Fotografisches Vogelporträt

Das Buch von David Tipling und Jonathan Elphick bildet die großen Lebensräume Europas in 200 Vogelarten ab: Nördliche Vertreter wie der Eissturmvogel werden ebenso präsentiert wie die Waldbewohner Auerhuhn und Weißrückenspecht.
Das erste Vogelfoto stammt von 1892. Es zeigt die Eier einer Singdrossel in einem Nest. Inzwischen, so sollte man meinen, sind die Vögel Europas umfassend fotografisch dokumentiert. Keineswegs, betont einer der großen Vogelfotografen unserer Tage, David Tipling, in der Einführung zu seinem neuen Bildband "Die Vogelwelt Europas", erschienen im Frederking & Thaler Verlag. Und so konnte der Fotograf auch nicht zu alten Beständen greifen, sondern machte sich mit seiner Kamera frisch auf den Weg, um die schönsten, ausgefallensten, häufigsten und seltsamsten Vogelarten unseres Kontinents vor die Linse zu bekommen.

200 Arten in Wort und Bild stellt der Bildband vor. Die Auswahl trafen David Tipling und sein Mit-Autor Jonathan Elphick in einer Mischung aus subjektiven Vorlieben und dem Wunsch nach einem repräsentativen europäischen Querschnitt. Ihr Buch bildet die großen Lebensräume Europas in Vogelarten ab: Nördliche Vertreter wie der Eissturmvogel oder die Küstenseeschwalbe werden ebenso präsentiert wie die Waldbewohner Auerhuhn und Weißrückenspecht. Steppenkibitz und Wüstengimpel tragen ihren Lebensraum im Namen. Blauelster und Eleonorenfalke vertreten die Mittelmeergebiete. Feldlerche und Saatkrähe haben sich eng an das Zusammenleben mit Mensch und Landwirtschaft angepasst. Und für ursprünglich fels- und höhlenbewohnende Arten sind die Häuser der Städte zu Brutfelsen geworden - Mauersegler und Turmfalke halten es so.

Jede der 200 Vogelarten erhält in dem großformatigen Buch eine ganze Seite. Unter dem deutschen und lateinischen Namen erscheint eine kleine Landkarte, auf der das Verbreitungsgebiet eingetragen ist. Ein paar klein gedruckte Sätze erläutern Hintergründe.

Glanzstück ist das fotografische Vogelporträt. Anders als in ornithologischen Nachschlagewerken möchten die Bilder nicht zu Bestimmungsübungen anleiten. Statt dessen sehen wir besondere Momente: den unverdrossen hämmernden Specht im eisigen Winter, den Bartkauz, hell leuchtend, vor pechschwarzem Hintergrund, zwei bunte Bienenfresser, die wie Spiegelbilder Seite an Seite im Sand liegen.

Die gefühlvoll geschriebenen Texte Jonathan Elphicks halten eine schöne Balance zwischen biologischem Hintergrundwissen, erstaunlichen Seitenaspekten und ansteckender Begeisterung. "Sanft und fröhlich" etwa sei der Gesang der Bienenfresser, erfahren wir, während die Laute des Ziegenfresser eher "an ein entferntes Motorrad erinnern". Das spatzengroße Odinshühnchen wird uns als "kleine Schönheit" vorgestellt, während sich das Sommer-Goldhähnchen an seinem "grimmigen Blick" erkennen lässt. Ein bisschen anthropozentrisch wirkt das - und so wohltuend nach all den Jahrzehnten der Sachlichkeit im Umgang mit der Natur, welche die lebendigen Tiere und Pflanzen am Ende fast verschwinden ließ.

In vielen der Porträts ist die Rede von schwindenden Lebensräumen - die Vögel werden abgedrängt, finden keine Brutplätze mehr. Und so ist dieses farbenfrohe, liebevoll geschriebene Buch auch eine Aufforderung, die Vögel unserer Breitengrade neu schätzen und schützen zu lernen.

Besprochen von Susanne Billig

David Tipling, Jonathan Elphick: Die Vogelwelt Europas
Ins Deutsche übertragen von Barbara Rusch
Frederking & Thaler
256 Seiten, 39,90 Euro