tatsächlich etwas Überzeitliches, und das ist eine besondere Qualität dieser Arbeit."
Jokay war nicht darauf aus, alles, was er erlebt hat, zu dokumentieren. In einem programmatischen Vorspruch teilt er ausdrücklich mit, dass die Fotografie nicht alles zeigen dürfe:
"Menschen, die in einer schwachen Position sind und die man zu den Opfern zählen könnte, darf man in der Fotografie nicht zum zweiten Mal zu Opfern machen. Und das tue ich nicht."
Diese Bilder erzählen zusammen mit den knappen Texten auf berührende Art von der Vergänglichkeit und dem Wunsch nach Geborgenheit, der nicht mehr erfüllt wird. Jokay sieht noch eine andere Dimension:
"Eins sagen all diese Arbeiten: dass die Würde des Menschen unantastbar ist, selbst wenn sie angetastet wird."
An die Unverletzlichkeit mag man angesichts dieser fotografischen Zustandsbeschreibung kaum glauben. Eher schon erscheint das Alter hier als das viel zitierte Massaker.
Im Museumsuntergeschoss, in dem überschaubaren Medienraum hat diese essenzielle Ausstellung fernab der großen Geschäftigkeit einen idealen Schauplatz gefunden. Ein Ort der Besinnlichkeit - zum ruhigen Nachdenken über die Grenzen der menschlichen Existenz, also auch über uns selbst.